Marie-Catherine d'Aulnoy

Bellebelle oder Der Ritter Fortuné

Es war einmal ein sehr liebenswürdiger, gnädiger und mächtiger König, aber sein Nachbar, der Kaiser Matapa, war noch mächtiger als er. Sie hatten ohn Unterlaß Händel miteinander, und in dem letzten Feldzuge gewann der Kaiser eine so entscheidende Schlacht, daß er sogleich bis vor die Hauptstadt dringen konnte. Sie wurde belagert und erobert. Der Kaiser bemächtigte sich aller darinnen befindlichen Schätze, und der König hatte kaum so viel Zeit, durch die Flucht zu entkommen. Seine Schwester, eine junge Witwe, begleitete ihn. Diese Witwe war schön und geistreich, aber sie war zugleich stolz, heftig und nicht leicht zu behandeln.

Der Kaiser nahm allen Schmuck und alle Möbel des Königs mit in seinen Palast, in den er mit einer großen Begleitung von gefangenen Soldaten, Mädchen und Pferden und allem, was ihm nützlich oder angenehm sein konnte, triumphierend einzog, nachdem er den größten Teil des Königreiches entvölkert hatte. Seine Gemahlin und seine Tochter kamen ihm entgegen, wünschten ihm Glück und bezeigten ihm ihre Freude auf tausendfache Weise.

Der König gab indes die Hoffnung nicht auf, sich wieder in den Besitz seines Reiches zu setzen. Er zog eine kleine Armee zusammen und ließ einen Befehl ausgeben, daß jeder seiner Vasallen in eigener Person gerüstet bei ihm erscheine oder eines von seinen Kindern schicken solle.

An der Grenze des Reiches lebte ein achtzigjähriger Edelmann, dem der Himmel Verstand und Weisheit in großem Maße zugeteilt, aber alle Glücksgüter versagt hatte. Er für seine Person würde seine Armut mit Gleichgültigkeit ertragen haben, wenn er sie nicht mit drei schönen Töchtern hätte teilen müssen, deren Schicksal ihm den Rest seiner Tage verbitterte. Sie selbst aber klagten niemals und erwähnten ihre Armut mit keinem Worte, und wenn sie zufällig davon sprachen, so weil sie ihren bekümmerten Vater aufrichten und trösten wollten.

So lebten sie unter ihrem Strohdach ein stilles und einförmiges Leben, als der Befehl des Königs dem Alten zu Ohren kam. Er teilte ihn seinen Töchtern mit. »Was ist hier[66] anzufangen«, sagte er. »Der König befiehlt allen Vornehmen seines Reiches bei hoher Strafe bei seiner Armee zu erscheinen. Ich bin alt und kraftlos. Ihr habt keinen Schutz als mich. Die Strafe zu bezahlen, bin ich nicht imstande. Wir sind verloren, meine Kinder, wenn der Himmel kein Wunder tut.« Die armen Mädchen weinten mit ihm, zugleich aber baten sie ihn, sich nicht so zu bekümmern; sie seien überzeugt, daß sie noch ein Mittel fänden, seinen Kummer zu beschwichtigen.

Als der Alte den anderen Morgen ganz betrübt in seinem Garten auf und ab schlich, kam ihm seine älteste Tochter vergnügt entgegen. »Lieber Vater«, sagte sie, »das Mittel ist gefunden, wenn Ihr es nur erlauben wollt. Schickt mich zur Armee. Ich bin groß genug zum Soldaten, an Kräften fehlt es mir auch nicht. Ich ziehe Mannskleider an und gebe mich für Euren Sohn aus. Wenn ich auch keine Heldentaten tue, so erspare ich Euch doch die Strafe, und das ist schon Gewinn genug.« Der Alte umarmte sie und wollte sich zunächst einem so ungewöhnlichen Entschluß widersetzen, aber sie blieb so fest, daß er endlich doch einwilligte.

Sie rüstete sich nun eilig zum Kriege. Sie legte die Waffen ihres Vaters an, nahm sein bestes Ackerpferd und ritt nach einem zärtlichen Abschied davon. Als sie einige Tagreisen zurückgelegt hatte, kam sie an eine Wiese, welche mit frischen Hecken umzäunt war. Hier fand sie eine Schäferin, die ein Schaf aus einem Graben ziehen wollte, in den es gefallen war, und es sich sehr sauer dabei werden ließ. »Was macht Ihr da?« fragte sie die Schäferin. »Ach!« antwortete jene, »da will ich ein Schaf retten, das beinahe schon ersoffen ist, aber ich bin nicht imstande, es herauszuziehen.« – »Es tut mir leid«, sagte das Mädchen und ritt davon. »Adieu, schöne Ritterin«, rief ihr die Schäferin nach. Wie? sagte unsere Heldin bei sich, schöne Ritterin? Die Alte hat mich kaum einen Augenblick gesehen und erkennt mich gleichwohl als das, was ich bin! Wenn es mir bei der Armee ebenso ginge? Würde der König meinen Vater nicht für einen feigherzigen Mann halten, der sich nicht in den Krieg wagt? Nein, nein, es ist besser, daß ich geradewegs wieder umkehre.[67]

Der Alte und seine Töchter sprachen eben von ihr, als sie angeritten kam. Sie erzählte ihre Abenteuer und was sie bewogen hatte, ihren Vorsatz fahrenzulassen. Ihr Vater fand das sehr natürlich. »Wenn du mir gefolgt hättest, so würdest du es gar nicht übernommen haben. Ein verkleidetes Mädchen bleibt immer kenntlich.«

Indes befanden sich nun alle wieder in der vorigen Verlegenheit, als die zweite Tochter zu ihrem Vater kam und ihn um die Erlaubnis bat, an die Stelle ihrer Schwester zu treten. »Meine Schwester«, sagte sie, »hat noch niemals zu Pferde gesessen, also ist es sehr natürlich, daß man sie erkannt hat. Ich bin das Reiten mehr gewohnt. Und wenn Ihr mir erlaubt, zur Armee zu gehen, so verspreche ich Euch, daß Ihr mit mir zufrieden sein sollt.«

Der Alte gab sich alle Mühe, ihr diese Idee auszureden, es war umsonst. Sie nahm andere Kleider, andere Waffen, ein anderes Pferd, umarmte ihren Vater und ihre Schwestern und ritt davon. Als sie an die Wiese kam, fand sie die nämliche Szene: ein Schaf im Graben und eine Schäferin, die es herausziehen wollte. »Ich Unglückliche«, sagte die Schäferin, »meine halbe Herde ist mir so zugrunde gegangen. Und wenn mir nur noch jemand Beistand leistete, so könnte ich das arme Tier hier retten, aber alle Welt geht an mir vorbei.« – »Warum sorgt Ihr auch so wenig für Eure Herde«, sagte unsere Heldin, »daß Ihr Eure Schafe ins Wasser fallen laßt«, und mit diesen Worten gab sie ihrem Pferd die Sporen und ritt davon. »Adieu, schöne Reiterin!« rief ihr die Schäferin nach. Die Amazone erschrak. Da wäre ich also auch erkannt, dachte sie. Es geht mir nicht besser als meiner Schwester. Ich müßte eine Törin sein, wenn ich zur Armee ginge. Die ganze Welt würde mich erkennen. Traurig lenkte sie ihr Pferd um und kehrte wieder nach Hause zurück.

