[101] 32. Die Geschichte von Longa-Poa

Vor Zeiten war einmal, so erzählen unsere Väter, in Tonga ein großer, mächtiger, starker, kühner, kluger und tapferer Häuptling, der hieß Longa-Poa. Er war aus königlichem Geblüt; seine Leute verehrten ihn, und bei den Bewohnern der benachbarten Inseln war er gefürchtet.

Aber, so groß und mächtig er war, es gab doch jemand, vor dem er zitterte und bebte, das war Fekai, die »Wütende«; sie war seine Frau und die Tochter eines Königs; sie war eine hohe, stolze Erscheinung und [101] hatte eine laute Stimme; doch ihr Herz war nur auf Schlechtigkeiten bedacht. Man muß Longa-Poa deshalb bedauern; er hatte große Angst vor ihr; er durfte ja nicht, wie die anderen Häuptlinge es taten, die Keule gegen sie erheben und so ihr Begehren zügeln. So eine Keule ist recht nützlich für Frauen, und Ruhe herrscht in dem Hause, wo der Knüppel regiert. Doch Fekai war die Tochter eines »Heiligen Königs«; sie stand den Göttern näher als er, und darum durfte er die Hand nicht gegen sie erheben.

Eines Tages kam Longa-Poa von Haa-pai zurück, wo er mit seinen Kriegsleuten gewesen war; denn der Kriegs-König Kano-ku-bolu, das »Herz von Samoa«, hatte gesagt: »Laßt Longa-Poa das Segel heißen und nach Haa-pai fahren, damit er das Volk dort bestraft, weil es mir nicht den jährlichen Tribut sandte.« So kam er also zurück und brachte den Tribut, unermeßliche Reichtümer, mit; denn die Leute von Haa-pai hatten vor ihm klein beigegeben und hegten Furcht, weil sie sich aufgelehnt hatten. Sie gaben ihm daher viel mehr, als festgesetzt war; und Longa-Poa segelte freudigen Herzens mit den tief beladenen Booten nach Tonga zurück; auch der König freute sich sehr, als die Reichtümer alle in sein Großes Haus getragen wurden. Er sprach zu seinen Leuten: »Bringt ein Schwein herbei, das soll Longa-Poa essen. Bereitet ein Fest für ihn und seine Mannschaft. Die Fahrt verlief gut. Sie hatte einen glücklichen Ausgang. Iß, Longa-Poa, und dann gehe heim. Wirst du nicht von deiner Frau erwartet?« Da flog ein Schatten über das Antlitz von Longa-Poa, das vorher hell aufleuchtete, als der König vom Schwein sprach.

Als das Fest vorüber war, ging er seines Weges; und als er an sein Haus kam, traf er seine Frau, die gerade eine der Mägde mit dem Stock verprügelte; denn das war ihre Art, sie schlug und schalt fortwährend, und meistens tat sie beides gleichzeitig. Als er die Matte vor der Tür beiseite schob, wandte sie sich um und bemerkte ihn.

»Du bist also zurück!« sagte sie spöttisch.

[102] »Ja, Fekai, ich bin da,« antwortete Longa-Poa. »Und wo sind die Körper der erschlagenen Feinde?« fragte die Wütende, und riß dabei dem Mädchen, das sie gerade durchprügelte, einen Büschel Haare aus; sie hatte es nämlich mit einer Hand beim Haarschopf gefaßt, während sie es mit der anderen verhaute; als ihr Mann hereinkam, hatte sie durchaus nicht losgelassen. »Wo sind deine Bokolas?« rief sie. »Laß sie ins Haus bringen, und die jungen Leute – die faulen, nichtsnutzigen Bengel – sollen sie zum Schmaus herrichten!«

»Fekai, heute gibt es keine Bokolas,« antwortete Longa-Poa. »Die Leute von Haa-pai gaben klein bei; sie brachten Sühnegaben und unermeßliche Reichtümer heran. Sie sind daher leben geblieben, und deshalb gibt es keine Bokolas.«

Da kannte der Zorn der Wütenden keine Grenzen. Ihre Augen funkelten, weißer Schaum trat auf ihre Lippen, und dann schleuderte sie ihrem Manne, dem großen Häuptlinge, das Haarbüschel ins Gesicht – was kein Mann ertragen durfte. »Hier, friß das!« schrie sie. »Verflucht sind die Winde, welche dich zurückbrachten! Du Jammerlappen! du Schwächling! du Feigling! Du willst ein Häuptling sein? Fürwahr, du bist ein großer, mächtiger Häuptling.« Sie fuhr auf ihn los und schlug mit dem Knüppel auf ihn ein, mit dem sie bis dahin das Mädchen verprügelt hatte. Da nahm er die Beine in die Hand und eilte zum Haus hinaus; sie lief hinter ihm her und schimpfte und fluchte, bis sie ganz außer Atem war und ihm nicht mehr folgen konnte.

Longa-Poa lief zum Strande und setzte sich auf sein Boot, das dort auf den Sand gezogen war. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte laut; seine jungen Leute sammelten sich um ihn herum und schwiegen beklommenen Herzens.

