Wunder.

[171] Es war einmal ein König, der sehr jung verheiratet wurde und ungemein glücklich war. Aber das Glück währte nur kurze Zeit und er mußte bald einen schweren Kummer erleben; denn als er ungefähr ein Jahr lang verheiratet war, verlor er seine geliebte Königin, nachdem sie ihm ein kleines Mädchen geboren. Als sie merkte, daß sie dem Sterben nahe war, nahm sie dem König das Gelübde ab, daß er sieben Jahre lang Witwer bleibe und wenn er sich dann wieder vermählen wolle, dürfe er keine andere Frau wählen, als diejenige, die das kleine Mädchen selbst als Mutter wünsche, wenn sie darum gefragt werde.

Das versprach ihr der König hoch und theuer und dann starb die Königin und wurde begraben und der[172] König betrauerte sie im innersten Herzen. Sie waren ja immer so froh und glücklich miteinander, so lange sie beisammen waren. Die kleine Prinzessin bekam eine Amme und gedieh vortrefflich und diese Amme war so lieb und gut und so voll mütterlicher Sorgfalt gegen das königliche Kind, daß sie unmöglich zärtlicher und liebevoller gegen dasselbe hätte sein können, wenn sie die eigene Mutter des Kindes gewesen wäre.

Und die Prinzessin gewann ihre Amme auch so lieb, als wäre sie ihre rechte Mutter. Aber alle diese Ammen-Liebe war nichts anderes als schlaue Berechnung und Verstellung, denn als das Kind nachderhand aufwuchs, sprach sie oft mit ihm darüber, wie traurig es für sie beide sein müßte, wenn sie von einander getrennt würden und wie schön und vortrefflich es wäre, wenn sie immer beisammen bleiben könnten, und endlich, als die Prinzessin in ihr siebentes Jahr ging, sagte die Amme es ihr gerade heraus, daß sie ihr Vater, wenn sie ihr siebentes Jahr vollendet habe, gewiß um Rath fragen werde, mit wem er sich wieder verheiraten solle und wen sie selbst am liebsten als Mutter haben möchte und da müßte sie antworten, daß dies ihre Amme wäre, weil sie sonst gewiß eine Stiefmutter bekäme, die böse mit ihr sein würde.

Und es ging auch alles ganz so, wie es die schlaue[173] Amme berechnet hatte. Als die Prinzessin sieben Jahre alt war, bat sie ihren Vater, daß er die Amme heiraten möchte und er glaubte nichts anderes thun zu dürfen, nachdem er ihrer Mutter am Todtenbett das Gelübde gemacht hatte. Und so wurde denn die Amme Königin. Aber von Stund an war es auch vorbei mit all' der Liebe, die sie der Prinzessin geheuchelt. Sie hatte selbst eine Tochter, die jetzt an den Hof geholt und bei jeder Gelegenheit der Prinzessin vorgezogen wurde und außerdem suchte die böse Stiefmutter noch sie bei dem König verhaßt zu machen, indem sie sie tag aus, tag ein wegen allerlei schlechten Streichen, die sie all ihre Lebtage nicht gemacht hatte, verklagte. Der König hörte nie etwas anderes als nur Gutes von seiner Stieftochter und alles mögliche Schlechte von seiner eigenen Tochter. Er schimpfte sie zwar oft, aber er verlor seine Zuneigung zu ihr doch nicht aus dem Herzen, die Prinzessin jedoch wurde scheu und fürchtete sich vor ihrem Vater und kam ihm so selten als möglich unter die Augen.

So standen die Dinge, als die Prinzessin fünfzehn Jahre alt war und da geschah es, daß der König auf einige Zeit fortreisen mußte, um an den Grenzen des Landes Krieg zu führen und währenddem sollte die Königin allein regieren und alles daheim besorgen.[174] Da dachte sie früh und spät darüber nach, wie sie es nur anstellen sollte, um Vater und Tochter so zu trennen, daß ihr die Prinzessin ganz aus dem Wege geräumt würde und ihre eigene Tochter an deren Stelle käme. In solchen Gedanken ging die böse Königin einmal in den Wald hinaus und war bei übelster Laune, denn der König durfte schon bald daheim erwartet werden und sie hatte noch immer nichts ausfindig machen können, das zum Ziele geführt hätte. Da kam eine alte Hexe aus dem Wald heraus auf sie zu und fragte, warum die Königin so niedergeschlagen sei und sie meinte ihr schon helfen zu können, wenn sie sich ihr anvertrauen wollte. Die böse Königin theilte dann der Hexe ihren Kummer mit und diese versprach ihr schon einen guten Rath schaffen zu wollen. Sie möge nur am nächsten Tag wieder heraus in den Wald kommen, da wollten sie zusammentreffen.