Ihr Vater empfing sie mit großer Zärtlichkeit und lobte sie wegen ihrer Klugheit. Aber sein Kummer wurde nur noch größer, da er die Kosten für die Ausrüstung seiner Töchter vergeblich aufgewendet hatte. Der gute Alte grämte sich heimlich darüber, aber wiewohl er seine Töchter nicht betrüben wollte, so merkten sie es doch, und die Jüngste[68] kam zu ihm und bat ihn nun auch um die Erlaubnis, an seiner Stelle zur Armee zu gehen. »Ich hoffe«, sagte sie, »es soll mir besser glücken als meinen Schwestern. Ich bin größer als sie, und Ihr wißt, daß ich im Reiten und Jagen nicht ungeschickt bin. Das Verlangen, Euch aus Eurer Verlegenheit zu ziehen, gibt mir ungewöhnlichen Mut und Zuversicht ein.«

Der Alte liebte dieses Kind mehr als die anderen, sie trug auch die meiste Sorge für ihn: Sie wartete ihn am fleißigsten, wenn er krank war, sie las ihm vor, sie machte ihm die besten Speisen und schoß ihm das beste Wildbret. Er suchte daher nur alle möglichen Gründe, um sie von ihrem Vorsatze abzubringen. Aber umsonst. Sie ließ sich ein ganz einfaches Kleid machen, nahm ein schlechtes Pferd, denn ihre Schwestern hatten die guten Pferde lahm geritten, umarmte ihren Vater und ihre Schwestern und ritt davon.

Als sie an die Wiese kam, fand sie die alte Schäferin noch immer in voller Arbeit mit ihrem Schafe. »Was macht Ihr da, Schäferin?« fragte Bellebelle – so hieß sie nämlich. »Ach! mein Herr«, antwortete die Schäferin, »schon den ganzen Tag plag ich mich mit diesem Schafe und kann es nicht aus dem Graben herausbringen. Ich bin so müde, daß ich kein Glied mehr regen kann. Fast alle Tage begegnet mir so ein Unfall, und niemand hilft mir.«

»In der Tat, Ihr tut mir leid«, sagte Bellebelle, »aber ich will sehen, ob ich Euch helfen kann.« Sie stieg ab vom Pferde, sprang über die Hecken und trat in den Graben. Nach einiger Mühe zog sie das Schaf heraus. »Da habt Ihr Euer Schaf«, sagte sie, »dafür, daß es den ganzen Tag im Wasser gelegen hat, ist es noch ziemlich munter.«

»Ihr habt mir einen großen Dienst geleistet«, antwortete die Schäferin, »und ich will dankbar dafür sein. Ich kenne Euch, ich weiß, wo Ihr hinzugehen gedenkt, und alle Eure Pläne sind mir bekannt. Eure Schwestern sind bei ebendieser Wiese vorbeigekommen. Ich kannte sie recht gut, aber sie waren nicht artig gegen mich, und so fand ich für gut, sie wieder nach Hause zu schicken. Eure Güte verdient eine Belohnung. Ich bin[69] eine Fee, und es ist meine Leidenschaft, denen Gutes zu tun, die es verdienen. Ihr habt hier ein häßliches mageres Pferd, ich will Euch ein besseres geben.« Bei diesen Worten berührte sie die Erde mit ihrem Schäferstab; Bellebelle hörte Gewieher, sah sich um und erblickte einen herrlichen Hengst, der über die Wiese galoppierte. Die Fee rief ihn herbei. »Komm, komm«, sagte sie, »und rüste dich schöner als das beste Pferd des Kaisers Matapa.« In dem Augenblick war der Hengst über und über auf das kostbarste gerüstet: Er hatte eine Schabracke aus grünem Samt mit Diamanten und Rubinen besetzt, einen ebensolchen Sattel, Zügel ganz aus Perlen und goldenes Zaumzeug; etwas Schöneres war nicht zu finden.

»Die Schönheit dieses Pferdes«, sagte die Fee, »ist sein kleinster Vorzug, denn an Tugend und Geschicklichkeit hat es seinesgleichen nicht. Es frißt alle acht Tage nur einmal, es ist immer glatt, ohne daß man es zu striegeln braucht, es weiß das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige, es ist seit langer Zeit in meinem Dienste, und ich habe es eigentlich für mich zugeritten. Wenn Ihr also eine Nachricht oder meinen guten Rat nötig habt, so fragt nur dieses Pferd, und es wird Euch in allen Fällen die beste Auskunft geben. Ihr könnt es als Euren Freund betrachten; denn mancher Fürst wäre glücklich, wenn er einen solchen Minister hätte. Aber Ihr habt auch noch Kleider nötig, ich will Euch damit versorgen.« Sie schlug mit dem Schäferstabe auf die Erde, und sogleich kam ein Koffer zum Vorschein, mit Saffian überzogen und mit goldenen Nägeln beschlagen. Die Fee holte einen goldenen Schlüssel unter dem Grase hervor und schloß den Koffer auf. Darin lagen zwölf Gewänder mit Stickerei und Diamanten, eines immer schöner als das andere, zwölf Hemden, zwölf Degen, zwölf Federbüsche und so noch mehrerlei, alles dutzendweise. »Wählet Euch eins von den Gewändern«, sagte die Fee, »die übrigen werden Euch allenthalben folgen. Wenn Ihr etwas nötig habt, stoßt nur mit dem Fuß auf die Erde und sagt: ›Koffer, Koffer, komm hervor, mit Kleidern, mit Wäsche, mit Spitzen, mit Gold und Edelsteinen!‹ So wird er gleich kommen, Ihr möget sein, wo Ihr wollt. Nun müßt Ihr auch vor allen Dingen einen Namen haben, denn[70] Bellebelle geht für einen Kriegsmann nicht. Ich dächte, Ihr nenntet Euch Fortuné, den glücklichen Ritter. Endlich ist es auch billig, daß Ihr mich kennenlernt.« Zugleich ließ sie ihre alte Hülle zur Erde fallen und erschien Bellebelles Augen so jung und strahlend als ein Mädchen von achtzehn Jahren. Sie trug eine Robe von blauem Samt, mit Hermelin gefüttert, ihre Haare waren mit Perlen durchflochten, und auf dem Kopfe trug sie eine kostbare Krone.

Bellebelle warf sich ihr, von Bewunderung und Dankbarkeit durchdrungen, zu Füßen. Die Fee hob sie auf, umarmte sie und riet ihr, ein Gewand aus grünem und goldenem Brokat anzulegen. Bellebelle gehorchte ihr. Dann stieg sie aufs Pferd und setzte ihre Reise fort, voll von dem, was ihr begegnet war, und mit tausend Plänen beschäftigt, wie sie ihren armen Vater glücklich machen und ihm sein Alter erleichtern wollte.

So war sie nicht lange geritten, als sie in eine volkreiche Stadt kam. Sie zog aller Augen auf sich, man folgte ihr nach, man umringte sie, man fragte sich, wer das wohl sein könnte; denn noch nie hatte man einen so schönen, wohlgewachsenen und reich gekleideten Ritter gesehen, nie ein schöneres Pferd, nie ein prächtigeres Zaumzeug.