»Seid ihr alle da?« sagte er schließlich, »Lolo-hea, Pulu, Tama-eiki, seid ihr alle hier?«

»Wir sind alle hier, Herr,« antwortete Lolo-hea mit unterdrückter [103] Stimme, denn die Not und Sorge ihres Herrn ging ihm und allen sehr nahe.

»Macht das Boot flott,« sagte der unglückliche Häuptling. »Bringt es ins tiefe Wasser!« Jubelnd gingen die jungen Leute an die Arbeit; sie zogen das Boot ins tiefe Wasser, so daß es flott wurde und nicht mehr auf dem Sand entlang schrapte. Dann erhob sich Longa-Poa und trat stramm und aufrecht vor die Seinen hin. Er sagte: »Hört an! Hört meine Worte und bewegt sie in eurem Herzen. Ich ziehe jetzt fort, und fürder soll mich niemand mehr Longa-Poa, den Tonganer, nennen. Fremd will ich dem Lande werden, wo jene Frau wohnt. Wer heute kleinmütig ist, gehe ans Land zurück und bleibe bei den Weibern. Wer aber seinen Anführer lieb hat und mutig ist, komme mit mir; wir wollen uns eine neue Heimat suchen und da bleiben. Ich habe gesprochen!«

Tiefes Schweigen trat ein, und die jungen Leute sahen einander an.

»Ich gehe mit,« sagte Pulu. Dabei liefen ihm die Tränen über die Backen; er dachte an Fonua, die ihm versprochen war, und ihre Freundinnen rüsteten schon das Hochzeitsfest. Pulu war ein liebenswürdiger Häuptling und Fonua ein über alle Maßen schönes Mädchen.

»Wir gehen alle mit,« sagte Lolo-hea. »Wir folgen dir, Longa-Poa. Wenn wir in der Wasserwüste sterben, sterben wir alle zusammen; und wenn wir ein neues Land finden, wollen wir die Leute dort bekämpfen; sie sollen unsere Sklaven sein, und du sollst als König über uns und sie herrschen.« Und so sprachen sie alle.


Die Meerfahrt der Verbannten

Sie trugen in aller Eile Lebensmittel und Wasser herbei und zogen das Segel hoch. Das große Boot machte gute Fahrt, und als die Sonne im Westen sank, verschwammen die Umrisse des Landes.

Da rief Longa-Poa mit heller Stimme zum Deckshaus, [104] wo er sich niedergelassen hatte, heraus: »Laßt euch das Herz nicht schwer werden, Leute! Wir machen gute Fahrt. Der Wind ist günstig! Die See ist glatt! Es wird heute nacht schön, denn viele Sterne stehen am Himmel. Seht nur, wie sie blinkern! Nun wird der Nordost dauernd blasen. Stimmt ein Lied an, damit unser Herz fröhlich wird; jene Frau wird nicht ewig leben bleiben, und wir können dann in Frieden zur Heimat wiederkehren.«

Moala, der Spielmann, begann den Bootsgesang; die jungen Leute klatschten in die Hände und hielten Takt, wenn sie mit einstimmten. Longa-Poa feuerte sie vom Deckshaus her an und sang zusammen mit ihnen. Als sie aber an die Stelle kamen, wo es im Liebe heißt:

»Die Sonne ist untergegangen, das Land ist weit entfernt«, zitterte die laute Stimme des Moala, sie wurde schwach und wimmerte wie die Stimme eines kleinen Kindes – eines Säuglings, der weinen will. Sie senkten den Kopf und weinten alle bitterlich, als sie nach der Heimat zurückdachten, welche die Dunkelheit verborgen hielt, nach ihren Häusern, Verwandtschaft, Freunden, denen sie nicht einmal mehr Lebewohl hatten sagen können, und die sie nie wieder sehen sollten.

Doch Longa-Poa sang weiter und saß auf dem Deckshause. Er sang ein anderes Lied; mit lauter Stimme sang er ernst ein Kampflied. Das scholl über die Wasser und übertönte das Weinen und Seufzen; es erzählte, wie in alten Zeiten sein Stamm die gewaltige Feste Wawau genommen hatte. Da währte es nicht lange, und die jungen Leute hoben wieder die Köpfe; ihr Weinen hatte ein Ende; ihr Mut wuchs, als sie den Worten lauschten; und als der Häuptling zu dem Triumphgesang kam, den die Väter nach dem Siege sangen, da ermannten sie sich; sie ließen den Kriegsruf erdröhnen, und stimmten in den Leib und Seele erschütternden Gesang ein, welcher »Das Lied vom Tode« benannt ist.

So segelten sie die Nacht und den ganzen folgenden Tag hindurch. Sie kamen an einer Insel nach der andern in der [105] Gruppe vorüber, bis schließlich auch Niue hinter ihnen in den Wassern versank. Nun sahen sie viele Tage lang kein Land mehr, und die Mannschaft sagte zueinander: »Wir sind über die Grenzen der Erde hinausgefahren. Hier gibt es nur noch Wasser.« Und trotzdem kamen sie in andere Länder; sie segelten unaufhörlich, und das Boot wurde ihr Haus und die See ihr Land; sie waren es auch gar nicht zufrieden, ruhig auf dem festen Lande zu bleiben; schon nach wenigen Tagen sehnten sie sich immer nach der Weiterfahrt. Sie waren rechte Meereskinder geworden.