Die Königin war zur bestimmten Zeit an Ort und Stelle und da kam auch die Hexe gleich zu ihr. Sie hatte inzwischen alle wilden Thiere des Waldes gemolken und aus dieser Milch einen winzig kleinen Käse gemacht, welchen sie der Königin gab. Diesen sollte die Prinzessin, ihre Stieftochter, zu essen bekommen; dann würde sie die Folgen davon schon sehen. Aber die Prinzessin müsse den Käse ganz freiwillig [175] nehmen, sonst hülfe es nicht. Die Königin nahm den Käse mit nach Hause und legte ihn an eine Stelle, wo er der jungen Prinzessin gleich in die Augen fallen mußte. »Ah, das ist aber ein niedlicher kleiner Käse,« rief sie, »den muß ich gleich haben!« Und der Käse schmeckte sowohl süß als gut und die Königstochter verzehrte ihn freiwillig ganz und gar. Aber das kam ihr theuer zu stehen, denn sie fühlte sich krank darauf und verlor von Tag zu Tag ihr gutes Aussehen, wurde blässer und schwerer und schwerer; und ehe noch der König heimkam, sah sie aus wie eine Frau, die ein Kind unter dem Herzen trug.

Als dann der König nach Hause kam, zog ihm die Königin entgegen und er fragte sogleich nach seiner Tochter. Da schnitt die Königin ein sehr betrübtes Gesicht und bat ihn, nicht allzuböse zu werden oder allzuhart gegen seine eigene Tochter zu sein; denn es könnte ja nicht geleugnet werden, daß sie sich während seiner Abwesenheit sehr übel aufgeführt habe. Da ließ der König seine Tochter gleich vor sich kommen und sobald er sie erblickt hatte, wandte er sich von ihr ab.

Er sprach kein Wort zu ihr, sondern ließ zwei seiner treuen Diener rufen und befahl ihnen, sie in einen Wagen zu setzen und mit ihr tief in den Wald [176] hineinzufahren, wohin nie ein menschliches Wesen kam; da sollten sie sie tödten und ihm zum Beweis dafür, daß sie seinen strengen Befehl ausgeführt hatten, ihr Herz, ihren kleinen Finger und ihre blutgetränkten Kleider nach Hause bringen.

Die Königstochter wußte nicht, was das alles bedeuten sollte. Ihr Vater wollte gar nichts mit ihr sprechen und sie wußte doch nichts anderes schlechtes von sich, als daß sie sich krank und elend fühlte. Dann nahmen sie des Königs Diener und fuhren mit ihr tief in den wilden Wald hinein. Da hielten sie stille und geboten ihr, stehen zu bleiben und sagten ihr jetzt, daß sie den strengen Befehl hätten, sie zu tödten und daß sie ihrem Vater, dem König, ihr Herz, ihren kleinen Finger und ihre blutgetränkten Kleider bringen müßten. Da fing die Prinzessin zu bitten an, doch ihr Leben zu schonen und versprach den beiden Dienern zugleich, daß sie sich nie mehr blicken lassen wolle in ihres Vaters Reich. Die Diener hatten Mitleid mit der armen Königstochter und wollten recht gerne ihr Leben schonen, wenn sie nur damit nicht ihr eigenes Leben in Gefahr gebracht hätten. Da erblickten sie plötzlich ein kleines Hirschkalb, das sich ein Bein gebrochen hatte und deshalb seiner Mutter nicht mehr folgen konnte. Dieses ergriffen sie und tödteten [177] es, schnitten ihm das Herz aus dem Leibe und tränkten die Oberkleider der Prinzessin mit dem Blute des Kalbes. Denn die Kleider mußte sie hergeben und ebenso mußte sie einen kleinen Finger opfern; aber das that sie ja alles gerne, um nur ihr Leben zu retten.