Bellebelle wollte in einem Gasthof absteigen, aber der Gouverneur, der sie hatte kommen sehen, ließ ihr ein Zimmer in seinem Schlosse anbieten. Sie schlug es auf eine höfliche Art aus, versprach aber, ihm aufzuwarten, und ließ ihn um einen von seinen Bedienten bitten, dem sie eine Sache von Wichtigkeit an ihren Vater anvertrauen könnte. Der Gouverneur schickte ihr unverzüglich einen sicheren Mann, worauf sich unser Ritter in ein Zimmer einschloß und den Koffer mit Goldstücken und Diamanten zu sich kommen ließ.

Der Koffer erschien, aber ohne Schlüssel. Fortuné probierte einige, die er bei sich trug, doch keiner wollte passen. Er dachte daran, das Schloß aufbrechen zu lassen, aber der Schlosser konnte ihn verraten, wenn er diese Reichtümer bei ihm entdeckte. Er suchte überall, aber er fand nirgends etwas. »Wie unglücklich bin ich!« rief er aus. »Was helfen mir die Geschenke der Fee, wenn sie in diesem Koffer verschlossen bleiben?«[71] Jetzt fiel ihm ein, daß er sein Pferd um Rat fragen könnte. Er eilte sogleich in den Stall. »Lieber Kamerad«, sagte er ganz leise zu ihm, »entdecke mir doch, wo ich den Schlüssel zu meinem Koffer finden kann.« – »In meinem Ohr«, antwortete das Pferd. Fortuné sah in das Ohr und erblickte ein grünes Band. Er zog daran und zog den Schlüssel heraus. Der Koffer öffnete sich und zeigte seine Schätze. Der Ritter füllte drei Kästchen mit Diamanten und Goldstücken, eines für den Alten und zwei für die Schwestern, gab sie dann dem Bedienten und bat ihn, sich weder Tag noch Nacht aufzuhalten, bis er das Haus des alten Grafen erreicht hätte.

Der Bote verweilte keinen Augenblick. Als er zu dem guten Alten kam und ihm sagte, sein Sohn habe ihn geschickt und er bringe ihm einen schweren Kasten, kam es dem Alten ganz unbegreiflich vor, daß ihm seine Tochter etwas schicken sollte, da sie mit einer so kleinen Barschaft abgereist war, daß sie kaum den Boten hätte bezahlen können. Aber er erstaunte noch weit mehr, als er das Kästchen öffnete und die Reichtümer sah, die es enthielt. Das sonderbarste dabei war, daß seine Töchter, als sie die ihrigen aufmachten, nichts darinnen fanden als bunte Glassteine und Zahlpfennige, denn die Fee wollte nicht, daß sie an ihren Wohltaten teilhätten. Sie glaubten nicht anders, als daß ihre Schwester sie zum besten haben wollte, und schimpften auf sie. Der Graf suchte sie zu beruhigen und gab ihnen eine große Menge Diamanten von den seinigen, aber sowie sie dieselben anrührten, verwandelten sie sich in Glas. Sie schlossen hieraus, daß eine unbekannte Macht sie anfeinde, und baten ihren Vater, das übrige für sich allein zu behalten.

Der schöne Ritter reiste fort, ohne die Wiederkunft des Boten abzuwarten, denn seine Reise war gar zu eilig. Vorher besuchte er den Gouverneur, bei welchem sich die ganze Stadt versammelt hatte, um ihn zu sehen, denn seine Person und alles, was er tat, hatten etwas so Ehrbares und Anmutiges an sich, daß man ihn notwendig bewundern und lieben mußte. Auch alles, was er sagte, war ein Vergnügen zu hören. Kurz, das Gedränge, das man um ihn machte, war so außerordentlich groß, daß er selbst darüber erstaunte,[72] und dieses um so mehr, weil Bellebelle stets auf dem Lande gelebt und wenig Menschen gesehen hatte.

Der Ritter trat hernach seine Reise an. Sein vortreffliches Pferd erzählte ihm allerlei Neues, auch viele Merkwürdigkeiten aus alten und neuen Geschichten. »Mein lieber Herr«, sagte es unter anderem, »ich sehe, daß Ihr viel Ehre und Redlichkeit besitzet. Ich war es überdrüssig, mit gewissen Leuten zu leben, deren Gesellschaft so unerträglich für mich war, daß ich meines Lebens nicht froh wurde. Einst diente ich einem gewissen Manne, der mir überaus freundlich begegnete und mich, sooft er mit mir sprach, über den Pegasus und den Buzephalus erhob, aber sobald ich nicht zugegen war, hieß er mich einen Karrengaul und eine Schindmähre. Er lobte mit allem Fleiße meine Fehler, damit ich in noch größere verfallen sollte. Als ich endlich seine Falschheit nicht länger ertragen konnte, gab ich ihm einen solchen Schlag mit dem Fuße, daß ihm fast alle Zähne aus dem Maul flogen, und wenn er mir nach dieser Zeit begegnete, sagte ich ihm allemal: ›Ein Mund, welcher Unschuldige lästert, muß billig zerschlagen werden.‹« – »Ei, ei«, sagte Fortuné, »du bist sehr hitzig. Fürchtest du aber nicht, daß er dir den Degen in den Leib stoßen könnte?« – »Das ist nicht wichtig«, antwortete Kamerad, »und überdies hätte ich auch im voraus gewußt, was er wider mich beschlossen haben würde.«

Unter solchen Gesprächen kamen sie in einen großen Wald. »Hier wirst du einen Holzhacker finden«, sagte Kamerad, »der uns von großem Nutzen sein kann. Er ist begabt.« – »Was meinst du damit?« sagte Fortuné. »Die Feen«, antwortete das Pferd, »haben ihn mit Talenten beschenkt. Suche ihn zu bereden, daß er mit uns geht.«

Es währte nicht lange, so kamen sie an den Ort, wo der Holzhauer arbeitete. Der Ritter näherte sich ihm mit einem sanften und einschmeichelnden Wesen und tat verschiedene Fragen an ihn, die dieser mit Verstand und Klugheit beantwortete. »Wo sind denn Eure Gehilfen hingegangen?« sagte Fortuné unter anderem, »ich sehe ja hier eine Menge gefällter Bäume.« Der Holzhauer antwortete, er habe sie alle allein in wenigen[73] Stunden gefällt und es seien ihrer noch nicht genug zu einer Last. »Wie?« sagte der Ritter, »Ihr wollt doch nicht etwa all das Holz auf einmal aufhocken?« – »Warum nicht?« antwortete der Holzhauer. »Dies und noch mehr dazu, darum heiß ich auch Forteéchine, Mark-im-Buckel.« – »Wenn Ihr so stark seid«, sagte Fortuné, »so müßt Ihr wohl sehr viel verdienen?« – »Das eben nicht«, versetzte jener. »Die Leute sind hierzulande sehr arm. Jeder tut seine Arbeit, und man bittet nicht so leicht einen anderen um Hilfe.« – »Da dem so ist«, erwiderte Fortuné, »so denk ich, Ihr suchtet Euer Glück auswärts zu machen. Geht mit mir, und es soll Euch an nichts fehlen. Wenn Ihr aber Lust bekommt, wieder nach Hause zurückzukehren, so verspreche ich, Euch so viel Geld zu geben, als Ihr dazu nötig habt.« Der Holzhauer besann sich nicht lange, ließ seine Axt liegen und folgte seinem neuen Herrn.

