Die Schusterahle

[125] Ein Schuster verheiratete sich. Kaum bei seinem Weibe, hub er also an:

»Komm, laß mich schnell nähen.«

»Was willst du tun? Und was sprichst du vom Nähen?«

»Wahrlich, bin ich nicht ein Schuster, und hat ein Schuster nicht von morgens bis abends zu nähen?«

»Von morgens bis abends, das sehe ich gern; doch nicht nachts.«

»Du täuschst dich! Halte dich wacker. Hier ist meine Ahle!«

Und der Schuster näht, näht, mehr Eifer zeigend als beim Schuheflicken.

»Dachte nicht, daß du solch eine gute Ahle hättest,« rief die Frisch verheiratete. »Erst stach sie mich etwas, nun aber macht sie mir viel Freude!«

»Das wird noch besser kommen, wenn ich erst Pech gebrauche!«

Wenig hernach gesteht das Weib:

»Du hast mich nicht belogen. Bist ein geschickter Schuster.«

Nachdem der Mann sein Werk verrichtet, begann er es wieder, um dann aufzuhören und nochmals anzufangen.[126] Endlich hat er genug und kehrt seinem Weibe den Rücken zu. Doch sie will nichts davon wissen.

»He, Freund, dreh' dich um. Man muß von abends bis morgens nähen; hast du nicht also gesprochen, als wir uns ins Bett legten?«

»Lasse mich. Meine Ahle ist stumpf!«

»Ach, Unglücklicher, schon stumpf. Was soll aus uns werden?«

Und sie ergreift die Ahle, dreht sie und wendet sie. Doch das Werkzeug, das nichts mehr ausrichten kann, ist Liebkosungen gegenüber unempfindlich.

»Warum hast du keine dauerhafte Ahle angeschafft?« fragt die Ehefrau.

»Warum? Meinst du, ich habe Geld wie Heu? Bin nur ein armer Flickschuster. Ich habe die Ahle erstanden, die ich zufällig preiswert habe finden können, und doch hab' ich all meine Ersparnisse für sie aufgewendet.«

»Wieviel würde denn eine ganz neue gelten, die tüchtig hart ist?«

»Weh, für die müßte ich gut und gern dreihundert türkische Goldstücke anlegen.«

»Genau soviel betragen die Ersparnisse, die ich meiner Schwester anvertraut habe. Sowie die Sonne hochkommt, werd' ich sie holen und du läufst dann zum Kaufherrn.«

Mit dreihundert Goldstücken bewaffnet schlägt der[127] Schuster in der Frühe den Weg nach der Stadt ein. Dort trifft er auf Gefährten, die Hochzeit mit ihm gefeiert haben, und er verausgabt all sein Geld.

Bei seiner Rückkunft findet er sein Weib vor, das ihn voll der Ungeduld erwartet. Sie hat sich schon ins Bett gelegt.

»Nun, wie steht's?« fragt sie ihn.

»Ich bringe eine Ahle von allerbester Güte mit.«

»Eia, das ist fein. Komm ins Bett.«

Kaum hat er sich hingelegt, als sie den Kauf auch schon prüft.

»O, wie hart sie ist! Welch' guter Gedanke von mir, die dreihundert Goldstücke zu sparen! ...«

Dann kommt ihr ein Gedanke:

»Was hast du mit der alten Ahle gemacht?«

»Hab' sie verloren, als ich über die Flußbrücke ging.«

»Das ist ja sehr schade. Meine Mutter hatte mich darum gebeten.«

Nachdem sie einen Teil der Nacht verbracht und ein weniges geruht hatten, steht die junge Frau auf, bereitet dem Schuster das Frühstück und sagt, daß sie einen Augenblick zu ihren Verwandten gehen wolle.

Doch das ist ihre Absicht nicht. Sie läuft nach der Flußbrücke und sucht die Nadel.

Der Pope geht vorüber.

»Was sucht Ihr, mein Kind?«

»Eine erstaunliche Ahle, die mein Mann in diesen Wasserlauf hat fallen lassen!«[128]

»Die kann nur auf dem Grunde liegen. Ich werde Euch suchen helfen!«

Der Priester schürzt seinen Rock auf und sucht im Flußbett. Plötzlich aber erblickt das Weib des Pfarrers Bischofsstab:

»Tut doch nicht so als ob Ihr länger suchen müßtet. Ich sehe meines Mannes Ahle wohl, sie hängt ja zwischen Euren Beinen. Gebt sie mir zurück oder bringt sie gleich meiner Mutter, der ich sie versprochen habe!«

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 125-129.
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