Die beiden Diener fuhren dann wieder heim mit den Beweisen, die sie hatten, während die Prinzessin immer tiefer und tiefer in den Wald hineinging. Es war ein ungeheuer großer Wald, welcher des Königs Reich von andern Ländern trennte. Und sie ging so lange durch denselben, bis sie auf der andern Seite wieder herauskam. Aber alle wilden Thiere des Waldes schaarten sich um sie; sowohl Hirsche als Hasen, Wölfe und Füchse, wie überhaupt alle die wilden Thiere, welche im Walde hausen und leben. All' diesen schien es, als hätte das Mädchen irgend einen Theil von ihnen in sich. Sie thaten ihr nichts, aber sie wimmelten um sie herum und umringten sie ganz, so daß sie vor ihnen kaum vorwärts kommen konnte und dabei hatte sie immer eine gräßliche Angst, daß sie sie zuletzt noch zerreißen würden; denn sie winselten und heulten und brüllten und bellten um sie herum von allen Seiten. Sie beeilte sich, weiter zu kommen und zwar so sehr sie nur konnte; aber als es Abend wurde, konnte sie nicht mehr und sank vor Mattigkeit unter [178] einem Baume nieder. Da sammelte sie ihre letzten Kräfte, um auf den Baum hinaufzuklettern, damit sie die Nacht oben in Frieden vor den wilden Thieren zubringen konnte.

Als die Königstochter auf den Baum hinaufgekommen war und ein gutes Lager gefunden hatte, fiel sie in einen tiefen und süßen Schlaf, und schlief bis die Sonne wieder am Himmel emporstieg. Da erwachte sie. Sie zitterte zwar vor Kälte, aber sie fühlte sich doch wunderbar gestärkt und erquickt durch den Schlaf; und sie fühlte sich so erleichtert und so frei und als sie sich genauer betrachtete, fand sie, daß ihr ganzer Leibesumfang verschwunden und sie wieder so schlank und so schmal war, wie früher, bevor sie in diese Krankheit verfiel. Das war ja eine große Freude und sie hatte jetzt keinen andern Gedanken mehr, als sobald als möglich aus dem Wald hinaus zu kommen. Sie ließ sich vom Baume heruntergleiten und lief bis Mittag beständig gerade aus, da konnte sie endlich den Rand des Waldes und davor offenes Land erblicken.

Aber als ihre Blicke so hinaus über das fremde Land schweiften, da fiel es ihr erst recht ein, wie unglücklich und verlassen sie doch war. Sie warf sich auf die Erde und brach in Thränen aus und rang ihre Hände und klagte Gott im Himmel ihre Noth.

[179] Jetzt hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich, welche rief: »Da bin ich, Mütterchen! Warte doch und nimm mich mit!« Sie sah sich nach allen Seiten um, aber sie konnte nichts anderes erblicken als einen kleinen schwarzen Hund, welcher hinter ihr drein gelaufen kam und bellte und mit dem Schweife wedelte. Und das war auch der, welcher gerufen hatte und nun zu ihr springend und schwänzelnd kam und an ihr hinaufsprang und sie Mutter nannte und sagte, daß er ihr Sohn sei, den sie in der vergangenen Nacht geboren habe. »Du mußt mich ›Wunder‹ rufen,« sagte er, »und brauchst dich jetzt nicht mehr zu sorgen und zu weinen, Mütterchen! Gehe nur mit mir; ich werde schon so für dich sorgen, daß du gar nichts entbehren sollst.«

Das war wirklich ein Wunder und die Königstochter konnte nicht begreifen, daß der Hund ihr Sohn sein sollte. Aber hülflos wie sie war, munterte es sie doch auf, diesen zu sehen und zu hören, und sie überließ es ihm, sie zu führen, und folgte ihm, wohin er ging.