Kaum hatten sie das Ende des Waldes erreicht, als sie in der Ebene einen Menschen fanden, der sich die Füße zusammenband und nur etwa so viel Raum ließ, daß er notdürftig schreiten konnte. Kamerad stand still und sagte zu seinem Herrn: »Dieser Mensch hier ist ebenfalls begabt. Du kannst ihn brauchen, nimm ihn mit.« Fortuné näherte sich ihm und fragte mit seiner gewohnten Leutseligkeit, warum er sich die Beine zusammenschnüre. »Ich rüste mich zur Jagd«, antwortete jener. »Wie?« versetzte der Ritter, »glaubt Ihr denn besser laufen zu können, wenn Ihr Euch einschnürt?« – »Das eben nicht«, antwortete er, »ich laufe weniger schnell, aber das ist auch meine Absicht. Wenn ich das nicht tue, so laufe ich über alle Hasen und Hirsche hin und bekomme keinen.« – »Ihr scheint mir ein außerordentlicher Mensch zu sein«, sagte Fortuné, »wie heißt Ihr?« – »Léger, Wie-der-Wind«, antwortete der Jäger, »unter diesem Namen bin ich hierzulande bekannt.« – »Wenn Ihr Lust habt, auch andere Länder zu sehen, so folgt mir. Es soll Euch an nichts fehlen, und viel zu tun werdet Ihr auch nicht haben.« Wie-der-Wind hatte in seinem Vaterlande wenig zu verlieren und trug also kein Bedenken, Fortunés Vorschlag anzunehmen, welcher die Reise mit seinen Begleitern fortsetzte.[74]

Den folgenden Tag fand er an dem Ufer eines Sees einen Menschen, der sich die Augen verband. Das Pferd sagte zu seinem Herrn: »Ich rate dir, diesen Menschen in deine Dienste zu nehmen.« Fortuné fragte ihn sogleich, warum er sich die Augen verbinde. »Weil ich sonst gar zu gut sehe«, antwortete er. »Ich entdecke alles Wildbret in einer Strecke von vier Stunden, und ich tue keinen Schuß, ohne mehr zu erlegen, als ich brauchen kann. Ich muß mir also die Augen verbinden, und gleichwohl ist kein Vogelnest vor mir sicher. Es ist mir ein leichtes, in weniger als zwei Stunden ein ganzes Land davon zu reinigen.« – »Ihr seid ein geschickter Mann«, sagte Fortuné. »Wie heißt Ihr denn?« – »Sie heißen mich Tireur, den Scharfschütz«, antwortete er, »und Jagen ist mein Leben. Ich möchte um alles in der Welt nichts anderes treiben.« – »Gleichwohl hab ich große Lust, Euch vorzuschlagen, in meine Dienste zu treten«, sagte Fortuné. »Ihr könnt dabei immer Gelegenheit finden, Eure Kunst zu üben.« Der Scharfschütz machte anfänglich Schwierigkeiten, da er die Freiheit sehr liebte, und der Ritter hatte Mühe, ihn zu bereden. Endlich gelangte er zu seinem Ziel und entfernte sich von dem Ufer des Sees.

Als er eines Tages an einer Wiese hinritt, ward er einen Menschen gewahr, der auf einem Ohr lag und auf etwas zu lauern schien. »Herr«, hub Kamerad an, »dieser Mensch ist eben auch begabt. Nimm ihn in deine Dienste. Er wird dir von großem Nutzen sein.« Fortuné ritt auf die Wiese und fragte den Menschen, was er da mache. »Ich habe einige Kräuter nötig«, antwortete er, »und da horche ich, ob das, was wächst, meiner Absicht dienlich ist.« – »Habt Ihr denn ein so feines Gehör, daß Ihr das Gras wachsen hört?« – »Allerdings«, antwortete der Mann, »darum heiße ich auch Fine-oreille oder Feinohr.« – »Nun gut, Feinohr«, fuhr der Ritter fort, »hättet Ihr wohl Lust, in meine Dienste zu treten? Ich will Euch einen Lohn geben, mit dem Ihr zufrieden sein sollt.« Feinohr nahm diesen Vorschlag auf der Stelle an und folgte seinem liebenswürdigen Herrn.

Dieser setzte seinen Weg immer weiter fort und sah einen Mann an der Straße stehen,[75] der die Backen aufgeblasen hatte und recht drollig aussah. Vor ihm, in einer Entfernung von zwei Meilen, lag ein Berg, auf welchem fünfzig bis sechzig Windmühlen standen. Das Pferd stand still und sagte zu seinem Herrn: »Dieser Mensch ist begabt. Nimm ihn in deine Dienste.« Fortuné näherte sich ihm und fragte ihn, was er mache. »Ich blase da ein wenig«, antwortete er, »um die Windmühlen dort in Bewegung zu setzen.« – »Seid Ihr denn nicht zu weit davon entfernt?« fuhr der Ritter fort. »Im Gegenteil«, war die Antwort, »wenn ich nicht die Hälfte meines Atems zurückhielte, hätte ich längst die Windmühlen mitsamt dem Berge umgeworfen. Ich bin auf diese Weise an manchem Unglück schuld, ohne es zu wollen. Neulich hatte mich meine Liebste übel behandelt, und indem ich darüber seufzte und stöhnte, stürzte ich einen ganzen Wald über den Haufen. Darum haben sie mir in der ganzen Gegend den Namen Impétueux, Sturmwind, gegeben.« – »Wenn es Euch hier nicht gefällt und Ihr den Leuten nicht ansteht, so kommt mit mir. Ihr habt gute Gesellschaft. Meine Begleiter sind ebenfalls mit außerordentlichen Talenten begabt.« – »Ich bin ein Freund vom Außerordentlichen«, antwortete Sturmwind, »und nehme Euren Vorschlag ohne Bedenken an.«

Fortuné verließ diese Gegend und war wieder eine ziemliche Strecke gereist, als er einen großen Teich erblickte, in den sich mehrere Quellen ergossen. An dem Ufer desselben stand ein Mensch, der sehr aufmerksam hineinsah. »Herr«, sagte Kamerad zu dem Ritter, »dieser Mensch fehlte noch zu deiner Reisebegleitung, und wenn du ihn bereden könntest, mit uns zu gehen, so könntest du von Glück sagen.« Der Ritter näherte sich ihm und fragte ihn, was er da mache. »Das sollt Ihr gleich sehen«, antwortete der Mensch. »Sobald der Teich voll ist, trink ich ihn mit einem Zuge aus. Ich habe ihn zwar schon zweimal ausgetrunken, aber gleichwohl habe ich noch entsetzlichen Durst.« Während der Zeit hatte sich der Teich gefüllt, und jener trank ihn rein aus. Fortuné und alle seine Begleiter sahen ihm mit Erstaunen zu. »Habt Ihr immer so argen Durst?« fragte ihn der Ritter. »Nicht immer«, antwortete jener, »nur wenn ich zuviel Eingesalzenes gegessen habe oder wenn es auf eine Wette ankommt. Um dieses Talentes willen[76] nennt man mich auch Trinquet oder Saufaus.« – »Wißt ihr was, Saufaus«, versetzte der Ritter, »kommt mit mir, ich will Euch Wein zu trinken geben, der Euch besser schmecken soll als das trübe Wasser.« – »Mit Freuden«, antwortete Saufaus, und auf der Stelle folgte er seinem neuen Herrn nach.

