[74] 24. Der Ursprung der Weißen

[74] Es war einmal ein Mann, der hieß Duagau, der ging mit seinem Hund auf die Jagd. Als sie sich im dichten Gebüsch einen Weg bahnten, fand der Hund einen fliegenden Fisch am Boden liegen. Damals gab es jedoch noch kein Meer, überall war Land. Als der Hund den Fisch gefunden hatte, bellte er; sein Herr kam herbei und hob den Fund auf. Duagau nahm ihn mit nach Hause und aß ihn, und er schmeckte ihm besser als je ein Süßwasserfisch. Als er am nächsten Tage jagte, fand der Hund wieder einen Fisch, den nahm er auch mit und verzehrte ihn. Den Tag darauf zog er morgens ganz früh los und ging nach der Stelle, wo er den Fisch gefunden hatte. Er wartete dort und wollte einmal sehen, woher sie denn eigentlich kämen. Als er bis Mittag gewartet hatte, hörte er in einem großen Baum, der dort wuchs, ein Rascheln und mit einem Male fiel ein Fisch aus den Zweigen herab. Er kletterte auf den Baum hinauf und sah nun, daß er innen hohl war, und eine Menge Fische darin herumschwamm.

Duagau nahm den Fisch mit nach Hause. Diesmal schenkte er ihn seiner Mutter und erzählte ihr, woher er kam. Sie aß ihn auf und legte sich danach schlafen. Sie schlief den ganzen Nachmittag, die Nacht über und wachte auch am andern Morgen noch nicht auf. Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, sagten die Leute: »Ist die alte Frau krank? Warum kommt sie nicht zum Vorschein?«

Sie besuchten sie, und weil sie noch immer schlief, schüttelten und weckten sie die Frau. Da sagte sie zu ihnen: »Leute, nehmt eure Äxte und zieht los, schlagt den Baum um und holt noch mehr solche Fische; es gibt nicht ihresgleichen, und sie sind so schmackhaft, daß ich sie mit nichts anderem vergleichen kann.«

[75] Da nahmen die Männer vom Stamme der Lawarata und Aurana die Äxte und begaben sich fort unter Führung von Duagau. Sie hackten und hackten drauflos, doch konnten sie ihn nicht umschlagen; der Baum war größer und dicker als jeder andere, denn es war ein Geisterbaum.

Abends kehrten die Leute wieder ins Dorf zurück und legten sich todmüde zum Schlafen hin. Sobald sie aber den Baum verlassen hatten, kehrten alle Splitter wieder zum Baum zurück und verwuchsen dort fest miteinander. Als sie am andern Morgen die Arbeit fortsetzen wollten, da sahen sie zu ihrem Erstaunen, daß der Baum unverletzt und widerstandsfähig wie sonst war; so sehr sie auch daran herumhackten, sie konnten ihn nicht zu Fall bekommen; und am andern Tag waren alle Splitter und Späne während der Nacht wieder zusammengewachsen.

Am nächsten Tag faßten sie den Baum von neuem an. Da nahm ein kleiner Junge einen Span fort und wollte damit spielen. Er benutzte ihn beim Speerspiel mit den andern Knaben als Schild; und als am Abend der Junge mit seiner Mutter nach Hause ging, warf er den Schild weg. Er schlug Wurzel und wurde zum großen Baum. So heißt noch heute das Dorf Modewa nach ihm, weil jener Baum dort aufgewachsen war. Am andern Morgen bemerkten die Leute, daß der Baum beinahe wieder zugewachsen war, aber an einer Stelle eine Lücke hatte, als ob dort ein großer Span fehlte.

Zuerst wunderten sich alle darüber, bis schließlich ein Mann sich des Spielschildes des Jungen erinnerte. Da sammelten sie alle abgeschlagenen Splitter und Späne, zündeten ein großes Feuer an und verbrannten sie. Am andern Tag fällten sie den Baum; und als er mit gewaltigem Krachen und Gepolter zu Boden stürzte, rauschte eine Menge Wasser aus ihm heraus und überschwemmte das niedrige Land.

Den Tag darauf betrogen die Lawarata die Aurana und sagten: »Heute wollen wir uns ausruhen und tüchtig schmausen, aber morgen wollen wir uns zum großen Fischzug zusammentun.« Während nun die Aurana sich dem [76] Tanz hingaben, schlichen sich die Lawarata heimlich nach der Stelle, wo der Baum lag und nahmen die schönsten Schmucksachen, Töpfe, Waffen und Netze aus dem Dorfe mit. Sie schoben den Stamm ins Wasser; die Zweige benutzten sie als Paddeln; und weil der Baum so groß war, konnten sie schön und bequem im hohlen Stamm leben.

Als nun die Aurana merkten, daß die Lawarata verschwunden waren, und sie nach ihnen suchten, da sahen sie die Leute gerade noch im Nordwesten verschwinden. Sie hatten ihnen keine Fische und Geräte mehr dagelassen.

Die Lawarata hatten eine ganz helle Hautfarbe, gerade wie Albinos. Die Aurana warteten darauf, daß sie ihnen die Waffen und Geräte zurückbrächten; sie warteten jedoch vergeblich. Darauf bauten die Leute Boote, um darin über das Meer zu fahren, denn bis dahin hatte es noch keine Boote gegeben.

Als nun die Weißen nach Taupota kamen, da wußte jeder, daß sie die Nachkommen der alten Lawarata waren. Sie waren zum klugen und reichen Volk geworden, weil ihre Väter einst alle Geräte und Waffen mitgenommen hatten, während die Aurana und anderen Stämme so wie früher geblieben waren.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 74-77.
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