Wunder lief voraus und zwar wieder eine kurze Strecke in den Wald hinein zu einem Hügel hin, an ein liebliches, von hohen Bäumen beschattetes Plätzchen, an welchem eine Quelle rieselte und eine freie[180] Aussicht, weit über das fremde Land, wo die Sonne schien und die Vögel sangen, darbot. »Mütterchen, hättest du nicht Lust hier zu wohnen?« fragte Wunder. »O ja, aber in was sollte ich denn wohnen?« sagte die Prinzessin. »Das wirst du gleich zu sehen bekommen,« erwiderte Wunder und sprang schnell hin und her, wedelte mit dem Schweif und kratzte mit den Pfoten und biß mit seinen scharfen Zähnen Zweige ab; und bald hatte er eine zierliche, kleine Hütte, halb vertieft in den Hügel, halb hervorschauend, theils gegraben und theils hergerichtet. Darauf scharrte er einen Haufen dürres Laub und Gras zusammen und sagte: »Lege dich jetzt nur ein wenig nieder und ruhe hier aus, Mütterchen! Ich werde bald wieder zurück sein.«

Das Land, das man im Walde vom Hügel aus überschauen konnte, war nicht das, über welches der Vater der Prinzessin regierte, und in nächster Nähe des Waldes befand sich der Hof eines Königs und da wohnte ein königlicher Prinz darin und das war ein Nachbar des Vaters unserer Prinzessin, denn der große Wald bildete ja die Grenze zwischen ihren Ländern.

Also zu dem Schloß des königlichen Prinzen lief der kleine schwarze Hund und alle Thüren und Thore[181] sprangen vor ihm auf, sobald er mit seinen kleinen Pfoten nur daran kratzte. Und er lief hinein zur Wäscheoberaufseherin des Schlosses und sagte: »Ich heiße Wunder. Ihr könntet mir wohl ein paar Decken und Polster für meine Mutter überlassen; sie liegt draußen im Wald und friert.« Da warf ihm die Wäscheoberaufseherin ein paar alte Fetzen hin, aber die wollte er nicht einmal anrühren. »Eure Fetzen könnt Ihr für Euch behalten!« sagte er und war mit einem Sprunge oben in der Schlafkammer des Prinzen und nahm das beste Bettzeug, das sich in des Prinzen eigenem Bett befand, und lief damit in den Wald zur Prinzessin hinaus. Alle sahen ihm erstaunt nach und konnten sich nicht genug darüber wundern, wie viel der kleine Hund tragen konnte. »So, Mütterchen, jetzt mache dein Bett!« sagte Wunder, »aber nun sollst du dich auch ein wenig mit Speise laben. Ich werde gleich wieder zurück sein.«

Dann lief der kleine schwarze Hund wieder in das Schloß des Prinzen und gleich in die Küche hinein. »Ich heiße Wunder!« sagte er. »Ihr habt wohl ein wenig zu essen für meine Mutter, die draußen in Walde liegt und hungert.« Da warf ihm der Koch einige Fleischknochen hin. »Eure Knochen könnt Ihr selbst behalten, es wäre ja eine Schande, so etwas von [182] Euch anzunehmen,« sagte Wunder und sprang auf den Küchentisch hinauf und schnappte nach dem für den Prinzen bestimmten Braten, der auf einer silbernen Schüssel lag, und lief dann mitsamt der Schüssel und dem Braten schnurstracks in den Wald hinaus. »Ich komme gleich wieder,« sagte Wunder und war augenblicklich auf den Beinen und lief zurück in's Schloß des königlichen Prinzen.

Jetzt lief er in den Weinkeller und sagte zu dem Mundschenk: »Ich heiße Wunder. Ihr habt doch wohl noch etwas zu trinken für meine Mutter, welche draußen im Walde liegt und durstet.« Da deutete der Mundschenk auf einen Topfscherben, in dem sich ein Ueberrest von saurer Milch befand, der für die Katze bestimmt war, und sagte, das könne er haben. »Eure saure Milch könnt Ihr selbst behalten,« antwortete der Hund und war mit einem Sprung oben im Saal und auf der Tafel des Prinzen und schnappte dessen silbernen Krug mit Bier und dessen gefülltes Weinhorn weg und lief damit hinaus in den Wald zu der Prinzessin. Da lebte sie nun so geraume Zeit und erholte sich, daß sie wieder gesund und kräftig wurde und wenn sie irgend etwas brauchte, so holte es ihr Wunder aus dem Schloß des Prinzen.

