XCVII.

[204] [Rand: Alaim.] Ibrahim, der Sohn Mahadi's lebte nach erhaltener Verzeihung Mamuns beständig am Hofe des Chalifen. Eines Tages, als er in den Gassen von Bagdad allein herumstrich, erblickte er an einem halbaufgemachten Fenster eine kleine, weiße, runde, allerliebste Hand, in die er auf der Stelle sterblich verliebt ward. Nun sann er auf eine List, sich ins Haus hineinzustehlen. Er fragte beym Nachbarn um den Namen des Hausherrn, und auch um den Namen zweyer Gäste, die eben ankamen, um an einem Feste, zu dem sie geladen waren, Antheil zu nehmen.

Ibrahim grüßte sie ganz unbefangen, und, indem er um ihr Befinden fragte, gieng er mit ihnen ins Haus. Der Gastgeber glaubte, der Fremde sey[204] ein Freund seiner Freunde, grüßte ihn als solchen, wieß ihm den Ehrenplatz an, und überhäufte ihn mit Bezeugungen von Aufmerksamkeit, sowohl am Tische, als im Gesellschaftssaale, wohin man sich nach aufgehobener Tafel begab.

Eine Sklavin, schön wie der volle Mond, kam mit einer Laute in der Hand und sang:


Liebend hangen meine Augen

An dem schönsten Ideal,

Ach! ich fürchte, daß sie saugen

Blut aus Ihrem Schönheitsmahl.

Ohne Sie zu sehn und kennen,

Gieb ich ihr mein Herz als Pfand.

Ach! um ewig zu entbrennen,

Ist genug die schöne Hand.


Ibrahim, dem diese Worte aus der Seele gesungen waren, konnte sein Entzücken nicht bergen. Indessen war die Sängerin keineswegs die Schönheit, deren kleine, weiße, runde, allerliebste Hand einen so tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht hatte. Er dachte, daß die Sängerin ihn vermuthlich beobachtet haben müsse, als er auf der Gasse, versunken in Liebe zur kleinen, weißen, runden, allerliebsten Hand, unbeweglich nach dem Fenster hinstarrte, und daß sie diesen Umstand glücklich benutzte, um die schönen Verse zu improvisiren, welche durch den Zauber ihrer Stimme und der Laute gehoben, alle Zuhörer zur einstimmigen Bewunderung hinrißen. Ibrahim, der selbst ein sehr guter Tonkünstler war, nahm die Laute, und entlockte derselben melodische Töne, welche Seelen[205] und Geister raubten. Der Hausherr, entzückt über das Talent seines neuen Bekannten, bat ihn, allein zurückzubleiben, nachdem sich die Gäste nach Hause begeben haben würden. Als sie allein waren, fragte ihn der Hausherr um seinen Namen, und hörte nicht auf, in ihn zu dringen, bis er sich ihm zu erkennen gegeben. Träume ich, oder wache ich, rief der Hausherr; welches unerwartete Glück für mich, mein Prinz! Wenn Sie mich würdigen, den Rest der Nacht mit mir zuzubringen, so will ich Alles aufbieten, Ihnen dieselbe so angenehm zu machen, als in meinen Kräften steht. – Ibrahim dankte ihm für seine Güte, und in der Folge der Unterredung erzählte er ihm die Begebenheit mit der kleinen, weißen, runden, allerliebsten Hand. Der Hausherr klatschte dreymal in die Hände, wandte sich dann gegen die Seite, wo der Vorhang des Harems war, und rief: Kleidet Euch an, und kommt heraus. – Alsbald erschienen vierzig Schönen, in dem reichsten Schmucke. Eine nach der andern ließ ein Paar Hände sehen, je eines schöner als das andere, und deren natürliche Schönheit durch den Glanz der Diamanten, Smaragden, und Rubinen, womit sie beringet waren, ungemein erhöhet ward. Aber die kleine, weiße, runde, allerliebste Hand, die das Herz Ibrahims erobert hatte, war nicht darunter. Er theilte diese für ihn so traurige Entdeckung dem Herrn des Hauses mit. – Mein ganzes Harem, sprach er, hat die Musterung[206] passiret, nur meine Schwester ist zurückgeblieben; sie soll aber alsogleich kommen. Sie kam, das war die Schönheit mit der kleinen, weißen, runden, allerliebsten Hand, in die Ibrahim sich so sterblich verliebt hatte. Sogleich wurden zehn Zeugen gerufen, in deren Gegenwart der Hausherr seine Schwester als Frau verschrieb an Ibrahim, den Sohn Mahadi's, mit einem Heyrathsgute von zwanzigtausend Dirhems.

Diese von Ibrahim dem Chalifen Mamun zu rechter Zeit erzählte Geschichte rettete einem jungen Menschen das Leben, der ein mit zehn Passagieren bemanntes Schiff in der Meinung bestiegen hatte, daß sie zu irgend einem Feste führen, an dem er ungeladen Theil zu nehmen hoffte. Diese Leute waren Räuber, welche gefangen vor den Chalifen gebracht und zum Tode verurtheilt wurden. Der junge Mensch, der sich als Parasite angab, hätte keinen Glauben gefunden, wenn nicht Ibrahim dem Chalifen aus eigener Erfahrung erzählt hätte, daß solche Stückchen nichts Ungewöhnliches seyen. Der Chalife verzieh dem jungen Menschen, und es fand sich, daß es der Sohn war von Ibrahim, und der Dame mit der kleinen, weißen, runden, allerliebsten Hand.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 204-207.
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