[194] 43. Alles glaubt der König doch nicht.

Es war einmal ein König, welcher alles glaubte, was man ihm erzählte. Er versprach demjenigen, der ihm etwas sagen würde, was er nicht glauben könnte, die Hand seiner Tochter und seinen Thron. Da kamen Leute aus allen Weltgegenden und schwatzten ihm allerlei Lügen vor, die er alle glaubte. Nun reiste einst ein Handwerksbursche durch das Land, welches dieser König beherrschte, und hörte, daß derjenige die Königstochter bekomme, welcher dem König etwas sagen würde, was dieser nicht glaube. – Hans, so hieß der Handwerksbursche, dachte sich: »Ich will hier mein Glück versuchen«, trat vor den König und sprach: »König! ich will dir etwas sagen, was du nicht glauben wirst.« »Gut«, sprach der König, »glaube ich aber alles, was du sagst, so lasse ich dir den Kopf abhauen.« Hans war damit zufrieden und begann seine Erzählung: »Ich ging einmal auf das Feld und baute mir Hanf an, und siehe da, er ging unter meinen Füßen auf und wuchs so hoch wie ein Kirchturm.« »Ja, das glaub' ich dir«, sprach der König. »Da versucht' ich's am Hanfe hinanzuklettern«, hub Hans wieder an, »und es gelang mir ganz vortrefflich, denn der Hanf war so dick und so stark, und wuchs kerzengrade in die Höhe. Als ich zu oberst war, sah ich über Städte und Dörfer, Wiesen und Wälder, Berge und Thäler, Bäche und Flüsse, und als ich mir alles sattsam besehen hatte, wollt ich hinabgleiten, aber o weh, ich ließ zufällig den Hanf aus, stürzte herab und fiel 20 Fuß tief in[194] die Erde hinein. Da erschrak ich gewaltig, lief so schnell, als ich konnte, nach Hause, holte mir einen Spaten, grub mich mit vieler Mühe aus dem Boden heraus und ging dann ganz ermüdet heim.« – »Das glaub ich dir auch«, sprach der König. Hans fuhr fort: »Als ich Tags darauf wieder auf das Feld kam, bemerkte ich zu meinem nicht geringen Erstaunen, daß der Hanf schon so groß war, daß er bis in die Wolken reichte. Ich hatte mir einmal vorgenommen, den Himmel zu besuchen, und jetzt fiel mir ein, daß ich auf diesem Wege wohl am leichtesten hinein kommen könnte; aber der Hanf däuchte mir noch nicht hoch genug. Nach ein paar Tagen ging ich nochmals auf das Feld, in der Vermuthung, daß der Hanf schon in den Himmel reichen müsse, und kletterte gleich an dem Hanfe in den Himmel hinauf, wozu ich nicht weniger als ein Jahr brauchte.«

»Das glaub ich dir«, sprach der König. Hans fuhr fort: »Da war es aber so schön und alle Dinge waren so prachtvoll, daß ich alles nicht genug bewundern konnte. Die Engel flogen in der Luft umher und sangen wunderschöne Lieder und Lobgesänge zu Ehren des Schöpfers. Da sah ich noch viele alte Bekannte, die alle mit den schönsten Kleidern angethan waren und in silbernen Kutschen herumfuhren. Und welche Freude! ich sah meine geliebten Eltern, die in einem goldenen Wagen saßen und gerade spazieren fuhren. Ich ging dann weiter und sah auch deinen Vater und deine Mutter, o König, mit – Lumpen bedeckt und eine Herde Schweine hütend!«

»Das ist nicht wahr«, schrie der König im Zorne, »das hast du nicht gesehen.« »O ja, ich hab' es wirklich gesehen«, erwiederte der Hans lachend, »aber nun, vergiß nicht dein Versprechen und gib mir deine Tochter zur Frau.«

Die mußte ihm der König auch geben, weil er das nicht hat glauben wollen.[195]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 194-196.
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