Bis jetzt haben wir immer nur von zwei Königreichen [183] gehört, aber da war noch ein drittes da auf demselben Ende der Welt und das befand sich auf der andern Seite des Landes dieses Prinzen. Ueber das herrschte ein alter König, der drei Töchter besaß, die nichts weniger als ganz jung waren und von denen eine häßlicher und boshafter aussah als die andere. Diese hätten gar zu gerne geheiratet und auch der Vater hätte sie gerne verheiratet gesehen; aber er wollte haben, daß es mindestens Prinzen sein sollten, die seine Töchter zu Frauen nähmen. Aber es zeigten sich keine Freier und Jahre kamen und gingen – und die Töchter des Königs wurden immer häßlicher und häßlicher und immer boshafter und boshafter.

Nun traf es sich so, daß der königliche Prinz, bei dem Wunder immer die vielen guten Sachen holte, noch ein junger, unverheirateter Mann war, der aber ein viel kleineres Reich besaß als der alte König, sein Nachbar. Zu dem schickte der alte König mit der Botschaft, ob er nicht vielleicht Lust habe, sich mit einer seiner drei Töchter zu vermählen; er könnte selbst wählen, welche er wolle. Der Prinz aber ließ ihm antworten, daß er keine von allen dreien miteinander wolle. Das war eine grobe Beleidigung für den alten König, der schwor, daß er sich rächen werde. [184] Und er ließ sein Kriegsheer ausrücken und kündigte dem Prinzen den Krieg an; und es wurde eine Schlacht geliefert, in der der alte König Sieger blieb; und der Prinz gerieth in seine Gefangenschaft. Er wurde in den Keller eines Gefängnißthurmes geworfen und da saß er mehrere Tage lang. Dann kam ein Bote vom König und sagte: »Der König, mein Herr, läßt dir kund und zu wissen thun, daß du eigentlich für den Schimpf und Spott, den du ihm angethan, verdientest gehenkt zu werden; trotzdem aber will der König Gnade für Recht ergehen und dir das Leben und dein Erbland lassen, unter der Bedingung, daß du jetzt eine seiner Töchter als Braut und Gattin wählst.« Aber der Prinz antwortete kurz und bündig, daß er dies nun und nimmer thue. Hatte er es freiwillig nicht gethan, so wollte er es jetzt gezwungen noch viel weniger thun. Da wurde das Todesurtheil über ihn gefällt und der Tag seiner Hinrichtung festgesetzt.

Als der gefangene Prinz einsam tief unten in seinem Thurm saß und viele traurige Gedanken seinen Kopf durchkreuzten, kam auf einmal ein kleiner Hund zu ihm hinein. Er war nur klein und mochte wohl eine Ritze oder ein Loch gefunden haben, durch das er hereingeschlüpft war; und der Hund war kein anderer als Wunder. Er sprach mit dem Prinzen und [185] fragte ihn, ob er nicht gerne aus seinem Gefängnisse herauskommen wollte. »O ja!« antwortete der Prinz und das wird ihm wohl jeder gerne glauben. »Gut,« sagte Wunder, »wenn du meine Mutter heiratest, dann kann und will ich dich in Freiheit setzen.« – »Deine Mutter?« fragte der Prinz, »wer und was für eine ist sie denn? wie sieht sie aus?« – »Ich heiße Wunder,« antwortete der Hund, »und so kann sie auch heißen, denn wir sind ja aus einem Blut.« – »Nein, schönsten Dank!« rief der Prinz aus; »mich mit einem Hund zu verheiraten, das thue ich eben so wenig, als ich eine von den alten, boshaften Prinzessinnen zur Frau nehme.«

