F. Gewaltsamer Wechsel.

[140] 44. Aus Ostafrika (Suahelimärchen).


Hase und Wiesel beschließen zusammenzuziehen und die Beute, die sie fangen, zu teilen. Sie rauben ein Perlhuhn und dessen Eier, und während der Hase schläft, übernimmt das Wiesel das Braten. Es frißt dann aber alles auf, versteckt die Eierschalen und legt die Füße und Federn des Perlhuhns ins Feuer. Dem Hasen erzählt es, der Schlaf habe es überfallen, und währenddem sei das Huhn verbrannt. Der Betrogene rächt sich, indem er das Wiesel, als es sich einmal recht satt zum Schlafen hingelegt hat, in Bananenblätter bindet und durchprügelt, worauf er sich sehr betrübt stellt. Eines Tages lädt das Wiesel den Hasen zu einem Tanzfest ein, nimmt eine Flöte und singt: »Ich habe das ganze Perlhuhn aufgegessen, tu, tu, tu!« Der Hase nimmt die große Trommel und singt: »Ich habe dich in Bananenblätter gebunden und geklopft, bum, bum, bum!« Als das Wiesel diese Worte des Trommelliedes hörte, wurde es sehr böse und ergriff einen Stock, und sie prügelten sich sehr, bis der Hase die Ohren des Wiesels mitnahm, und die Ohren des Hasen nahm das Wiesel. Darum hat der Hase so lange Ohren. Denn zuerst hatte das Wiesel die langen Ohren, und der Hase hatte kurze.


  • Literatur: Büttner, Lieder und Geschichten der Suaheli S. 98. Zu dem Motiv des Trommelliedes vgl. das Märchen des For-Stammes (Inner-Afrika): Zschr. f. vgl. Littgesch. 1, 311.

Diese Sagen sind sämtlich so beschaffen, daß sich die Übereinstimmung ihres Inhaltes ohne Annahme von Motivwanderungen durchaus leicht und ungezwungen erklärt. Der Grundgedanke ist so alltäglich und die Handlung so einfach, daß bei jedem Volke, welches denken und erzählen kann, eine solche Sage möglich ist. Dazu kommt, wie schon oben bemerkt ist, die überall gleichgeartete Anregung, die die Volksphantasie, sofern sie in innigem Verkehr mit der Natur steht, von dieser empfängt. Man darf also wohl im allgemeinen behaupten, daß solcherlei Parallelen auf unabhängiger Analogie beruhen.[140]

Andererseits ist es teils sicher, teils möglich, daß in einzelnen Fällen auch Wanderung erfolgt ist. So lassen sich bei Nr. 15 ff. und 37 f. Ausbreitungsgebiete erkennen, die zwar landschaftlich ziemlich eng umgrenzt sind, die aber doch zeigen, wie die Stofforschung auf Schritt und Tritt mit Wanderungen rechnen muß. Auch Nr. 6 und 7 sind gewandert, wahrscheinlich auch Nr. 31 und 32.

Sehr merkwürdig ist die Übereinstimmung der ungarischen Sage Nr. 9 mit den asiatischen Nr. 8 und 36. Sie erklärt sich leicht, wenn man annimmt, daß Zigeuner diesen Stoff (wie so manchen andern) nach Ungarn übertrugen. Die Ähnlichkeit eines amerikanischen Negermärchens mit der ungarischen Sage Nr. 18 beruht wohl auf europäischer Vermittlung.

Zweifelhaft könnte es scheinen, ob nicht alle Nummern 30–43 auf Wanderung hinweisen, da sie Übereinstimmung von zwei Motiven enthalten, des Borgens und des Borgezwecks: Beteiligung an einer Festlichkeit. Aber wenn einmal eine solche Borggeschichte erdacht wurde, so lag wahrlich nichts näher, als den Anlaß zum Borgen hinzuzufügen. Und als solcher bot sich zuallererst ein Fest, und namentlich ein seltenes Fest, zu dem man besonderen Schmuckes bedarf – also eine Hochzeit. Im übrigen sind die meisten der vorstehenden Sagen, so große Ähnlichkeit sie auch im allgemeinen verbinden mag, gleichwohl durch vielfache Abwechslung im einzelnen unterschieden. Auch dieser Umstand deutet auf selbständige Entstehung hin.

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 140-141.
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