38. Hänschen

[105] Einst lebte ein Weber namens Hänschen, der äusserst schlau und klug war. Er wohnte bei seiner Mutter, einer alten Witwe, die eben so klug wie ihr Sohn war. Er war nicht stolz darauf, dass er gescheiter als die Nachbarn war, trotzdem geriet er in Zorn, wenn er sie Dummheiten begehen sah und wollte dann, dass jeder so vernünftig handeln sollte wie er.

Seine Mutter sagte ihm oft: »Hänschen, hüte dich. Die Welt ist gross und die Dummköpfe beherrschen sie seit langer Zeit und ich glaube nicht, dass es anders werden wird. Du bist nicht imstande, alle Pflanzen einer Wiese zu zählen, du kannst die Baïse (Nebenfluss der Garonne) nicht leer trinken, bemühe dich daher, mit den Lebenden zu leben und schliesse dich nicht ab.«

Hänschen erwiderte nichts, aber er konnte trotzdem seinen Zorn nicht meistern. Er konnte es nicht begreifen, dass der Bösartige Herr sei und dass die Dummen immer in der Mehrzahl sind. Eines Tages starb die Witwe. Hänschen dachte sich: »Nun habe ich keine Mutter mehr. Das ist ein schwerer Schlag für mich. Da ich aber nicht allein bleiben will, so muss ich heiraten.« – Als die Trauerzeit aus war, heiratete er und hielt eine prächtige Hochzeit. Am nächsten Tag sprach er zu seiner Frau: »Liebes Kind, ich bin durstig und, da kein Tropfen Wein im Hause ist, so hole mir von der Quelle Wasser.« – Die Frau nahm den Krug und ging fort. Nach einer Stunde war sie noch immer nicht zurück. – »Liebe Schwiegermutter,« sprach Hänschen, »sieh doch, was deine Tochter macht, ich kann es nicht tun, denn ich muss hier bleiben. Aber rasch, denn ich verschmachte fast vor Durst.«

Die Schwiegermutter ging weg und fand ihre Tochter bei der Quelle. Der Krug stand ihr zur Seite. – »Mutter,[105] du kommst wie gerufen. Ich bin nun verheiratet und so wird mir Gott wohl auch ein Kind schenken, wir haben jedoch keine Wiege und darüber denke ich nun nach.« – »Wir haben ja für dich eine gehabt, doch sie ist schon lange hin. Diese Wiege war ein Geschenk meiner Schwester, deiner Tante und niemals habe ich eine solche wieder gesehen.« – Die Mutter setzte sich zu ihrer Tochter und beide schwätzten nun wie Elstern über die Wiege. – Wieder war eine Stunde vergangen und beide kamen nicht zurück. – »Lieber Schwiegervater,« sagte Häuschen, »geh, sieh doch nach, was meine und deine Frau treiben, ich habe keine Zeit dazu, denn ich muss hier bleiben. Ich verschmachte beinahe vor Durst.«

Der Schwiegervater ging weg und fand Frau und Tochter bei der Quelle sitzend. Der Krug stand ihnen zur Seite. – »Ich sehe,« rief der Vater, »dass ihr streitet, bin aber sogleich imstande euch zu besänftigen. Die Wiege, die wir hatten, war kein Geschenk der Schwester meiner Frau, sondern ich habe sie gemacht. Als unser Mädchen grösser war, wollte ich die Wiege gegen einen Truthahn umtauschen.« – »Aber, lieber Mann, du weisst nicht, was du sprichst.« – »Liebe Frau, ich weiss es besser wie du. Ich werde es dir beweisen.« – Er setzte sich zwischen Frau und Tochter und sie plapperten nun über die Wiege, wie die Elstern. Eine Stunde war wieder vorbei und noch immer waren sie nicht zurückgekehrt.