Doch es würde zu lange dauern, wollte ich all die gewaltigen Taten erzählen, die sie in den vielen Ländern vollbrachten, wohin der Wind sie trug; die vielen Kämpfe und Feste, und all den Hunger und Durst und die Mühseligkeiten, welche sie durchmachten. Wie Moala, der Spielmann, heimtückisch am Strande einer Insel erschlagen ward, die einsam aus dem Meer emporragt; ein Speer wurde ihm durch den Rücken gejagt, als er Feuerholz einsammelte; wie Longa-Poa darauf das ganze Volk, Männer, Frauen und Kinder vertilgte, und nicht einen am Leben ließ, so daß dies Land bis heute noch ohne Menschen ist. Wie Pulu Fonua vergaß, weil er sich in ein junges Mädchen vergaffte, die ihn betörte, sich doch in den Mangrowen zu verbergen, wenn seine Gefährten abfuhren, und ihr Gatte zu werden; und wie sie ihn in derselben Nacht noch, als er schlief, ermordete und den Leichnam an ihre Freunde verschacherte. Wie Longa-Poa, als er am andern Morgen Pulu suchte, sah, wie ihre Sippschaft seinen Leichnam verspeiste und seinen Kopf mitten auf dem Dorfplatz auf einen Speer gesteckt hatte; wie dann die Tonganer ihren Kriegsruf ausstießen, angriffen und unter den Dorfbewohnern ein fürchterliches Blutbad anrichteten, und bis auf wenige, die in die Berge entflohen und so sich retten konnten, niemanden am Leben ließen. Wie sie darauf viele Tage umhersegelten, schließlich vor Hunger verzweifelten und mit dem Boot auf einen schlafenden Wal gerieten, auf ihn hinaufkletterten, [106] ihm mit ihren Speeren zusetzten, mit ihm kämpften und ihn schließlich töteten. Wie sie alsdann vor Stolz übermütig wurden und sagten: »Wir sind Götter! Wir sind Götter! Kein Menschenkind kann solch gewaltige Taten vollbringen, wie wir es taten.« Und wie die Götter es hörten und sehr unzufrieden wurden, und beratschlagten, wie sie die Übermütigen schlagen sollten. Das ist alles viel zu lang, als daß man es erzählen könnte.

Nachdem die Verbannten den Wal erschlagen hatten, wollte ihnen nichts mehr so recht gelingen. Wer wird denn auch Glück haben, wenn ihm die Götter zürnen? Zuerst schickten sie ihnen einen fürchterlichen Sturm, der zerriß das Segel und zerbrach den Mast, so daß das Boot beinahe unterging. Aber sie schöpften es aus und kämpften tapfer gegen den Sturm an; viele Tage hindurch trieben sie so auf dem offenen Meere und gelangten schließlich ganz matt vor Hunger und Strapazen an eine Insel. Sie landeten und wollten sich ausruhen und neue Kräfte sammeln; aber mitten in der Nacht wurden sie heimlich von den Bewohnern überfallen, die drei von ihnen erschlugen, ehe sie überhaupt Zeit fanden, ihre Waffen zu ergreifen. Zwei andere fielen im Kampf und Longa-Poa selbst erhielt einen Pfeilschuß in den Arm, als sie das Dorf am Morgen angriffen. Trotzdem nahmen sie es ein und brannten es mit allen Einwohnern nieder. Dann machten sie sich ein neues Segel und schnitten einen anderen Mast zurecht, der den im Sturm gebrochenen ersetzen sollte. Einige Tage ruhten sie sich aus, bis die Wunde des Häuptlings geheilt war. Dann segelten sie weiter, und nun kam das Ende.


Fekais Ende

Als sie zwei Tage auf See gewesen waren, sagte Longa-Poa zu einem seiner jungen Leute: »Steige jetzt auf den Mast und halte Ausschau. Vielleicht ist schon Land in Sicht!« »Es ist nichts zu sehen, Herr,« rief der Jüngling von oben, als er sich überall umgesehen hatte. Aber gerade in dem [107] Augenblick, wie er vom Mast herabgleiten wollte, entdeckte er weit weg über den Wassern einen dunklen Fleck, und er rief: »Ein Segel! Ein Segel!«

Da freuten sich die Tonganer; sie ergriffen ihre Waffen, und als das fremde Kanu sich ihnen mit schneller Fahrt näherte, stimmten sie »Das Lied vom Tode« an. Als es ganz nahe war, standen sie auf und machten sich fertig, um auf das fremde Boot hinüberzuspringen und die Mannschaft mit der Keule zu erschlagen; da entsank plötzlich dem Häuptling das Herz; er stieg vom Deckshause herab, stieß den Steuermann beiseite und luvte hart an den Wind. Die Mannschaft war starr vor Erstaunen; aber sie sollten sich nicht lange wundern; von dem fremden Kanu her erscholl ein lautes, wildes, schrilles Gelächter. Sie zitterten, als sie es hörten; sie kannten ja die Stimme – es war die Stimme von Fekai!