Daraufhin war Wunder augenblicklich verschwunden. Aber am Tage vor der Hinrichtung kam er wieder zu dem Prinzen in den Thurm und sagte: »Nun, hast du dir's jetzt schon überlegt, ob du meine Mutter heiraten und damit dein Leben, deine Freiheit und dein Erbland retten willst? Sonst ist, wie du ja weißt, morgen alles vorbei.« – »Ja, wenn sie nur irgend ein Frauenzimmer – und keine von den drei alten boshaften Prinzessinnen wäre,« sagte der Prinz, »dann wollte ich sie gerne für mein Leben, meine Freiheit und mein Erbland heiraten. Aber einen Hund – davon kann ja gar nicht die Rede sein.« – »Ja, [186] wenn du dich mit meiner Mutter verheiraten willst,« sagte Wunder, »dann mußt du ihr gleich Brautkleider machen lassen und du kannst das Maß dazu von deinem Stubenmädchen nehmen.« Als der Prinz das hörte, sagte er nicht mehr Nein, denn da mußte sie ja doch ein menschliches Wesen sein. Aber es kam ihm sonderbar vor, daß der Hund jetzt von Brautkleidermachenlassen reden konnte, für die er da, wo er saß, doch nicht zu sorgen im Stande war.

Tags darauf sollte also die Hinrichtung stattfinden. Es wurden Soldaten in den Thurm hinunter geschickt, die den Gefangenen holten und auf die Richtstätte führten, wo der Galgen aufgerichtet stand und der Büttel schon wartete. Als der gefangene Prinz unter den Galgen geführt wurde, kam Wunder wie jeder andere kleine Hund daher, lief der Wache zwischen den Beinen durch und hinauf zur Richtstätte; da sagte er dann: »Entweder gebt ihr den gefangenen Prinzen augenblicklich frei und führt ihn wieder heim in sein Reich oder ich zerreiße euch alle miteinander in tausend Stücke; denn er soll meine Mutter heiraten.«

Aber niemand war da, der auf ihn hören wollte. Sie lachten den naseweisen Köter nur aus und der Büttel wollte ihn mit dem Fuße von der Richtstätte wegstoßen. Aber da lehrte ihnen Wunder etwas anderes: [187] er fuhr auf sie los und zerriß und zerfetzte alle miteinander in tausend und tausend Stücke, so daß bald der Büttel und alle Soldaten mitsamt dem bösen König todt um den Galgen herumlagen, während Wunder mit dem Prinzen in dessen Reich heimlief und gerade aus, vorbei an des Prinzen Schloß in den Wald hinaus zur Hügelhütte, in der die Prinzessin wohnte.

Dem Prinzen war ganz wunderlich zu Muthe, als er so dem Hunde folgte, der voraus lief und mit dem Schweife wedelte. Aber sobald er in die Hütte trat und die liebliche junge Prinzessin erblickte, fiel ihm ein Stein vom Herzen und er verlobte sich voll Freuden mit ihr und sie war jetzt seine Braut und in drei Tagen sollte die Hochzeit sein.

Darauf sagte Wunder zu dem Prinzen: »Jetzt steht es dir frei, zur Hochzeit einzuladen, wen du willst und zu befehlen, wer kommen oder wegbleiben soll; aber einen einzigen Gast muß ich einladen dürfen.« Dazu erhielt er die Erlaubniß und der Gast, den er einladen wollte, war niemand anderes, als der Nachbarkönig, der Vater der Prinzessin. Weiter sagte Wunder zum Prinzen: »Wenn jetzt der Hochzeitstag kommt, so werdet ihr alle zur Tafel gehen und dann will ich kommen und unter dem Tisch wie jede andere [188] Hund sitzen und zwar zunächst bei dem fremden Gaste, den ich selbst eingeladen. Jedesmal, so oft er eine Speise zu sich nehmen will, sei es Fleisch oder Kuchen, so werde ich hinauf springen und ihm alles wegschnappen. Eine Weile wird er Geduld haben und immer wieder etwas anderes nehmen; zuletzt aber wird er doch böse werden, auffahren und fragen, ob Ihr ihn um Narren halten wollt. Darauf mußt du ihm antworten, daß es dir leid thäte, wenn er von irgend jemandem in deinem Haus beleidigt würde und wäre es auch nur von deinem Hund. Und so lieb du diesen zwar hättest, so wolltest du ihm dennoch die Erlaubniß geben, den Hund mit seinem Schwert zu tödten, sobald er sich nochmals naseweis benähme. Jetzt habe ich dir also gesagt, wie es zugehen wird und nun versprich mir auch, daß du meine Vorschriften genau befolgen willst!« Das versprach der Prinz und hatte vollauf zu thun, um alle Gäste einzuladen und das Festmahl herzurichten.