Hänschen dachte sich: »Ich habe zwar hier zu arbeiten, aber ich verschmachte vor Durst. Ich muss doch sehen, was aus meiner Frau, meiner Schwiegermutter und meinem Schwiegervater wurde.« – Bald danach fand er sie bei der Quelle, wo die drei Dummköpfe noch immer über die Wiege sprachen. Hänschen geriet in Zorn und schrie: »Da schaut die drei Dummköpfe an, die sich wegen einer Wiege zanken, während das Kind noch gar nicht geboren ist. Unterdessen verschmachte ich beinahe vor Durst und arbeite wie ein Galeerensklave. Mit solchen Leuten will ich nicht leben. Ich verlasse das Land.«

Er zog fort. Nach einer Stunde, als er einen grossen Wald durchschritt, sah er eine Frau, die ihr Schwein mit einem Stock prügelte und schrie: »Blödes Schwein! Blödes Schwein! Ich werde dich lehren.« – Dabei schlug sie immer mit einem Stock auf das Tier los. – »Liebe Frau, warum[106] schlägst du dein Schwein so?« – »Warum ich es schlage? Stelle dir doch vor, dass dieses Vieh gar keine Vernunft hat; anstatt auf den Baum zu steigen und die Eicheln abzureissen, legt es sich hier unter die Eiche und wartet bis sie herabfallen. Rasch, wirst du hinaufsteigen, du böses Vieh.« – »Liebe Frau, die Schweine können nicht auf Bäume klettern. Leih mir deinen Stock und sieh her.« – Er schlug mit dem Stock eine Menge Eicheln ab und die Sau verzehrte sie mit Putz und Stingel. – »Gott befohlen, liebe Frau. Lerne daraus etwas.« – »Besten Dank, lieber Freund.«

Hänschen ging weiter. Nach einer Stunde verfinsterte sich der Himmel, ein Wetter kam. Unter der Türe eines Hauses fand er eine Frau, die sich bemühte mit einer Furke einen Haufen grüner Nüsse ins Haus zu werfen. – »Liebe Frau, was machst du da?« – »Du siehst es ja. Ich bemühe mich, die Nüsse, die ich an der Sonne trocknen liess, aus Furcht vor dem Unwetter ins Haus zu schaffen, aber die verfluchte Furke leistet mir keine guten Dienste.« – »Liebe Frau, gib deine Furke weg und bringe mir eine Schaufel.« – Die Frau brachte eine Schaufel herbei und in einer Viertelstunde hatte Hänschen die Nüsse alle unter Dach und Fach gebracht. Er blieb, bis das Wetter vorbei war. – »Gott befohlen, liebe Frau. Lerne daraus etwas.« – »Besten Dank, lieber Freund.«

Er zog weiter und erreichte eine Stunde später ein Haus, in dem ein Junge seinen alten, geistesschwachen Vater wie ein Wilder anbrüllte: »Dummkopf! Ihr könnt eure Hose nie anziehen, hundertmal habt ihr es schon nicht zusammengebracht. Steigt auf den Tisch, ich halte euch die Hose und springt hinein, so kommen beide Beine zugleich hinein.« – Der arme, alte und geistesschwache Mann tat so, fiel jedoch auf die Erde, ohne in die Hose hineingeschlüpft zu sein. Hänschen trat soeben ins Haus: »Junger Mann, weisst du denn nicht, wie man eine Hose anzieht? Man schlüpft zuerst mit einem Bein und dann mit dem andern hinein. Nun ist es geschehen. Gott befohlen und lerne daraus etwas.« – »Danke, lieber Freund.«

Hänschen zog weiter, aber schon nach hundert Schritten setzte er sich unter einen Baum und sagte sich: »Vier Stunden ziehe ich nun umher und schon habe ich drei Leute gefunden, die dümmer als meine Frau, meine Schwiegermutter und mein Schwiegervater sind. Ich traf eine Frau, die ihr Schwein[107] auf einen Baum hinauftreiben wollte, ich traf eine zweite, die sich bemühte, mit einer Furke einen Haufen grüner Nüsse ins Haus zu schaffen und ich traf einen jungen Mann, der seinen alten, geistesschwachen Vater in die Hose hineinspringen lassen wollte. Meine arme Mutter hatte wirklich Recht, wenn sie sagte: ›Die Welt ist gross und die Dummköpfe beherrschen sie und ich glaube nicht, dass es je anders werden wird. Nie wirst du die Pflanzen der Wiese zählen können, nie wirst du die Baïse austrinken. Lebe daher mit den Lebenden und ziehe dich nicht zurück.‹«

Nachdem ihm dies durch den Sinn gezogen war, kehrte Hänschen nach Hause zurück.


(Gascogne).

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 105-108.
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