»Glück auf zur fröhlichen Seefahrt!« kreischte das entsetzliche Weib. »Glück auf zur fröhlichen Fahrt! Was für eine herrliche Reise habt ihr gemacht! Lang genug haben wir nach euch ausgeschaut, und nun haben wir euch endlich gefunden! Du schuftiger Häuptling! Du schurkische Mannschaft! Jetzt haben wir euch. Leute, erhebt euch und zeigt unseren Freunden, was für Geschenke wir ihnen mitgebracht haben.« Mit einem mörderischen Geschrei sprangen sie auf die Beine und schwangen ihre Waffen. »Da sind unsere Geschenke!« riefen sie. »Kommt jetzt und holt sie!«

Longa-Poa und seinen Leuten entfiel der Mut, als sie die Gesichter der anderen erkannten und sahen, daß es ihre Todfeinde waren. Da waren Tutui, der Häuptling von Haa-pai, dessen Bruder Longa-Poa erschlagen hatte, und Mafi, dessen Frau er gewaltsam entführt und einem seiner Krieger gegeben hatte – das Weib eines Häuptlings an einen gemeinen Mann! O unauslöschliche Schande! Es war wider seinen Willen, nur auf Betreiben von Fekai geschehen, die einst von Mafis Frau beleidigt worden war. Ferner waren da Fuaki, dessen Haus er verbrannt hatte, [108] und Moa, dessen Antlitz er mit einem Keulenhieb entstellt hatte. Auch der alte Naga aus Wawau befand sich bei ihnen, dessen beide Söhne er auf der See erschlagen hatte, weil sie das Segel nicht herabließen, als er sich ihnen näherte. Naga war alt und hatte weiße Haare; seine Glieder waren schwach; und trotzdem schwang er eine schwere Keule und schrie wilder als irgendeiner; der Gedanke an seine Söhne brannte ihm in der Seele und machte ihn stark. Diese Männer und noch viele andere hatte Fekai um sich versammelt, um ihren Gatten zu jagen, denn sie lechzte nach seinem Tode; und nun trafen sie nach vielen Tagen auf hoher See zusammen.

Da floh Longa-Poa vor seinem Weibe und versuchte zu entkommen; doch die Boote waren gleich schnell; er konnte ihr nicht entrinnen, doch konnte sie ihm auch nicht beikommen; denn sie hatte das Steuer in Lee gelegt, als er an den Wind luvte, um nicht gerammt zu werden; so fuhren beide Boote dicht am Winde; Longa-Poa hatte die Windseite. Drei Tage lang segelten sie so; er floh, und sie verfolgte – es war eine elende Zeit; denn am Tage konnten Longa-Poa und seine Leute sehen, wie die Feinde sie verfolgten; und in der Nacht gellte ihnen die fürchterliche Stimme der Fekai in die Ohren, die sie schmähte und verhöhnte.

Am vierten Tag kam Land in Sicht. Longa-Poa sagte zu den Seinen: »Laßt uns bei dieser Insel an Land gehen. Da wollen wir unsern Mann stehen. Wir werden eher als die andern dasein, denn wir haben ja die Führung. Sobald das Boot in den Sand knirscht, Leute, lauft ans Ufer; dann stellen wir uns auf und machen uns fertig, sie zurückzuwerfen, wenn sie landen.«

Er hielt auf den Strand zu, und Fekai jubelte vor Freude. »Sie gehen ans Land,« rief sie, »nun haben wir sie! Sie wollen ins Land flüchten.«

Sie waren noch nicht an die Insel heran, da trat eine böse Wendung ein; sie segelten in Wasser hinein, das brodelte [109] und zischte wie in einem Kochtopf; ein rasender Sturm erfaßte die beiden Boote, wirbelte sie herum, und trug sie immer näher an einen großen, schwarzen Felsen heran, wo die Wasser, weißschäumend, in eine tiefe, dunkle Höhle hineindonnerten, die – wie unsere Väter erzählen – eine der Stellen war, wo die Seelen der Verstorbenen nach Bulu, dem Geisterland, hinabstiegen. Hier gerieten die Boote hart aneinander; doch niemand dachte jetzt daran, den Feind zu erschlagen; alle kauerten sich vor namenlosem Entsetzen zusammen, und sogar Fekai schwieg. Ihr Boot sollte zuerst dran glauben. Nie hatte vordem ihre Zunge stillgestanden; doch schweigend fuhr sie in den Tod, und ihr Gekeife hatte nun ein Ende.

Als Longa-Poa das Boot in dem Schlund verschwinden sah, kam ihm der Mut wieder. »Sie ist fort!« rief er erleichterten Herzens; und er lachte dem Tode ins Antlitz.