Schon erblickten sie in der Ferne das Lager des Königs, als ihnen ein Mensch aufstieß, der von einer unzähligen Menge von Broten umringt war und mit einem solchen Heißhunger aß, als sei er entschlossen, kein einziges von all diesen Broten übrigzulassen. »Herr«, sagte Kamerad zu Fortuné, »suche diesen Menschen zu gewinnen, er fehlt uns noch.« Der Ritter näherte sich ihm und sagte lächelnd: »Wollt Ihr all das Brot zu Eurem Frühstück essen?« – »Natürlich«, antwortete jener. »Mein einziger Kummer ist, daß ich nicht mehr habe, aber die Bäcker sind so faule Kerle, daß sie sich den Henker darum kümmern, ob unsereins Hunger hat oder nicht.« – »Wenn Ihr aber alle Tage soviel braucht«, sagte Fortuné, »so müßt ihr in kurzer Zeit ein ganzes Land aushungern können.« – »Das wäre mir nicht lieb«, antwortete Grugeon oder Vielfraß – so hieß er –, »wenn ich alle Tage solchen Appetit hätte. Das kommt nur so von Zeit zu Zeit.« – »Freund Vielfraß«, fuhr der Ritter fort, »kommt mit mir, und es soll Euch an nichts fehlen, Essen genug, einen leichten Dienst, mit einem Wort, es soll Euch nicht gereuen, in meine Dienste getreten zu sein.«

Es bedurfte wenig Beredung, und Vielfraß ging mit. Das Pferd hatte nun die Vorsicht, seinem Herrn zu sagen, er möchte allen seinen Leuten verbieten, sich ihrer außerordentlichen Gaben zu rühmen. Er rief sie also zusammen und legte ihnen ein unverbrüchliches Stillschweigen auf, indem er ihnen seinerseits versprach, sie alle glücklich zu machen. Jeder schwor ihm, seinen Befehlen gemäß zu handeln, und kurz darauf kamen sie in die Stadt, wo der König sein Hoflager hielt. Fortunés Schönheit und die Pracht seines Aufzuges erregten auch hier großes Aufsehen, und der König, der sogleich von dem schönen Ritter Nachricht bekommen hatte, konnte kaum die Zeit erwarten, da er ihn sehen sollte.[77]

Endlich kam der Tag der Revue, die auf einer großen Ebene vor der Stadt gehalten wurde, und mit Aufgang der Sonne begab sich der König mit seiner Schwester und mit seinem ganzen prächtigen Hofstaate dahin. Fortuné war nicht der letzte, welcher erschien. Jedermann warf die Augen auf ihn, jedermann fragte, wer er sei, und als der König bei ihm vorüberkam, machte er ihm ein Zeichen, sich zu nähern.

Fortuné stieg sogleich vom Pferd und trat vor den König. Eine lebhafte Röte überzog seine Wangen, als er merkte, wie aufmerksam er betrachtet wurde, und diese Röte erhöhte den Glanz seiner Schönheit noch mehr. »Ich freue mich«, redete der König ihn an, »von Euch selbst zu erfahren, wer Ihr seid und wie Ihr Euch nennt.« – »Sire«, antwortete der Ritter, »ich heiße Fortuné, doch bis zu diesem Augenblick hatte ich noch keine Ursache, diesen Namen zu tragen, denn mein Vater, der Graf, welcher an der Grenze wohnt, ist ebenso arm, als er edel und vornehm ist.« – »Nun«, antwortete der König, »Madame Fortuna, die Ihr Eure Patin nennt, hat es nicht übel mit Euch gemeint, Euch hierherzubringen. Ich erinnere mich, daß Euer Vater dem meinigen wichtige Dienste geleistet hat, und ich werde sie ihm an Euch zu vergelten suchen.« – »Das ist nicht mehr als billig«, setzte die verwitwete Königin hinzu. »Ich erinnere mich des Grafen sehr genau, und Ihr könnt mir ohne Bedenken die Sorge überlassen, auf die Belohnung seines Sohnes zu sinnen.«

Fortuné war über diese Aufnahme entzückt, dankte dem König und seiner Schwester mit wenigen Worten, aber mit der besten Manier von der Welt. Er bestieg hierauf sein Pferd und mischte sich unter den Adel, der den König begleitete. Die Königin sah sich also nach ihm um, und die Hofdamen folgten dem Beispiel ihrer Gebieterin. Fortuné konnte sich seinerseits nicht enthalten, seine Augen auf den König zu heften, der der schönste und liebenswürdigste Mann seiner Zeit war. Bellebelle hatte mit dem Unterrock ihr Geschlecht nicht abgelegt, und sie fühlte ihr Herz unruhig schlagen, wenn der König seine Augen von ungefähr auf sie warf. Er ernannte Fortuné zu seinem Stallmeister und stritt sich deswegen mit der Königin, die ihn an ihre Person fesseln wollte.[78]

Fast täglich rief Fortuné seinen Koffer und nahm ein neues Gewand heraus. Er war immer viel prächtiger gekleidet als die Prinzen, die sich an dem Hofe aufhielten, so daß ihn die Königin einige Male fragte, wie er bei den geringen Mitteln seines Vaters diesen Aufwand bestreiten könne. »Gesteht nur die Wahrheit«, sagte sie bisweilen zu ihm, »Ihr habt eine Geliebte, die Euch mit allen den schönen Sachen versieht, die wir an Euch wahrnehmen.« Dann errötete Fortuné und antwortete immer ehrfurchtsvoll, aber unbestimmt auf die Fragen, welche die Königin an ihn tat.

Seinen Dienst versah er auf das pünktlichste, denn er tat ihn mit Freuden, seinem Herrn zuliebe, zu dem er sich von Tag zu Tag stärker hingezogen fühlte. Bisweilen erschrak der arme Ritter, wenn er an seine Lage dachte: Was soll mein Schicksal sein? sagte er dann zu sich selbst. Ich liebe einen mächtigen König, ohne jemals auf Gegenliebe rechnen zu dürfen. Ach! er wird meine Leidenschaft nicht einmal bemerken.

Der König überhäufte ihn seinerseits mit Gunstbezeigungen, und die Königin dachte in allem Ernste daran, sich heimlich mit ihm zu verheiraten, doch ihre ungleiche Geburt machte ihr noch einige Sorgen. Aber sie war nicht die einzige, welche Neigung und Liebe für ihn fühlte. Die schönsten Damen ihres Hofes waren ebenso gesinnt als sie. Alle wetteiferten, ihm zu gefallen; jede suchte seine Gunst zu erringen und ihre Nebenbuhlerin auszustechen. Aber ach! Fortuné blieb bei all ihren Schmeicheleien, ihren Liebesbriefchen, ihren Geschenken kalt und gefühllos. Sie schmollten, auch das half nichts. Sie schmachteten, er schien es nicht zu bemerken. Mit einem Wort, Fortuné tat alles, um die armen Weiber in Verzweiflung zu bringen, die vor Verlangen brannten, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben: Er holte alle Preise beim Turnier, tötete auf der Jagd mehr Wild als die anderen, tanzte auf den Bällen mit einer Grazie, die keiner der Höflinge besaß, kurz, es war ein Vergnügen, ihn zu sehen und zu hören.

Die Königin war am allerübelsten dran. Sie wollte sich gern die Verlegenheit ersparen, ihm ihre Neigung zu gestehen, aber Fortuné kam ihr keinen Schritt entgegen, sondern hielt sich immer in einer ehrfurchtsvollen Entfernung. Endlich trug sie ihrer Vertrauten[79] Floride auf, ihm zu verstehen zu geben, daß so viele Zeichen der Gewogenheit, die ihm eine junge und schöne Königin gebe, wohl etwas mehr als bloße Gnade zum Grunde haben möchten.