Der Hochzeitstag kam und überall war da Glanz und Pracht entfaltet. Gäste gab es in Menge und der Nachbarkönig, den Wunder eingeladen hatte, war ebenfalls gekommen. Die Braut, die mit ihrer goldenen Krone auf dem Kopf am Ende der Tafel saß, war ungemein lieblich anzuschauen; aber ihr Vater erkannte [189] sie nicht wieder; denn er dachte, sie wäre längst todt und weiß Gott wo? Und auch der kleine schwarze Hund kam dahergelaufen und setzte sich unter den Tisch zu den Füßen des alten Königs und jedesmal, so oft er eine Speise, Fleisch oder Kuchen nehmen wollte, war er zur Stelle und schnappte es ihm aus der Hand oder vom Teller weg.

Eine Zeit lang that der König, als ob nichts geschehen sei, nahm sich eine neue Speise und suchte sich, so gut er konnte, den Hund vom Leibe zu halten, der nicht aufhörte ihm alles wegzuschnappen, so daß er kaum einen einzigen Bissen über die Lippen brachte. Endlich aber verlor der König doch die Geduld, sprang vom Tisch auf und sagte, daß er nicht zu dieser Hochzeit gekommen sei, um sich zum Narren machen zu lassen; denn der Hund müsse eigens für ihn hereingebracht worden sein, um ihn zum besten zu halten und es sei in feinen Häusern nichts weniger als manierlich, Hunde mit zur Tafel zu lassen.

Darauf antwortete der Bräutigam, wie es ihm Wunder gelehrt: daß es ihm leid thäte, daß sich der Hund so naseweis gegen den vornehmen Gast benehme. Und so lieb er den Hund sonst habe, so müsse er es ihm jetzt doch erlauben, ihn ganz so zu strafen, wie er wollte. Der König, der noch rasend vor Zorn war, [190] zog jetzt sein Schwert und spaltete dem Hunde das Haupt. Da strömte alle Zauberei mit dem Blute heraus und an Stelle des Hundes stand jetzt ein netter, kleiner Knabe vor ihm und sagte zu dem alten König: »Da bin ich, Großpapa! Nimm mich nun auf deine Arme und trage mich zu meiner Mutter hin, die dort am Ende der Tafel sitzt, damit sie eine Freude an ihrem Sohn hat.«

Darüber entsetzte sich der alte König zwar und wußte gar nicht, was er davon denken sollte, aber er that doch, was das Kind sagte, nahm es auf die Arme und trug es zur Braut hin und da erkannte er in ihr seine Tochter wieder, die er einst tödten lassen wollte. Die Braut aber schüttelte ihr Haupt und sagte: »Nein, das ist nicht mein Kind, so sieht mein Sohn nicht aus.« Aber das kleine Wunder nahm sie um den Hals und sagte: »Ja, Mütterchen, so sehe ich jetzt aus und so werde ich immer aussehen, wenn du mich als deinen Sohn haben willst.« Und dann erzählte der kleine Knabe in Kürze die ganze Geschichte, wie sie sich zugetragen und daß die böse Stiefmutter, die Gemahlin des alten Königs, die ehemals eine Amme gewesen, an allem schuld sei. Dann wurde die Hochzeit mit Lust und Freude gefeiert und augenblicklich ein Bote hinüber an den Hof des alten Königs gesandt und [191] die böse Königin wurde mit ihrer Tochter zur Thüre hinausgejagt, ehe der König wieder nach Hause kam. Und nie mehr sah oder hörte irgend ein Mensch etwas von ihnen, denn sie wurden von den wilden Thieren des Waldes zerrissen und gefressen.

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen [1]. Leipzig: Joh. Barth, 1878, S. 171-192.
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