»Frisch auf, Leute, noch haben wir gute Gelegenheit. Macht euch bereit, und sobald das Boot sich dem Felsen nähert, springt; es geht ums Leben!«

Noch während er sprach, wurde das Boot vom Sog erfaßt und rasch gegen die Felsen gewirbelt.

»Springt!« schrie Longa-Poa, tat einen gewaltigen Satz nach vorn und ergriff einen Strauch, der aus einer Felsspalte hervorwuchs. Es war ein fürchterliches Springen; doch er allein kam von allen nur ans Land. Als er sich umschaute, waren sie alle versunken; nur einem Jüngling war es gelungen, noch im Wasser, den Felsen zu erfassen. Einen Augenblick hielt er sich fest; dann ließ er mit dem Rufe: »Lebewohl, mein Herr!« los und gab sich selber den Tod. Quälender Schmerz durchfuhr Longa-Poa; doch freute er sich wiederum so, Fekai nun für immer los zu sein, daß ihm seine Verlassenheit und Einsamkeit in dem fremden Lande ganz nebensächlich dagegen erschien; er kletterte über die Felsen und gelangte an das sandige Ufer. Hier legte er sich unter eine Palme und schlief bald fest ein, denn er war schwach und matt.


[110]

Der Baum mit den ewigen Früchten

Als er am nächsten Morgen aufwachte und an seine braven Leute dachte und die Kämpfe, in die sie ihm gefolgt waren, wurde er tief bekümmert; wie treu waren sie ihm ergeben gewesen, wenn er sie dem Tode entgegenführte! Dann dachte er wieder an die Heimat, an Tonga; und die Sehnsucht, wieder dahin zurückzukehren, loderte in ihm auf. Doch wie sollte er zurückkommen? Sein Boot war versunken, die Mannschaft tot! Longa-Poa befand sich in bemitleidenswerter Lage. Er wurde sehr hungrig, denn die Bekümmernis der Seele vertreibt nicht die Leere des Magens. Er sagte sich: »Bleibe ich hier, dann komme ich vor Hunger um; ich will mich aufmachen und etwas zum Essen suchen. Begegnen mir dabei die Bewohner dieses Landes und töten mich, gut, ich kann nur einen Tod sterben.« Er nahm einen Knüppel in die Hand und begab sich auf die Suche nach Essen.

Er suchte den ganzen Tag über, doch er fand nichts, kein Essen, kein Haus, kein Lebewesen, nichts – nicht einmal eine lumpige Krabbe. Das Land war leer. Es standen wohl Palmen am Strande, doch die Nüsse waren so klein wie eine Apfelsine. Als der zweite Abend herankam, warf sich Longa-Poa in voller Verzweiflung auf den Boden; er weinte und beklagte sein jämmerliches Geschick. Da tönte plötzlich eine helle Stimme durch die Dunkelheit an sein Ohr und rief: »Longa-Poa! Longa-Poa!«

»Wer ruft mich?« rief er und sprang in großer Angst auf die Füße; doch die Stimme fuhr fort zu rufen: »Longa-Poa! Longa-Poa!«

»Hier bin ich, Herr!« rief er wieder, »hier bin ich elender, geschlagener Mann. Wo bist du, Herr? Wer redet mit mir?« Und als er auf die Palme blickte, an deren Fuß er gelegen hatte, sah er zwischen sich und dem sternenbesäten Himmel etwas Seltsames. Gerade am äußersten Ende eines Palmblattes, das nicht einmal eine Ratte hätte tragen können, [111] ohne sich zu biegen, saß ein altes Männlein und wippte auf und nieder, je nachdem wie der Nachtwind das Blatt hin und her bewegte. Es war sehr klein und nicht viel länger als der Arm vom Ellbogen bis zum Handgelenk; der Kopf war groß, ebenso die Augen, die in der Dunkelheit wie glühende Kohlen leuchteten, so daß Longa-Poa in dem strahlenden Lichte der Augen das Gesicht des alten Männleins erkennen konnte; da entsank ihm das Herz, denn nun wußte er, daß er mit einem Gotte gesprochen hatte.

»Warum weinst du, Longa-Poa?« fragte das Männlein. »Warum weinst du? Du bist doch ein Gott, nicht wahr. Das sagtest du doch, als ihr den Wal erschlugt? Warum weinst du denn also? Götter pflegen nicht zu weinen!«

Da erschrak der Häuptling sehr; er kauerte sich auf den Boden nieder und rang die Hände. »Sei nicht zornig, Herr!« sagte er demütig. »Sei mir nicht böse. Das waren törichte Worte. Und so viele sind tot; laß dir das genügen; oder genügt es nicht?«

»Wo ist dein Weib, Longa-Poa?« fragte das alte Männlein. Es kicherte häßlich und wippte dabei auf dem Palmblatt auf und ab. »Wo ist Fekai? Wo kann ich dies herrliche Weib finden? Weshalb flüchtetest du denn vor ihr, Longa-Poa? Du bist doch ein Gott, nicht wahr? Das sagtest du doch, als du den Wal tötetest? Götter pflegen nicht vor Weibern wegzulaufen.«

»Ich wünschte, du hättest sie zur Frau gehabt,« dachte Longa-Poa bei sich. »Und wenn du zehnmal ein Gott gewesen wärest, du hättest dich selig gepriesen, wenn du ihr hättest entrinnen können.« Aber er nahm sich schön in acht seine Meinung laut zu sagen; so antwortete er nur mit einem Seufzer.

