21. Gargantua

[210] Als Grandgoschier zu seinen Tagen kommen, nahm er zum Weibe Gurgelmilten, die Tochter des Königs der Millermahler, ein schönes Trüserle, hübschen Visiers, und sie ward von einem schönen Sohne schwanger, den trug sie bis in den eilften Monat. Denn solang und länger können die Weiber Leibesfrucht tragen, insonderheit wenn es ein Wunderwerk der Natur ist, und eine Person, die ihrer Zeit mannhafte Taten verüben soll. Der gute Mann Grandgoschier zecht' gerade und schwärmt' mit den andern, da hört' er das mörderliche Geschrey, welches sein Sohn bey seinem Eintritt in dieses Licht der Welt erhub, als er »Zu Trinken! zu Trinken!« brüllte, und er sprach: »I gar! Kannst du a – supple, schon dursten!« Welches als die Gäst' vernahmen, sagten sie daß er um dieserwillen durchaus Gargantua heißen müßt, weil dieß das erste Wort seines Vaters bey seiner Geburth gewesen wär; nach Fürgang und in Nachahmung der alten Hebräer. Hierin war derselbe ihnen auch gern zu willen, gefiel auch seiner Mutter wohl. Und um ihn zufriedenzustellen, brachten sie ihm zu trinken, was oben ein wollt: und ward nach frommer Christen Sitt zur Tauf geträgen und getauft. Und wurden siebzehntausend neunhundert und dreyzehn Küh von Pautillé und Brehemond verschrieben, für gewöhnlich ihn zu säugen; denn eine bastante Amm zu finden war im ganzen Land unmöglich, in Betracht der großen Meng Milch, die zu seiner Nahrung erforderlich war.

In solcher Weis bracht er ein Jahr und sechs Monden hin, um welche Zeit man nach dem Rath der Ärzt ihn anfing, auszutragen, und ward ein schönes Ochsen-Kärchel gebaut, in selbem kutschirt' man ihn fröhlig umher: und war eine Lust, ihn anzusehen, denn er hätt ein hübsch Göschlein, wohl zehn[210] Kinn am Hals, schrie auch fast wenig; doch war er ungebührlich durchschlägischen Gesässes, theils aus natürlicher Complexion, theils durch zufälligen Habitum, den ihm das viele Saugen des September-Traubenmüsleins zuzog. Doch sog er davon keinen Tropfen ohn Ursach; denn wenn sichs traf, daß er verdrüßlich, dickschnutig und bös war, wann er schrie, strampelt, heult', und man bracht ihm zu trinken, gleich kam er euch wieder zu sich und war ganz still und guter Ding. Gargantua ward bis zum fünften Jahr in aller gebührlichen Zucht gepflegt und auferzogen nach dem Willen seines Vaters, und bracht die Zeit zu, wie die kleinen Kinder des Landes pflegen: nämlich mit Trinken, Essen und Schlafen, mit Essen, Schlafen und Trinken, mit Schlafen, Trinken und Essen. Er stört' sich die Zähn mit einem Holzschuh, wusch seine Händ in Fleischbrüh, strählt sich mit einem Humpen, setzt sich ärschlings zwischen zween Stühl an die Erd und deckt sich mit einem nassen Sack zu. Seines Vaters kleine Hund aßen mit ihm aus einer Schüssel, er deßgleichen mit ihnen, er biß sie in die Ohren, sie zerkrellten ihm die Nas, er bließ ihnen in den Arß, sie leckten ihm das Schnäuzel.

