3. Abenteuer.

[188] Die Feldarbeit war gethan, und bald stieg die junge Saat auf. Der Wolf freute sich täglich über diesen Anblick und meinte: »Das Werk lässt sich gut an!« – Aber diese Bewunderung theilte der Fuchs durchaus nicht; er sagte nur, das Feld betrachtend: »Hm! der Kranich stirbt am Ende, bevor der Sumpf aufthaut! Wir müssen andere Saiten aufziehen, wenn wir bis zur Ernte leben wollen!« – »So lass uns denn auf Beute ausgehen«, rieth der Wolf. Der Fuchs war derselben Meinung, und so trennten sich die Beiden an einem Kreuzwege, um sich Nahrung zu suchen.

Der Fuchs durchstrich den Wald und bemerkte bald einen schönen, schlanken Baum, auf dem eine Elster ihr Nest gebaut hatte. Michel, der schlaue Mann, schlich sich an den Baum heran und fing an ihn von allen Seiten ernst und aufmerksam zu betrachten.

»Was besiehst du, Michel?« fragte die Elster von ihrem Zweige herab. »Den Baum. Ich denke, ich schneide mir Schneeschuhe daraus«, antwortete der Fuchs. Darüber entsetzte sich die Elster und bat himmelhoch: »Herzensbruder, nimm nicht diesen Baum dazu; ich habe ja mein Nest und meine Jungen darauf.« – »Schon gut; gieb mir eins von deinen Jungen, dann lass ich diesen Baum stehen und suche mir anderswo Holz zu meinen Schneeschuhen«, sagte der Fuchs.

In ihrer Angst ging die Elster auf den Vorschlag ein und warf ihm eins ihrer Jungen vom Baume herab; der Fuchs ergriff die willkommene Beute und machte sich eiligst damit aus dem Staube. Darüber wunderte sich die Elster; sie meinte ausserordentlich weise gehandelt zu haben, da sie durch dies Opfer die übrigen Jungen gerettet hatte. Aber siehe da! Am andern Tage sass Michel Fuchs wieder vor dem Baume. – »Was sitzest du da?« fragte ihn die[189] Elster. – »Ich denke, aus diesem Baume lässt sich's gut Schneeschuhe schneiden!« – »Ach, Brüderchen, nimm nicht diesen,« flehte die Elster, »wir kamen ja gestern schon überein, dass du diesen Baum nicht umhauen, sondern anderswo Holz zu Schneeschuhen suchen wolltest!« – »Es mag wohl zwischen uns die Rede davon gewesen sein«, meinte der Fuchs; »aber ich finde im ganzen Walde nicht einen Baum, der mir so passt wie gerade dieser. Es thut mir sehr leid, doch ich muss diesen Baum fällen; es sei denn – dass du mir wieder eins deiner Jungen gebest!«

Jetzt war guter Rath theuer! – Die arme Elster musste auch das zweite Junge dem Fuchs hinwerfen, welcher schadenfroh damit fortlief.

Die Elster sass kummervoll in ihrem Neste; da kam eine Krähe zu ihr zum Besuch; sie schaute sich er staunt im Neste um und fragte: »Aber, liebe Freundin, wo sind denn zwei von deinen Jungen?« – »Dem Fuchs habe ich sie geben müssen!« jammerte die Elster. »Siehst du, der Fuchs ist zwei Tage der Reihe nach hier gewesen, weil er sich meinen Baum zu seinen Schneeschuhen auserlesen hat. Da habe ich ihm die Jungen hinwerfen müssen, damit er nicht den Baum fälle und meine ganze Brut zerstöre!« – »Ei, du Thörin!« eiferte die Krähe, »du hättest dem Fuchs nichts geben sollen, weder deine Jungen, noch irgend etwas sonst; er hat ja weder Messer noch Beil, womit er Bäume umhauen könnte.«

Am andern Tage stellte sich auch richtig der Fuchs wieder unter den Baum und gab vor, ihn durchaus zu seinen Schneeschuhen nöthig zu haben; er hoffte nämlich von der Elster das dritte Junge zu erlangen; aber diese war indessen weiser geworden, ihre Furcht war verschwunden und sie sagte spottend: »Mein lieber Fuchs, geh nur getrost wieder heim; du hast ja weder Messer noch Beil, womit willst du denn Bäume fällen?« – »Wer hat dich[190] belehrt?« fragte der Fuchs so verwundert, dass er sich zu vertheidigen vergass. – »Die Krähe war bei mir zum Besuch, die hat mir gute Lehren gegeben«, lachte die Elster. – »So, so, die Krähe hat's gethan«, sagte bedächtig der Fuchs; »sie scheint ja sehr weise zu sein, die Gute! aber warte nur, sie entgeht mir nicht!«

Nach diesen Worten verliess Michel, der schlaue Mann, den Baum und begab sich auf eine freie Wiese; da streckte er alle Viere von sich und stellte sich todt. Es dauerte auch nicht lang, da bemerkte die Krähe auf ihren Streifzügen den liegenden Fuchs und liess sich auf die vermeintliche Beute nieder. Sie machte sich eben daran, dem Todten die Zunge aus dem offenen Rachen auszuhacken, als der Fuchs, der nur darauf gewartet, sie mit einem Satze packte; jetzt war die arme Krähe verloren, und all ihre Weisheit schien unvermögend ihr zu helfen. – »Ach, lieber Bruder,« flehte sie, »wenn du mich nun doch einmal fressen willst, so thu es auch auf rechte Weise. Wirf mich diesen Abhang hinunter, so dass hier ein Flügel, dort ein Beinchen von den Steinen und dem Gestrüpp abgerissen werde; dann sehen doch die Leute, wie du mich wegen meines Verrathes bestraft hast.« Der Fuchs folgte der Weisung und stiess die Krähe zum Abhang hinunter; doch kaum fühlte sich diese frei, als sie lustig aufflog und dem Fuchs spöttisch zurief: »Im Fangen warst du wohl Meister, aber im Behalten ein Stümper!«

Quelle:
Schreck, Emmy: Finnische Märchen. Weimar: Hermann Böhlau, 1887, S. 188-191.
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