»Wo sind deine Leute, Longa-Poa?« rief das alte Männlein. »Wo sind diese mächtigen, großen Götter? Es sind doch Götter, nicht wahr? Das sagten sie doch, als sie den Wal erschlugen. Sie können ja gar nicht in dem Wirbel da drüben ertrunken sein! Götter pflegen nicht zu ertrinken.«

[112] Und wiederum antwortete Longa-Poa mit einem tiefen Seufzer.

»Bist du hungrig, Longa-Poa?« fragte der Quälgeist. »Was hast du bloß für Verehrer? Du bist doch ein Gott, nicht wahr? Weshalb veranstalten sie kein Fest für dich? Götter pflegen nicht zu hungern. Sie essen und werden satt.« Da wallte es im Häuptling auf, er wurde fast verrückt vor Wut; trotzdem wagte er kein Wort zu sagen, und das alte Männlein machte sich weiter über ihn lustig.

»Willst du nach Tonga zurück, Longa-Poa?« fragte er grinsend. »Wo ist dein Boot? Liegt es vor Anker, oder ist es gar auf den Sand gezogen? Rufe doch deine Leute, Longa-Poa; hißt euer Segel und fahrt bei dem schönen Winde los. Du bist doch ein Gott, nicht wahr? und Götter gehen, wohin sie wollen.«

»Haltet ein!« rief Longa-Poa und sprang auf. »Macht Euren Worten ein Ende. Nun ist's genug. Ich kann es nicht länger ertragen. Mein Boot ist versunken; meine Mannschaft ist ertrunken; ich bin hungrig; ich möchte nach Tonga zurück; hier bin ich ein Fremder im fremden Land. Darum muß ich weinen. Komm doch von der Palme herunter und töte mich. Ich kann nur einmal sterben, und der Tod ist noch nicht so bitter, wie herbe Worte für einen Hilflosen und Mann ohne Freunde.«

Das alte Männlein schüttelte sich vor Lachen. O, er lachte unbändig auf seinem luftigen Blattsitze. »Ausgezeichnet gesprochen, Longa-Poa!« rief erschließ lich. »Deine Worte sind gut! Du bist doch ein braver Mann; und wenn du auch kein Gott bist, ich habe trotzdem mit dir Mitleid. Sei guten Mutes, deine Leiden haben ein Ende. Mach' einen Ofen fertig, denn zuerst muß einmal dein Hunger befriedigt werden.«

»Du machst dich über mich lustig,« sagte Longa-Poa. »Weshalb soll ich einen Ofen fertig machen? Wo sind denn die Speisen?«

»Hebe eine Kochgrube aus und mach' sie heiß,« bekam er [113] zur Antwort. »Das ist deine Arbeit, ich sorge für die Speisen.« Da machte er den Ofen fertig; er grub eine Höhlung in den Sand, packte sie voll mit trockenem Holz und legte obenauf Steine; und der Gott warf ihm einen Feuerbrand herab, um das Holz in Brand zu setzen. Nach einer Weile fragte das Männlein wieder:

»Ist der Ofen fertig? Sind die Steine schön heiß? Geh' nun zu dem Baum rechterhand, brich einen kleinen Zweig ab und bring ihn her. Lege ihn auf die heißen Steine, und decke den Ofen gut mit Erde zu.«

Doch der Häuptling wurde sehr zornig. »Das ist noch schlimmer als alle Eure Spöttereien,« rief er. »Zu welchem Zweck soll ich den Knüppel denn rösten? Kommt doch lieber von der Palme herunter und schlagt mich gleich tot!«

»Tu, was ich dir sage, törichter Mensch!« entgegnete der Gott. »Gehorche meinen Worten, und dein Hunger wird befriedigt werden. Weshalb sollte ich etwa deinen Tod wünschen?«

Da legte Longa-Poa den Zweig in den Ofen und bedeckte ihn sorgfältig mit Erde. Und als er das getan hatte, setzte er sich schweigend, noch immer ungläubig, hin, während das alte Männlein mit dem dicken Kopf und den glühenden Augen auf dem Ende des Palmblattes auf und ab wippte.

»Die Speisen sind gar!« rief er endlich. »Hol' dir deinen Schmaus heraus, Longa-Poa, nun ist er fertig.«

Longa-Poa entfernte die Erde von den Steinen und erwartete, nur einen verbrannten Zweig zu finden. Doch kaum hatte er das Holzstück, das er zum Graben benutzt, angesetzt, da stieg ihm ein wundersamer Duft in die Nase, und er jubelte vor Freude.