Floride war bei diesem Auftrage in großer Verlegenheit. Sie war dem Schicksal der übrigen Damen nicht entgangen, und Fortuné schien ihr selbst viel zu liebenswürdig, als daß sie die Pläne der Königin hätte befördern wollen. Statt also die Aufträge ihrer Gebieterin auszurichten, unterhielt sie den Ritter mit Erzählungen von der üblen Laune und dem Eigensinn der Königin, von ihren Ungerechtigkeiten und dem Mißbrauch, den sie mit der Gunst des Königs trieb. »Ich sollte Königin sein«, sagte sie dann, »ich wollte anders handeln, denn die Großmut ist meine Leidenschaft. Wie wollte ich dann den schönen Fortuné glücklich machen! Er würde mich aus Dankbarkeit lieben, wenn er mich nicht aus Neigung liebte.«

Dem Ritter mißfiel diese Art Unterhaltung, denn sie setzte ihn in Verlegenheit, und er vermied Floride, so gut er konnte. Diese brachte der Königin keine tröstlichen Nachrichten. »Der Ritter ist so furchtsam«, sagte sie, »daß er kein Wort von alledem glauben will, was ich ihm von Eurer Neigung gesagt habe, wenigstens stellte er sich so, denn ich kann mich nicht enthalten zu glauben, daß er irgendeine geheime Leidenschaft in seinem Herzen nährt.« – »Ich vermute selbst so etwas«, sagte die Königin. »Könnten wir denn aber nicht seinen Ehrgeiz rege machen und so seine Leidenschaft einschläfern?« – »Wie?« antwortete Floride, »wollt Ihr sein Herz Eurer Krone danken? Wenn man so jung und schön ist wie Ihr, wenn man sich so vieler herrlicher Eigenschaften und Talente rühmen kann, sollte man da seine Zuflucht zu einem Diadem nehmen?« – »Man nimmt seine Zuflucht zu allem«, antwortete die Königin, »wenn man verliebt ist und ein widerspenstiges Herz zu bezwingen trachtet.«

Floride wagte es nicht, ihr etwas zu entgegnen, und die Königin suchte nun selbst ein Mittel, sich mit Fortuné zu unterhalten und ihn auf bessere Wege zu bringen. Sie wußte, daß er alle Morgen ganz früh in einem kleinen Wäldchen spazierenging, das[80] unter ihrem Fenster lag. Sie stand also mit der Morgenröte auf und stellte sich an das Fenster, ihre Augen nach der Gegend gerichtet, in welcher er erscheinen mußte. Es währte auch gar nicht lange, so kam er niedergeschlagen und langsam einher. Die Königin rief Floride. »Du hast ganz recht«, sagte sie zu ihr, »Fortuné muß verliebt sein. Sieh nur, wie traurig er aussieht!« – »Das habe ich auch bei allen Gesprächen bemerkt«, entgegnete Floride, »und es wäre gut, Herrin, wenn Ihr ihn vergessen könntet.« – »Dafür ist es schon zu spät«, sagte die Königin mit einem tiefen Seufzer. »Laß uns hinabsteigen und ihm folgen, vielleicht machen wir eine Entdeckung.«

Floride wollte ihr nicht widersprechen, so große Lust sie auch hatte. Sie gingen hinunter, und kaum hatten sie den Fuß in das Wäldchen gesetzt, als sie den Ritter folgende Worte singen hörten:


»Wo Amor wohnt, flieht die Zufriedenheit,

Zwar scheint das Glück mich lächelnd zu liebkosen,

Doch ach! Wie bald verwelken nicht die Rosen,

Die seine Hand auf unsre Pfade streut!«


Fortuné hatte in diesem Lied seine Gefühle für den König besungen. Die Königin gab diesen Worten jedoch einen ganz anderen Sinn. »Wie?« sagte sie. »Dieser Undankbare fürchtet die Liebe und zittert vor dem Glück, daß ich ihm zubereite! Er prahlt mit seiner Eroberung, zu stolz, sich selbst besiegen zu lassen, und zu übermütig, meine leisen Wünsche zu hören!« – »Er ist noch zu jung«, sagte Floride, »um der Vernunft Gehör zu leihen. Wenn ich es wagen dürfte, Euch zu raten, so sucht einen Menschen zu vergessen, der Eure Gnade so wenig zu schätzen weiß.« Die Königin schoß einen zornigen Blick auf ihre Vertraute, eilte nach der Laube zu, in welcher sich der Ritter befand, und stellte sich betroffen, ihn an einem Orte zu sehen, wo sie sich ganz allein geglaubt hatte.

Der Ritter verbeugte sich ehrerbietigst und war im Begriff, sich zu entfernen, als die[81] Königin ihm befahl, ihr Gesellschaft zu leisten. »Der Gesang der Vögel«, sagte sie, »hat mich heute morgen so angenehm aufgeweckt, und das heitere Wetter lud mich ein herauszugehen, um sie einmal in der Nähe zu hören. Wie glücklich sind sie! Wie sorgenfrei! Ihre Fröhlichkeit tönt in ihren Liedern, und der Kummer naht sich ihren Herzen nicht!« – »Und doch«, versetzte Fortuné, »sind sie nicht so ganz von Sorgen frei, als Eure Majestät zu glauben scheinen, sie haben die Nachstellungen der Jäger, die Netze und Raubvögel zu fürchten. Wenn der rauhe Winter hereinbricht und die Erde mit Schnee bedeckt, sterben sie oft vor Hunger; und alle Jahre sind sie wenigstens in der Verlegenheit, sich ein Weibchen zu suchen.« – »Haltet Ihr denn das für eine große Verlegenheit?« fiel die Königin lächelnd ein. »Es gibt Männer, die das jeden Monat auf sich nehmen. Oder habt Ihr noch nie eine solche Erfahrung gemacht? Solltet Ihr unter allen unbeständigen Männern vielleicht die einzige Ausnahme sein?« – »Ich weiß nicht, wozu ich fähig bin«, antwortete der Ritter, »denn ich habe noch niemals geliebt. Ich glaube aber, daß, wenn sich mein Herz einmal in die Fesseln der Liebe begäbe, ich nicht die Kräfte hätte, sie jemals zu brechen.« – »Ihr habt noch niemals geliebt?« rief die Königin aus und sah den armen Ritter starr an, der bald rot, bald blaß wurde, »Ihr habt noch niemals geliebt? Ritter, könnt Ihr Eurer Königin eine Unwahrheit sagen? Eure Augen und die Verse, die Ihr vorhin sanget, beweisen, dünkt mich, das Gegenteil.« – »Ich kann nicht leugnen, diese Verse gesungen zu haben«, antwortete Fortuné, »aber das war ganz ohne Absicht, ich versichere Euch, ganz ohne Absicht.« – »Ich will Euch glauben«, versetzte die Königin, in deren Herzen ein Strahl der Hoffnung zu schimmern begann, »aber es ist mir unbegreiflich, daß Ihr bis jetzt an unserem Hofe noch keine Dame gefunden haben solltet, die Eurer Liebe würdig wäre.« – »Die Erfüllung meiner Pflichten«, antwortete Fortuné, »liegt mir so sehr am Herzen, daß ich keine Zeit übrigbehalte zum Seufzen.« – »Ihr liebt also gar nichts?« sagte die Königin mit sichtbarer Lebhaftigkeit. »Nein, Madame. Ich bin nicht für die Damen gemacht. Ich liebe die Freiheit, und ich möchte sie um keinen Preis in der Welt verlieren, selbst um die Liebe[82] nicht.« Die Königin sah ihn zärtlich an. »Es gibt so schöne und glorreiche Ketten, daß man sich glücklich schätzen muß, sie zu tragen. Hätte Euch das Schicksal solche Ketten bestimmt, ich würde Euch raten, der trügerischen Freiheit zu entsagen, auf die Ihr soviel haltet.« Fortuné verstand den Sinn ihrer Worte nur allzugut, aber nach ihren Wünschen konnte er ihr nun einmal nicht antworten, und er mußte ein Gespräch abbrechen, das ihn in die größte Verlegenheit setzte. Er bat also um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen, weil er bei dem Lever des Königs gegenwärtig sein müsse.

