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[123] Lange vor König Arthur und den Rittern der Tafelrunde, da regierte im Osten von England ein König, der in Colchester Hof hielt. Er war stark, tapfer und klug, so dass er seiner Feinde nach außen Herr wurde und im Innern seines Landes unter seinen Unterthanen den Frieden aufrecht erhielt. Doch mitten in seinem Glanze starb die Königin und ließ eine einzige Tochter im Alter von fünfzehn Jahren zurück. Alle, die die Prinzessin kannten, bewunderten sie ob ihrer Schönheit, ihrer Leutseligkeit und ihrer Herzensgüte.
Aber Habsucht ist die Wurzel aller Übel. Das bewährte sich auch hier. Der König hörte von einer Dame, welche er um ihres Reichthums willen zu heiraten beschloss, trotzdem sie alt, hässlich, bucklig und krummnasig war. Auch besaß sie eine Tochter, eine gelbe Frauensperson, die sehr neidisch und boshaft, kurz, ihrer Mutter sehr ähnlich war. Trotz alledem brachte der König, von den Edlen des Landes begleitet, seine missgestaltete Braut in den königlichen Palast, wo die Hochzeit stattfand.
Die beiden Frauen waren noch nicht lange am Hofe, als sie auch schon den König durch falsche Berichte und Anklagen gegen seine eigene schöne Tochter aufzuhetzen begannen. Nachdem die junge Prinzessin die Liebe ihres Vaters verloren hatte, wurde sie des Lebens am Hofe überdrüssig, und als sie eines Tages mit ihrem Vater im Garten zusammentraf, bat sie ihn mit Thränen in den Augen, ihr etwas Geld zu geben, denn sie[124] wolle fortziehen und ihr Glück in der weiten Welt suchen. Der König willigte ein und befahl ihrer Stiefmutter, ihr nach ihrem Ermessen eine kleine Summe zu geben. Die Königin gab ihr einen Leinwandbeutel mit Schwarzbrot und hartem Käse und eine Flasche Bier: eine erbärmliche Ausstattung für eine Königstochter. Aber die Prinzessin nahm, was sie ihr gab, und dankte ihr dafür. Dann machte sie sich auf den Weg und kam durch Felder, Wälder und Thäler bis zu einer Höhle, an deren Eingang sie einen alten Mann auf einem Steine sitzen sah. Der sagte: »Guten Morgen, holde Maid, wohin so schnell?«
Sie antwortete: »Vater, ich gehe mein Glück suchen.«
»Was hast du in dem Beutel und in der Flasche?«
»Im Beutel hab' ich Brot und Käse, in der Flasche gutes, leichtes Bier. Möchtest du vielleicht davon haben?«
»Jawohl,« sagte er, »von Herzen gern.«
Da zog die Prinzessin ihre Vorräthe hervor und lud ihn ein, zu essen. Das that er und dankte ihr herzlich. Dann fügte er hinzu: »Du wirst gleich vor eine dichte dornige Hecke kommen, die dir undurchdringlich erscheinen wird. Aber nimm' diesen Stab, klopfe dreimal damit und sage: ›Bitte, Hecke, lass mich durch‹, und sie wird sich sofort öffnen. Ein bischen weiter wirst du eine Quelle sehen. Setze dich an den Rand derselben, und bald werden drei goldene Köpfe hervortauchen, welche dich ansprechen werden. Was sie auch verlangen mögen, das thue.«
Die Prinzessin versprach es dem alten Manne und nahm Abschied von ihm. Als sie zur Hecke kam und seine Weisungen befolgte, theilte sie sich und ließ sie durch. Und als sie bei der Quelle angelangt war und sich eben niedergesetzt hatte, kam ein goldener Kopf empor und sang:
»Wasche mich, kämme mich, und leg' mich sachte nieder.«
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»Jawohl,« sagte sie, streckte die Hand aus und erwies ihm mit einem silbernen Kamme den verlangten Dienst, worauf sie ihn am Ufer auf ein Beet von Primeln hinlegte. Bald kam ein zweiter und dann ein dritter Kopf, die dasselbe verlangten, und deren Wunsche sie ebenfalls nachkam.
Darauf sprachen die Köpfe einer zum anderen: »Was sollen wir für die Jungfrau thun, die uns so freundlich behandelt hat?«
Da sagte der erste: »Ich werde ihrer Schönheit solche Reize hinzufügen, dass der mächtigste Prinz auf Erden davon bezaubert werden soll.«
Hierauf der zweite: »Ich werde ihrem Leibe und ihrem Athem einen Duft verleihen, der den der süßesten Blumen noch übertrifft.«
Zuletzt der dritte: »Mein Geschenk wird nicht das geringste sein. Da sie eine Königstochter ist, werde ich ihr zu dem Glücke verhelfen, die Gemahlin des mächtigsten aller Fürsten auf Erden zu werden.«
Dann baten die drei Köpfe die Prinzessin, sie möge sie wieder in die Quelle hinuntergleiten lassen. Sie that es und setzte ihre Reise fort. Sie war noch nicht sehr weit gegangen, da sah sie im Park einen König, von Adeligen umgeben, auf der Jagd. Sie wäre ihm gern ausgewichen, aber der König hatte sie erblickt und näherte sich ihr. Ihre Schönheit und ihr duftiger Athem bezauberten ihn so sehr, dass er seine glühende Liebe nicht unterdrücken konnte, sondern sofort um sie zu freien begann. Er gewann ihre Liebe und brachte sie in seinen Palast. Dort ließ er sie in die herrlichsten Gewänder kleiden.
Als der König hörte, dass sie die Tochter des Königs von Colchester sei, ließ er sofort mehrere Wagen anspannen, um dem König einen Besuch zu machen. Der Wagen, in welchem er[126] mit seiner Braut fuhr, war mit Gold und kostbaren Edelsteinen geschmückt. Der König von Colchester war ganz erstaunt über das Glück seiner Tochter, bis der junge König ihm erzählte, wie alles zugegangen war. Die Freude aller am Hofe war groß, nur die Königin und ihre klumpfüßige Tochter beneideten die Prinzessin um ihr Glück und waren nahe daran, vor Bosheit zu bersten. Ihre Wuth war um so größer, als die Prinzessin nun hoch über ihnen allen stand. Große Festlichkeiten folgten, bei denen gegessen und getrunken und getanzt wurde; das dauerte viele Tage. Endlich, nachdem der junge König noch die Mitgift seiner jungen Frau erhalten hatte, kehrte er mit ihr nach Hause zurück.
Als die bucklige Stiefschwester sah, mit welchem Erfolge die Prinzessin ihr Glück gesucht hatte, wollte sie durchaus das gleiche thun. Sie vertraute sich ihrer Mutter an, und diese versah sie mit reicher Kleidung, mit Zucker, Mandeln und süßen Bäckereien in großer Menge und mit einer großen Flasche Malagawein. So ausgestattet, schlug sie denselben Weg ein, wie ihre Schwester, und als sie in die Nähe der Höhle kam, fragte der alte Mann: »Wohin so eilig, junges Frauenzimmer?«
»Was kümmert das dich?« erwiderte sie.
Dann fragte er weiter: »Was hast du in dem Beutel und in der Flasche?«
Sie antwortete: »Allerlei Leckerbissen, aber nicht für Dich.«
»Willst du mir nicht etwas davon geben?« fragte er.
»Nein, keinen Bissen und keinen Tropfen.«
Der alte Mann runzelte die Stirn und sagte: »Fluch über dich!«
Als sie weitergieng, kam sie zu der Hecke, in welcher sie eine Lücke gewahrte; sie wollte hindurchschlüpfen, aber nachdem sie[127] hineingegangen war, schloss sich die Hecke hinter ihr, und die Dornen drangen ihr ins Fleisch, so dass sie nur mit großer Mühe durchkonnte. Von Blut überströmt, suchte sie nach Wasser, um sich zu waschen, da sah sie die Quelle. Sie setzte sich an den Rand derselben hin, da erschien einer der Köpfe und sagte:
»Wasche mich, kämme mich, und leg' mich sachte nieder.«
Sie aber schlug mit ihrer Flasche auf ihn los und sagte: »Da hast du.«
Dann tauchte der zweite und dritte Kopf empor, die keine bessere Behandlung erfuhren als der erste; sie beriethen dann alle drei miteinander, mit welchen Strafen sie die boshafte Königstochter für solches Benehmen heimsuchen sollten.
Der erste sagte: »Sie soll einen Aussatz im Gesichte bekommen.«
Hierauf der zweite: »Ihr Athem soll einen üblen Geruch haben.«
Der dritte bestimmte ihr als Gatten einen armen Landschuster.
Sie gieng weiter, bis sie in eine Stadt kam. Da es gerade ein Markttag war, hatten sich viele Leute eingefunden, die liefen alle, als sie das aussätzige Gesicht sahen, bis auf einen armen Schuhflicker, davon. Der hatte vor kurzem die Stiefel eines alten Einsiedlers geflickt und von ihm, da er kein Geld besaß, an Zahlungsstatt einen Tiegel Salbe zur Heilung von Aussatz und ein Tränklein gegen übelriechenden Athem erhalten. Da der Schuster geneigt war, Barmherzigkeit zu üben, so gieng er zu ihr und fragte sie, wer sie sei.
»Ich bin,« antwortete sie, »die Stieftochter des Königs von Colchester.«
»Wenn ich dir,« fragte er, »deine natürliche Hautfarbe wieder verschaffe und sowohl dein Gesicht, als auch deinen[128] Athem gründlich heile, willst du mich dann zur Belohnung zum Manne nehmen?«
»Jawohl, lieber Freund,« erwiderte sie, »von Herzen gern.«
Der Schuhflicker wendete die genannten Mittel an, welche nach einigen Wochen ihre Wirkung nicht versagten. Darauf heirateten die beiden und machten sich auf den Weg an den Hof von Colchester.
Als die Königin hörte, dass ihre Tochter einen armen Landschuster geheiratet hatte, gerieth sie in solche Verzweiflung, dass sie sich aufhängte. Ihr Tod bereitete dem Könige, der froh war, sie so bald losgeworden zu sein, große Freude. Er gab dem Schuhflicker hundert Pfund, damit er mit seiner Frau den Hof verlasse und sich an einem entfernten Orte ansässig mache. Dort lebte das Paar viele Jahre; er flickte Schuhe, und sie spann Garn.
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