»Es riecht schön,« sagte das Männlein und schnupperte in der Luft. »Ja, es ist ein wunderschöner Duft! Grab, Longa-Poa, grab, wir wollen zusammen schmausen.«

O, wie freute sich Longa-Poa, als er die Erddecke von dem Ofen fortgeräumt hatte! Denn, sieh da, unter den großen [114] Blättern, mit denen er den Zweig nach altem Gebrauch bedeckt hatte, erblickte er ein großes Schwein und Enten und Hühner und Schildkröten, viele Arten Fisch, Yams, süße Kartoffeln – ein reiches Mahl! und alles war so schön zubereitet, so lecker anzusehen, und duftete so herrlich. »Das ist doch wirklich wunderbar!« sagte Longa-Poa.

Sie aßen zusammen, bis ihr Hunger befriedigt war. Longa-Poa langte tüchtig zu; er hatte ja so lange fasten müssen; doch, obschon er soviel Mal größer war als sein Genosse – nur der Kopf war es nicht –, er konnte nicht den zehnten Teil von dem essen, was das alte Männlein verspeiste; und er konnte sein Erstaunen nicht lassen, wie er es nur fertig kriegte.

»Ich bin durstig,« sagte das alte Männlein, als sie fertig waren. »Steig doch auf eine Palme, Longa-Poa, und wirf einige von den grünen Nüssen herab, die wollen wir trinken.«

»Die Nüsse sind nur klein, Herr,« erwiderte der Häuptling. »Keine ist auf der Insel ausgewachsen. Ich habe ja den ganzen Tag danach gesucht.«

»Steig nur hinauf,« sagte der andere; Longa-Poa tat, wie ihm geheißen wurde, und warf ein Bündel kleiner Nüsse herab. Als er von der Palme herunterkam, rammte er einen oben zugespitzten Stock in den Boden und entfernte damit die Hülsen; dann bohrte er ein Loch in eins der Keimlöcher, gab die Nuß dem Männlein zu trinken und machte sich selber eine zurecht. Er trank und trank so lange, bis sein Durst gestillt war, und als er aufhörte, war noch immer in der Nuß Wasser, obgleich er doch getrunken hatte, bis er nicht mehr trinken konnte. »Das ist wieder wunderbar!« rief er. »Hier ist wirklich das Wunderland.« Das alte Männlein lachte ihm lustig zu.

»Und nun, Longa-Poa,« sagte er, »ist es Zeit zu gehen, wenn du noch vor Sonnenaufgang in Tonga sein willst.«

»Nach Tonga!« rief der Häuptling schmerzvoll, und seine Augen wurden naß. »In Tonga vor Sonnenaufgang! [115] Wunderbar war das Essen, und wunderbar die Nuß; aber in Tonga noch vor Sonnenaufgang zu sein, das wäre das Wunder aller Wunder. O, weh! die Sterne fangen im Osten an, blaß zu werden. Habt Mitleid mit mir, Herr, und scherzt nicht mehr.«

»O, du ungläubiger Mensch!« sagte der Gott. »Zweifelst du noch immer an meinen Worten? Ist es denn wirklich eine solch gewaltige Tat, dich nach Tonga zu schicken, bevor noch die Sonne aus dem Meere emporsteigt? O nein! das ist ein Kinderspiel! Geh nun nach dem Baum, von dem du vorhin einen Zweig abpflücktest, und hole dir einen anderen; den pflanze in Tonga ein, und dann brauchst du nie wieder zu hungern. Hernach komm wieder hierher.«

Longa-Poa tat, was der Gott ihm befahl; und als er wiederkam, erblickte er einen unheimlich großen Vogel! – Der war so groß, daß die Palmen ihm nur eben an die Brust reichten, wenn er über den Boden lief – da wurde er bange.

»Fürchte dich nicht!« sagte das alte Männlein. »Das ist mein Vogel; der tut dir nichts zuleide. Binde dich mit dem Hüfttuch an seinen Beinen fest. Binde dich oberhalb der Kniee recht fest, und sei nicht bange. Er bringt dich nach deiner Heimat zurück; und wenn du nach Tonga kommst, pflanze sofort den Zweig vom Baum mit den ewigen Früchten ein. Pflanze ihn vor Sonnenaufgang ein. Achte darauf. Vor Sonnenaufgang; vergiß das nicht! Und nun, Longa-Poa, lebewohl; du mußt gehen. Mitternacht ist schon vorüber.«

»Ich bin Euer Diener, Herr!« sagte der Häuptling und band sich oberhalb der Kniee an den Beinen des Vogels fest. »Fortan und stets will ich Euer Diener sein, denn Ihr seid der mächtigste Gott.« Damit breitete der große Vogel seine Schwingen aus und trug ihn schnell fort. Als er sich vom Erdboden erhob, zog er seine Beine an und hielt ihn so fest und sicher an der Brust.

»Lebewohl, Longa-Poa!« rief das alte Männlein ihm mit [116] seiner schrillen, weithin schallenden Stimme nach. »Lebewohl. Denke daran, daß du den Zweig vor Sonnenaufgang einpflanzst! Und weiter, Longa-Poa! Wenn du jemals wieder einen Wal töten solltest, dann glaube deshalb noch nicht, ein Gott zu sein.« Man hörte noch ein scharfes, schrilles Lachen, als der Vogel hoch in der Luft durch die Nacht entschwebte.

