29. Die drei Gaben

[118] Es war einmal ein kleiner Bursch, der hatte seine Mutter verloren, und sein Vater verheiratete sich zum zweitenmal. Aber seine Stiefmutter taugte nichts. Zu seiner Nahrung gab sie ihm nichts als alte schimmelige Brotkrusten, und wenn er aufs Feld ging, mußte er sie in der Quelle aufweichen, bevor er sie aß. Eines Tages, da er sich neben dem Wasser niedergekauert hatte, ging ein armer Mann vorüber und sprach zu ihm: »Was machst du da, mein kleiner Bursch?« »Ich weiche gerade in der Quelle die Brotkrusten ein, welche meine Stiefmutter mir mitgegeben hat, denn das ist alles, wovon ich mich nähre.« »Gib mir eine oder zwei davon, kleiner Bursch!« Der Knabe bot ihm einige seiner Brotkrusten an; der Bettler aß sie und sagte darauf zu ihm: »Du hast ein gutes Werk getan und zum Lohn darfst du dir drei Dinge wünschen. Was willst du?« Der kleine Bursch kratzte sich am Kopf und sagte dann: »Jedesmal, wenn ich meine Stiefmutter ansehe, soll sie einen Wind lassen und sich dabei die Hosen beschmutzen.« Der Bettler antwortete nichts und der kleine Bursch fuhr fort: »Ich möchte ein kleines Pistölchen zum Vogelschießen, und ich wünsche, daß alle, die mich schießen sehen, gezwungen sind, hinter der Kugel herzulaufen.« Der Bettler zog ein kleines Pistölchen aus der Tasche und gab es dem Knaben mit den Worten: »Und welches ist dein dritter Wunsch?« »Eine Klarinette zu haben; und wenn ich darauf spiele, sollen alle, die mich sehen oder hören, gezwungen sein zu tanzen.« Der Bettler gab ihm eine Klarinette und verschwand.[118]

Der kleine Bursch kehrte nach Hause zurück; seine Stiefmutter war im Stall und band gerade die Kühe an; er suchte sie auf, und sobald er sie anschaute, begann sie zu farzen und sich dabei ihre Hosen oder, besser gesagt, ihre Strümpfe zu beschmutzen, und jedesmal, wenn der kleine Bursch sie anblickte, passierte ihr das nämliche Malheur. Am nächsten Tage war sie zu einer Hochzeit eingeladen und befahl ihrem Mann, ihren Sohn in einem Schuppen hinter dem Hause einzusperren, denn sie hatte Angst, er möchte ihr wieder irgendein Mißgeschick verursachen. Gegen Mittag öffnete der Vater dem kleinen Burschen die Tür und sprach zu ihm: »Geh und sieh, was deine Stiefmutter macht!« Diese saß zwischen zwei schönen Herren bei Tisch; der kleine Bursch trat an ein Fenster und schaute seine Stiefmutter an, welche auf der Stelle zu farzen und ihre Hosen zu beschmutzen begann, so daß jedermann sich die Nase zuhielt. Und die Herren befahlen ihren Dienern, dieses unsaubere Frauenzimmer hinauszuwerfen. Der kleine Bursch kehrte in seinen Schuppen zurück, und als seine Stiefmutter nach Hause kam, schaute sie sogleich nach, ob er dort sei; sie fand ihn aber eingesperrt, als ob er niemals ausgegangen wäre. »Ganz gewiß«, sagte sie bei sich, »steckt irgendwelche Hexerei dahinter.«

Am folgenden Tage ging sie früh am Morgen zur Beichte und erzählte dem Pfarrer, was ihr zugestoßen sei. »Ich werde ihn aufsuchen«, sagte der Priester, »und zu einem Geständnis seiner Hexerei veranlassen.« Er kam auf das Feld, wo sich die Quelle befand, und erblickte den kleinen Burschen, welcher seine Brotkrusten ins Wasser tauchte. »Was machst du da?« sagte er zu ihm. »Ich bin dabei, die schimmeligen Brotkrusten, welche meine Stiefmutter mir gegeben hat, einzuweichen.« »Man behauptet, daß du hexen kannst.« »O nein, Herr Pfarrer!« »Wenn du mir die Wahrheit sagen willst, so werde ich dir nächsten Sonntag ein schönes Bild schenken.« »Nein, ich lege keinen Wert auf Bilder,« antwortete der kleine Bursch, »aber wenn Ihr Euch ganz nackt ausziehen wollt, so werde ich Euch alles erzählen.« Der[119] Priester zog seine Soutane und seine Hosen aus und blieb in Unterhose und Hemd; aber der kleine Bursch sagte, er müsse ganz nackt sein, und der Priester, der sah, daß niemand zugegen sei, entäußerte sich auch seiner letzten Kleidungsstücke. Nun feuerte der kleine Bursch einen Pistolenschuß in ein Dorngebüsch ab; alsbald lief der Pfarrer hinter der Kugel her, und wie er mitten im Gebüsch war, begann der kleine Bursch auf der Klarinette zu spielen; da mußte der Pfarrer wider seinen Willen tanzen, und indem er seine nackte Haut an den spitzigen Dornen aufriß, schrie er unter fortwährenden Drohungen: »Du kannst hexen, du kannst hexen! Ich werde dich einsperren lassen, ich werde dich einsperren lassen!« Schließlich wurde der kleine Bursch müde vom Spielen, und der Pfarrer, der ganz voller Schrammen und über und über blutig war, durfte seine Kleider wieder nehmen und heimkehren. Sogleich ging er aufs Gericht und erzählte den hängenswürdigen Streich, der ihm gespielt worden sei; die Gendarmen führten den kleinen Burschen vor den Richter und jener wurde zum Tode verurteilt.

Als man gerade dabei war, ihn zur Hinrichtung zu schleppen, fragte ihn der Richter, ob er noch einen Wunsch habe. »Ja,« sagte er, »ich möchte am Ufer eines Teiches spazieren gehen, einen Pistolenschuß abfeuern und ein Stück auf der Klarinette spielen.« Diese Bitte wurde ihm gewährt, aber der Pfarrer rief: »Das gibt eine Hexerei! Fesselt mich, fesselt mich!« Die Leute sagten: »Der arme Pfarrer ist verrückt!« Schließlich band man ihn fest. Alles Volk, das bei der Gerichtsverhandlung zugegen war, lief mit dem kleinen Burschen, welcher zwischen zwei Gendarmen ging, an das Ufer des Teiches. Sobald er dort war, feuerte er einen Pistolenschuß ab, und jedermann stürzte sich unverzüglich der Kugel nach in den Teich. Als alle darin waren, spielte der kleine Bursch ein Stück auf der Klarinette, und die Leute im Wasser begannen zu tanzen, aber schließlich ertranken sie doch. Darauf band der kleine Bursch den Priester wieder los und sie gingen alle beide seelenvergnügt nach Hause.

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. CXVIII118-CXX120.
Lizenz:
Kategorien: