Der Philosoph

[173] Ein Weiser hatte ein Büchlein zusammengestellt mit allen Listen darinnen, welche die Weiber anwenden oder angewendet haben, um die Männer zu täuschen. Und immer trug er dieses Buch bei sich und behauptete, also vor den weiblichen Ränken geschützt zu sein.

Als er auf der Wanderschaft war, kam er eines Tages unter den Tagen vor das Zelt eines Arabers in der arabischen Wüste. Der Araber aber war abwesend, und sein Weib beschäftigte sich damit, Pilau zum Hammelfleisch zu kochen. Da unser Philosoph nun der Ruhe bedurfte, bat er um Gastfreundschaft, die ihm nicht verweigert wurde, und setzte sich vor den Eingang ins Zelt. Dabei merkte er, daß das Weib jung war, und er urteilte mit seinen Augen, daß sie hübsch werden mußte. Irgendeinen Streich fürchtend, öffnete er sein Buch und hub an zu lesen.

Fragte ihn aber das junge Weib: »Was gibt es denn so Anziehendes in Eurem Buche?«

»Es ist eine Sammlung, die ich gefertigt habe und in die ich alle die vergangenen und gegenwärtigen Listen eingetragen habe, welche die Weiber gegen ihre Männer oder ihre Liebhaber angewendet. Also[174] bin ich gesichert gegen die Bosheit dieses verderbten Wesens, das Allah zum Unglück der Männer geschaffen hat.«

»Ist Euer Buch denn sehr vollständig?«

»Nicht ein einziger Streich fehlt darinnen.«

»Seid Ihr dessen auch ganz sicher?«

»Wie meines Daseins!«

Der boshaften Araberin stieg ein Gedanke auf. Ohne sich scheinbar mit dem Philosophen abzugeben, zieht sie sich aus, putzt sich und zeigt Wunder, welche dem armen Weisen bald verliebte Gedanken einflößen.

Er schließt sein Buch und nähert sich der Schönen.

»Wie bist du schön, mein Herzblatt,« hebt er an, »lasse meine Hand ruhen auf dieser hübschen Brust, auf diesem Leib ohne eine Falte, auf diesem Paradiese, das Allah dir wie ein Glückszeichen zwischen die Schenkel gelegt hat!«

Und das Weib läßt ihn gewähren. Und als der Weise nach seiner Feder greift, um sie ins Tintenfaß zu tauchen, schreit die Listenreiche:

»Himmel, da ist mein Mann. Er naht auf seinem schnellsten Kamele. Ich hab' nur noch Zeit, mich anzuziehen. Und Euch wird er töten, sintemalen er von erstaunlicher Eifersucht ist!«

Der arme Philosoph weiß nicht, was werden soll.

»Rettet mich,« fleht er.

»Wo Euch verstecken? Ach, halt, kriecht in diese Lade, die ich zusperren will.«[175]

Der Weise schnell in die Lade, die das Weibchen abschließt.

Kurz hernach kommt der Araber an.

»Ach, mein Geliebter,« hebt die Frau lachend an, »stellt Euch vor, daß, die weilen Ihr fort waret, eine Art von Narr gekommen ist, der mir Gewalt antun wollte. Ich habe mich seiner erwehrt, bis zu dem Augenblick, wo ich Euch zurückkommen sah. Von Furcht gepackt, hat sich der Mann in diese Lade verkrochen, deren Schlüssel ich abgezogen habe.«

»Oh, der Räuber,« kreischte der Beduine, »ich will ihm meinen Yatagan durch die Brust bohren. Gib mir den Schlüssel!«

In der Lade aber der Philosoph war mehr tot als lebendig.

»Hier ist der Schlüssel,« sagt das Weib.

Der Araber nimmt den Schlüssel und ist bereit aufzuschließen.

Schrie ihm sein Weib an: »Haltet an; Ihr habt einen Piaster verloren!«

»Einen Piaster? Was schwatzt du mir da vor?«

»Vergaßet Ihr, daß wir gewettet haben? War es nicht abgemacht, daß der, welcher zuerst vom anderen irgendeinen Gegenstand empfing, ohne ›Storch‹ zu sagen, einen Piaster verlieren würde?«

»Wahrlich, ich hab' ihn verloren!«

»Und, seht Ihr, mit dieser außergewöhnlichen Geschichte hab' ich Euch den Schlüssel nehmen[176] lassen, ohne daß Ihr daran dachtet, ›Storch‹ zu sagen.«

»Wahrlich, ich hab' verloren. Nimm den Schlüssel wieder.«

»›Storch!‹ Danke. Gebt mir einen Piaster und laßt uns den Pilau essen.«

Nach beendigtem Mahle verläßt der Beduine die Hütte und setzt sich wieder auf sein Kamel.

Als er wohl fern ist, gibt die Frau dem Weisen die Freiheit zurück.

Sagt: »Geht und vergeßt nicht, diese List allen denen hinzuzufügen, die Ihr in Euer Buch eingeschrieben habt!«

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 173-177.
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