Als der Tag herankam, ließ der Vogel sich nahe der Königsstadt auf Tonga-Tabu nieder. Longa-Poa band sich los und lief nun außer sich vor Freude in die Stadt. Und wen sah er da aus dem Hause des Königs herauskommen? Sein einziges Söhnlein, seinen Wea! Und als er ihn sah, hatte er für nichts anderes Sinn, obgleich er den Zweig in der Hand hielt. Er hatte ja seinen Jungen im Arm, der ihn um den Hals faßte und laut rief:

»Vater! mein Vater! Es ist ja der Vater! Er ist nicht tot, wie sie alle sagen. Er ist wiedergekommen. Mein Vater! mein lieber Vater!« Bei dem Rufen erwachte der König. »Was ist los?« rief er wütend. »Was soll das bedeuten?« und ergriff die Keule und eilte zum Hause hinaus. Aber als er sah, wer da war, warf er die Keule zu Boden und eilte Longa-Poa entgegen. Er umarmte und küßte ihn; er weinte, denn er hatte ihn lieb und gedacht, daß er schon lange tot sei.

Die Neuigkeiten sprachen sich rasch um, und bald war die ganze Stadt auf den Beinen und eilte zum Hause des Königs, um den großen heimgekehrten Häuptling zu begrüßen. Nur Fonua kam nicht mit. Sie schämte sich. Sie war des Wartens auf Pulu müde geworden und hatte den einäugigen Lua geheiratet, der sie jeden Tag verprügelte.

»Komm ins Haus, Longa-Poa,« sagte der König, »denn draußen wird es heiß!«

»Die Sonne!« schrie Longa-Poa vor Schrecken und sah auf den Zweig, den er noch in der Hand hielt. »Die Sonne! O, ich unglücklicher Mann!« Hastig kratzte er mit den Fingern ein Loch in den Boden, setzte den Zweig hinein und [117] rief einige Leute herbei, die sofort einen Zaun darum machen sollten. Der König erlaubte es, denn es geschah auf seinem Grund und Boden.

»Was ist los? Warum bist du so verstört, Longa-Poa?« fragte er. »Kommt mit ins Haus,« war die Antwort, »da will ich Euch alles erzählen. Es ist eine lange, traurige Geschichte.«

Sie gingen hinein, und es folgten ihnen die Leute, die dort Zutritt hatten. Und Longa-Poa erzählte, wie es ihm ergangen war. Der König und die übrigen hörten ihm in atemlosem Schweigen zu, bis er fertig war. Dann sagte der König: »Das sind ja wundersame Dinge!« und die Leute antworteten: »Fürwahr!«

An diesem Tage herrschte große Freude auf Tonga-Tabu, weil ihr als tot betrauerter, großer, kluger, mächtiger Häuptling, die Stütze des Landes, endlich zurückgekommen war. Doch in der Verwandtschaft der Verstorbenen wurden auch viele Tränen vergossen.

»Also ist Fekai verschieden!« sagte der König. »Sie war wirklich eine eigenartige Frau. Wir wollen heute ihr Totenfest feiern. Leute, es soll ein großes Fest werden, denn sie war eine vornehme Frau und die Tochter eines Königs.«

Da bereiteten die Leute das Totenfest und betrauerten Fekai, daß sie tot war. Viele Stimmen wehklagten, aber kein Auge wurde naß; und als der alte Afu, nachdem das Fest vorüber war, laut sagte: »Im Leben tat sie nie Gutes, doch im Tode hat sie es getan; ich habe auf ihre Rechnung gegessen, und bin mehr als satt,« da brüllten sie alle vor Lachen, und Longa-Poa lachte am lautesten.

Nun hatte der König keine Söhne. Töchter besaß er in großer Menge, aber Söhne hatte seine Frau ihm nicht geschenkt. Als er im Jahr darauf starb, wurde Longa-Poa zum Tui oder König von Tonga gemacht; er herrschte an seiner Stelle, denn er stammte aus königlichem Geblüt, und alle Leute verehrten ihn. Longa-Poa war ein guter König, weil er auf seinen Fahrten viel kennen gelernt hatte. Er war [118] milder und demütiger geworden seit dem Augenblick, wo Fekai ihm den Haarbüschel ins Gesicht geworfen und ihn mit dem Stock zum Haus hinausgeprügelt hatte.

Der Zweig vom Baum mit den ewigen Früchten wuchs kräftig an und gedieh prächtig; als er jedoch einen Zweig röstete, wie er es auf der wüsten Insel getan hatte, stieg kein würziger Geruch aus dem Ofen auf; und als man ihn aufdeckte, fand man eben nur einen Zweig darin; denn war die Sonne nicht schon aufgegangen, als der Zweig gepflanzt wurde?

Und häufig sagte er mit einem Seufzer, wenn er zum Baum aufblickte: »O, hätte ich doch an die Worte des alten Männleins gedacht!«

Damit schließt die Geschichte von Longa-Poa.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 101-119.
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