Die Königin verfolgte ihn mit den Augen, so weit sie konnte. Als sie ihn aber nicht mehr sah und Zeit hatte, das Geschehene zu überlegen, fühlte sie ihr Herz mit Verdruß, Scham und Unwillen erfüllt. Floride, welche bei der ganzen Unterredung gegenwärtig gewesen war, spielte ihre Rolle, so gut es ihr möglich war, tröstete die Königin, suchte ihr Hoffnung zu machen und den Ritter mit seiner Blödigkeit zu entschuldigen; denn Floride war fest überzeugt, daß der Ritter eine unüberwindliche Abneigung gegen die Königin hegte, sie wünschte aber, sie zu noch deutlicheren Erklärungen zu bewegen und ihrem Ritter Veranlassung zu noch bestimmteren Antworten zu geben.

Fortuné befand sich in einer sehr üblen Lage, und er würde den Hof ohne Bedenken verlassen haben, wenn ihn nicht seine Neigung zu dem König zurückgehalten hätte. Indes mied er die Königin überall, und dieses absichtliche Meiden blieb nicht unbemerkt. Sie beschloß indes, noch einen Sturm zu wagen, und ergriff die Gelegenheit, da sie ihn im Garten fand. Sie rief ihn, und da er fürchtete, sich ihren Zorn zuzuziehen, wenn er sich stellte, als hätte er sie nicht gehört, näherte er sich ihr furchtsam und ehrerbietig.

»Erinnert Ihr Euch noch der Unterredung«, sagte sie zu ihm, »die wir neulich in der Laube zusammen hatten? Die Fragen, die ich an Euch tat, müssen Euch sehr unangenehm gewesen sein, da Ihr mich seit dem Tage nicht wieder in den Fall gesetzt habt, ähnliche Fragen an Euch zu tun?« – »Es wäre Kühnheit gewesen«, antwortete der Ritter, »das geflissentlich zu suchen, was mir damals der Zufall verschaffte.« – »Sagt lieber«, versetzte die Königin, »daß Ihr meine Gegenwart gemieden habt. Ihr kennt[83] meine Gesinnung nur allzugut.« Fortuné schlug die Augen in sichtbarer Verlegenheit nieder, und da er ihr nicht antwortete, fuhr sie fort: »Gebt Euch nicht die Mühe, auf eine Antwort zu sinnen. Euer Stillschweigen sagt mir am deutlichsten, was Ihr denkt.«

In diesem Augenblick bemerkte sie den König. Er ging traurig auf und ab. Irgendein wichtiger Gegenstand schien seinen Geist zu beschäftigen. Die Königin eilte auf ihn zu und beschwor ihn, ihr die Quelle seiner Unruhe nicht zu verbergen. »Du weißt, liebe Schwester«, antwortete der König, »daß ich vor einigen Wochen die Nachricht erhielt, ein ungeheurer Drache verwüste das ganze Land. Ich hoffte, daß man Mittel finden würde, ihn zu töten. Ich gab alle nötigen Befehle, aber man hat alles vergeblich versucht. Er verschlingt Menschen und Herden, er vergiftet Flüsse und Quellen, und auf seinem Wege vertrocknet Gras und Kraut.«

Während der König so sprach, sann die Königin auf ein Mittel, den Ritter ihrer Rache aufzuopfern. »Diese traurigen Nachrichten sind mir nicht unbekannt«, antwortete sie. »Fortuné, den du bei mir gesehen haben wirst, hat sie mir eben hinterbracht und hat mich, was dich vielleicht wundern wird, auf das dringendste gebeten, ihm die Erlaubnis auszuwirken, den Drachen zu bekämpfen. Ich glaube auch, daß er der Mann ist, der noch am ehesten mit ihm fertig werden könnte, denn an Geschicklichkeit und Mut kommt ihm nicht leicht jemand gleich. Er hat mir überdies gesagt, daß er ein Mittel hat, die wildesten Drachen einzuschläfern. Indes muß man davon nicht reden, um seinen Ruhm nicht zu schmälern, wenn er den Kampf besteht.« – »Er mag den Kampf bestehen, auf welche Weise er will, er wird ruhmvoll für ihn und nützlich für uns sein«, sagte der König. »Aber ich fürchte, sein Eifer, uns zu dienen, führt ihn zu weit und könnte ihn sogar das Leben kosten.« – »Ich glaube nicht, lieber Bruder, daß du deswegen besorgt zu sein brauchst«, antwortete die Königin. »Er hat mir Wunderdinge erzählt, und du weißt, daß er nicht prahlt. Ich habe ihm auch wirklich versprochen, ihm die Erlaubnis bei dir auszuwirken, und ich glaube, daß es ihn sehr kranken würde, wenn er eine abschlägige Antwort bekäme.« – »Nun, so sei es«, versetzte der König,[84] »ich gebe sie ihm zwar ungern, aber ich will seinem Mut keine Schranken setzen. Wir wollen ihn rufen.«

Fortuné erschien, und der König sagte auf eine sehr verbindliche Weise zu ihm: »Die Königin hat mir von dem Verlangen gesagt, das Ihr hegt, den Drachen zu bekämpfen, der mein Königreich verwüstet, und ich habe eine so hohe Meinung von Eurem Mut, daß ich Euch nicht abhalten will, Ruhm und Ehre zu ernten. Aber ich hoffe, daß Ihr die Gefahr wohl überlegt habt, in die Ihr Euch begebt.« – »Ich habe sie ihm so lebhaft als möglich vor Augen zu stellen gesucht«, fiel die Königin ein, »aber sein Eifer, dir zu dienen, und seine Begierde, sich auszuzeichnen, sind so groß, daß er keinen Vorstellungen Gehör schenken will.«

Fortuné war wie aus allen Wolken gefallen. Er erriet die boshafte Absicht der Königin, aber er antwortete nichts, und der König glaubte in seinem Stillschweigen die Unveränderlichkeit seines Vorsatzes zu lesen. »So geht denn«, fuhr er mit einem tiefen Seufzer fort, »ich kenne Eure Geschicklichkeit und Euren Mut, und ich hoffe, daß Ihr siegreich zurückkehren werdet.« – »Sire«, antwortete der Ritter, »der Kampf mag ausfallen, wie er will, ich werde mit meinem Schicksal zufrieden sein. Ich befreie Euch entweder von einer furchtbaren Geißel, oder ich sterbe für Euch. Beides wird für mich süß und glorreich sein. Aber ich wage es, vorher um eine Gnade zu bitten.« – »Bittet, was Ihr wollt«, antwortete der König. »Ich wage es, um Euer Bildnis zu bitten.« – »Eure Bitte soll Euch gewährt sein«, versetzte der König.