Als Gargantua erwachsen war, schickt' Fayoles, der vierte König in Numidien, dem Grandgoschier aus Afrika eine ungeheure Mär, das größte Monstrum und Wunderthier so je ersehen war; denn sie war so groß als sechs Elefanten, und ihre Füß in Finger gespalten, wie bei dem Pferd des Julius Cäsar, auch lange Schlapp-Ohren hätt sie, wie die Geissen in Languedoc, und ein klein Hörnlein am Hintersten. Vor allem aber hätt sie einen erschrecklichen Schwanz; denn etwas wenigs ab und an, war er so dick als die St. Marxsäul unweit Langès, auch so geviereckt, und die Strehnen dran so in einander genistelt wie mans an einer Kornähr sieht. Als Grandgoschier die sahe, sprach er: »Sieh da, ein gut Geschirr, darauf mein Sohn gen Paris mag reiten! Wohlan, Gott walt's, es wird alls wohl von Statten gehen, er wird ein mächtiger Doctor werden zu seiner Zeit.« Da Gargantua und seine[211] Begleiter in Paris angekommen waren und nachdem sie sich etlich Tag erquickt, ging er aus, die Stadt zu beschauen: und alle Leut betrachteten ihn voll Staunens und Verwunderung. Also beschwerlich drangen sie ihm zu Leib, daß er zuletzt gezwungen war, sich auf die Thürn der Fraunkirch zu retiriren und niederzulassen. Wie er nun da saß und dieß viele Volk um sich her sah, sprach er laut: »Ich glaub, die Schlingel meinen, daß ich ihnen hie meinen Willkomm zahlen soll. Ist billig; sollen ihren Wein han, aber par ris, per risum, spottweis« (darnach seitdem die Stadt Paris geheißen ward, die man vorher Leucetia nannte). Da lupft' er lächelnd seinen schönen Hosenlatz, zog seine Mentul herfür und bebrunzelt sie so haarscharf, daß ihrer zweyhundert sechzigtausend vierhundert und achtzehn elend ersoffen ohn die Weiber und kleinen Kinder.

Hiernächst besah er die großen Glocken auf selbigen Thürnen und ließ sie harmonisch zusammen läuten; und während er also dieß noch trieb, kam ihm zu Sinn, daß sie als Schellen seiner Mär gut zu Hals stehn müßten, die er seinem Vater, mit Käsen von Brye und neuen Häringen wohl beladen wieder heimschicken wollte: nahm sie also mit in sein Herberg.

Zur selbigen Zeit entstund ein Streit zwischen den Weckenbäckern von Lerné und Grandgoschiers Landsassen, daraus ein schwerer Krieg erwuchs, und Gargantua ward heimberufen. Demnach beschritt Gargantua in Begleitung seiner Lehrer und Freund die große Mär und reiset gen Pareillé. Unterwegens traf er einen gewaltigen hohen Baum an, den man gewöhnlich St. Martinsbaum nannt, weil er aus einem Pilgerstab also erwachsen war, den vor Zeiten der heilige Martin dorthin gepflanzet. Da sprach er: »Siehe da, was mir fehlt! Dieser Baum soll mir zum Spieß und Pilgerstecken dienen.« Damit riß er ihn leichtfertig aus der Erden, streift die Aest herunter und putzet' ihn zu seinem Vergnügen. Unterdessen stallt' seine Mär, sich die Blaas zu lehren, solches aber so überflüssig, daß auf sieben Meilen ein[212] Fluth draus ward und aller Brunzt in den Furth von Vede lief. Den schwemmt' es so gewaltsam wider den Strom an, daß des Feinds Geschwader, so allda lagen, mit Mann und Maus elendiglich daselbst ersoffen, ohn Etliche, die ihren Weg links über den Berg genommen hatten.

Als Gargantua vor dem Forst von Vede ankam, warnt' ihn einer seiner Freund, daß im Schloß noch etliche Feind verborgen lägen. Welchs zu erfahren Gargantua so laut er konnt rief: »Seyd ihr drinnen oder nicht? Wenn ihr drinnen seyd, so seyds gewesen! Seyd ihr nicht drinn, darfs nicht der Wort.« Ein Bengel aber von Schützenmeister hinter der Schuß-Schar trichtet eine Kanon auf ihn, und traf ihn grausam an die rechte Schläf; es thät ihm aber nicht weher als wenn er ihn mit einer Zwetschen geworfen hätt. »Was ist dieß?« sprach Gargantua, »werft ihr uns hie mit Traubenkernen? der Herbst soll euch noch theuer kommen«: denn er meint' nicht anders, die Stückkugel wär ein Traubenkern gewesen. Diejenigen, die sich im Schloß mit dem Rapiamus erlustirten, liefen, als sie den Lärmen hörten, auf Thürn und Bollwerk und thäten aus Falkonetten und Büchsen mehr denn neuntausend fünfundzwanzig Schüß auf ihn, zielten ihm all nach dem Kopf, und hagelten so hageldicht, daß er ausrief: »Mein Freund! Die Fliegen da blenden mich: o lang mir doch einen Zweig von diesen Weiden her, sie zu verscheuchen!« denn er sah die bleyernen Schusser und die Stein aus dem Wurfgeschütz für Kühfliegen an. Sein Freund bedeutet ihn aber, daß es die Fliegen aus den Kanonen im Schlosse wären, die man ihm zuschöß. Da rannt er mit seinem großen Baum wider das Schloß an, zermalmt' mit schweren Stößen Thürn und Bollwerk, und schleift' es alles dem Boden gleich, dergestalt, daß alle darinnen zerschmettert und erschlagen wurden.

Nicht lange darauf, nachdem sie das Ufer der Vede erstiegen, kamen sie in Grandgoschierens Schloß an, der ihrer mit großem Verlangen harrte. Herzten und drückten einander zum Willkomm mit offenen Armen; euer Leblang[213] habt ihr nicht frohere Leut gesehen. Es ist lautere Wahrheit, daß, nachdem sich Gargantua mit frischen Kleidern angethan und mit seinem Sträl (der, hundert Stab lang, mit ganzen Elefantenzähnen bezahnt war) strählt, ihm auf jeden Zug über sieben Ballen Kugeln aus den Haaren fielen, so darinn bey Demolierung des Vedischen Forstes hangen geblieben. Hierauf fing man das Nachtessen an zu rüsten, und briet zum Überschuß 16 Ochsen, 3 Stärken, 32 Kälber, 63 säugende Geißlein, 95 Hammel, 300 Milchferken im feinen Most, 220 Rebhühnel, 700 Schnepfen, 400 Kapphähn von Loudun und von Cornouaille, 6000 Küchlein und eben so viel Tauben, 600 Poularden, 1400 Häslein, 303 Trappen und 1700 Schrothennen.

Die Sach erheischt, daß wir berichten, was mit sechs Pilgern sich begab, welche von St. Sebastian bey Nantes kamen und selbige Nacht, in Furcht vor den Feinden, zu einem Unterstand sich in das Bohnenstroh im Garten unter die Kohl- und Lattichstauden verkrochen hatten. Gargantua spürt' ein wenig Durst, und frug, ob man nicht Lattich haben möcht, einen Salat zu machen. Und als er hört, daß es im ganzen Land die schönsten und größten da hätt, denn sie waren so groß wie die Nuß- oder Pflaumenbäum, ging er für Lust selbst hin und bracht in seiner Hand so viel davon mit als ihm gut däucht; und zu gleicher Zeit bracht er auch die sechs Pilger mit, die sich vor großer Furcht und Angst weder zu reden noch zu husten trauten. Wie er den Lattich nun am Brunnen vorläufig abwusch, sagten die Pilger mit leiser Stimme zueinander: »Ey, ey, was da zu thun? Wir ersaufen hie unter dem Lattich. Sollen wir reden? Reden wir aber, so tödtet er uns gewiß für Kundschafter.« Während sie also noch rathschlagten, warf sie Gargantua mitsamt dem Lattich in einen Küchen-Napf, so groß wie die Tonn von Cisteaux, und aß sie mit Essig, Oel und Salz zu seiner Erfrischung vorm Abendbrot. Und hätt bereits fünf Pilger verschlungen: der sechst lag noch im Napf verborgen unter einem Lattichblatt, bis auf den Pilgerstab, der drüber herfürguckt.[214] Als den Grandgoschier sahe, sprach er zu dem Gargantua: »Ich glaub da ist ein Schneckenhorn. Iß nit.« »Warum?« spricht Gargantua: »sie seyn gesund diesen ganzen Monat.« Ergriff damit den Stab und hub den Pilger daran zugleich mit auf und aß ihn lustig. Thät darauf einen schauderhaften Zug Zirbelwein, bis das Nachtessen fertig wäre.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Französische Volksmärchen. 2 Bände. Jena: Eugen Diederichs, 1923, S. 210-215.
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