Fortuné befand sich über sein gegebenes Versprechen in keiner geringen Verlegenheit. Er begab sich sogleich in den Stall zu seinem Pferde, es um Rat zu fragen. »Ich weiß schon, was du willst«, sagte das Pferd, als er zu ihm trat. »Sag, was fangen wir an?« – »Wir reisen so geschwind als möglich ab«, war die Antwort. »Laß dir vom König eine Order ausstellen, den Drachen zu töten. Wir wollen dann schon unsere Schuldigkeit tun.« Diese wenigen Worte flößten dem jungen Ritter Mut ein. Er begab sich den anderen Morgen zum König und bat um die Erlaubnis zur Abreise. Als ihn der König[85] sah, rief er aus: »Wie? Ihr wollt schon fort?« – »Man kann nicht eilfertig genug sein, Eure Befehle zu befolgen«, antwortete Fortuné. Der König war gerührt. Er sah ihn ungern reisen, aber er wollte ihn nicht hindern, seinen Mut zu zeigen und Lorbeeren zu ernten. Er umarmte ihn also, schenkte ihm sein Bildnis und stellte ihm einen Befehl aus, in welchem alle seine Untertanen ermahnt wurden, dem Ritter alle Hilfe zu leisten, deren er etwa bedürfe.

Fortuné nahm hierauf Abschied vom König und ging auch zu der Königin, die, von Damen umgeben, an ihrem Nachttisch saß. Sie verfärbte sich, als sie ihn sah, er aber grüßte sie ehrfurchtsvoll und bat um ihre Befehle, weil er im Begriff sei, seine Reise anzutreten. Floride geriet bei dieser Nachricht beinahe außer sich. Auch die Königin war bestürzt, aber sie faßte sich. »Ich bitte den Himmel«, sagte sie, »Euch siegreich zurückzubringen.« – »Ich hoffe es«, antwortete Fortuné. »Ihr kennt die Gefahr, die mit meinem Unternehmen verbunden ist. Mir ist sie auch nicht unbekannt, gleichwohl bin ich voll Mut und Zuversicht. Viel leicht bin ich jetzt an Eurem Hof der einzige, der so gute Hoffnungen hegt.« Die Königin verstand, was er damit sagen wollte, aber sie fand nicht für gut, darauf zu antworten.

Endlich kehrte Fortuné nach Hause zurück und befahl seinen sieben Bedienten, sich zu Pferde zu setzen und ihm zu folgen, weil sich jetzt eine Gelegenheit zeige, wo er ihre Talente nutzen könne. Alle waren vergnügt, ihrem Herrn einen Dienst leisten zu können, machten ihre Pferde zurecht, und in weniger als einer Stunde saß der Ritter mit seiner ganzen Dienerschaft auf.

Sie waren noch nicht weit geritten, als sie die Schreie einiger Menschen vernahmen, die dem Drachen in die Klauen geraten waren. Bald darauf kamen ihnen einige andere in den Weg gerannt, die dem Ungeheuer entflohen und von denen sie erfuhren, daß es nicht weit entfernt war. Sie erzählten ihm unter anderem, daß sie, da das Wasser in ihrem Lande selten sei, einen Teich gemacht hätten, um den Regen aufzufangen. An diesem Teiche lasse sich der Drache bisweilen nieder, um zu saufen, und erhebe ein solchesGeschrei, daß man ihn eine Stunde weit hören könne. Alsdann verstecke sich jedermann und verrammele Fenster und Türen.

Als der Ritter diese Nachrichten eingezogen hatte, begab er sich in ein Wirtshaus, um mit seinem getreuen Pferde Rat zu pflegen. »Was können wir wohl anfangen, um über den Drachen Herr zu werden«, fragte er das Pferd. »Ich will diese Nacht darüber nachdenken«, antwortete es, »und morgen früh sollst du meinen Rat vernehmen.« Als der Ritter den anderen Morgen wieder in den Stall kam, um die Meinung seines Meisters zu hören, sagte das Pferd zu ihm: »Mein Rat ist, daß Feinohr horche, ob der Drache in der Nähe ist.« Feinohr legte sich sogleich auf die Erde und horchte. Es währte gar nicht lange, so hörte er das Gebrüll des Drachens, der noch sieben Meilen entfernt war. »Nun«, sagte das Pferd, »muß Saufaus den Teich austrinken, und Mark-im-Buckel muß eine Ladung Wein hineintragen. Um das Ufer herum legt Rosinen, Pfeffer und andere Durst erregende Dinge. Alle Einwohner der Gegend sollen sich in ihren Häusern verborgen halten, und auch du, mein Herr, darfst das deinige nicht verlassen. Du wirst sehen, daß du den Drachen in deine Gewalt bekommst.«

Diese Anstalten waren in kurzer Zeit gemacht, Fortuné schloß sich mit seinen Leuten in ein Haus ein, das die Aussicht auf den Teich hatte, und kurz darauf ließ sich der Drache an seinem Ufer nieder. Er fraß und trank und trank so lange, bis er trunken war. Er sank auf die Seite, und die Augen fielen ihm zu. Fortuné versäumte diesen glücklichen Augenblick nicht. Er verließ seine Wohnung mit dem Degen in der Faust und durchbohrte den Drachen. Dieser stieß ein schreckliches Gebrüll aus und drang auf den Ritter ein, aber das Blut floß schon in Strömen aus seiner Wunde, die Kräfte verließen ihn, und er sank tot darnieder. Fortuné rief seine Leute herbei, um ihn zu binden und nach der Stadt zu schleppen. Alle machten sich auf den Weg, um dem König das Schauspiel des besiegten Ungeheuers so bald als möglich zu verschaffen.

Wie-der-Wind hatte die Nachricht von dem Siege lange vorher gebracht, ehe der Ritter selbst ankam. Der König ging ihm entgegen, umarmte ihn und wünschte ihm[88] Glück. Der ganze Hof und die ganze Stadt versammelten sich um den seltenen Mann, der das Land von dem verderblichen Ungeheuer befreit hatte. Jedermann dankte ihm, alle waren von der lebhaftesten Freude beseelt. Nur die Königin, in deren Herzen immer noch Liebe und Rachsucht kämpften, war ungewiß, ob sie sich freuen oder betrüben sollte.

Sie lag noch mit sich selbst im Streit, als der König mit dem Ritter in ihr Zimmer trat. »Hier bringe ich dir den Besieger des Drachens«, sagte er zu ihr, »er hat mir den größten und herrlichsten Dienst geleistet, den ich von einem getreuen Untertan erwarten konnte. Da du ihm die Erlaubnis dazu ausgewirkt hast, ist es auch deine Pflicht, ihn für die Gefahr zu belohnen, welcher er sich ausgesetzt hat.« Die Königin versuchte ihre Verlegenheit so gut als möglich zu verbergen, empfing den Ritter mit sehr gnädigen Worten, überhäufte ihn mit Lob und fühlte jeden Augenblick lebhafter, daß sie sich selbst betrogen hatte, als sie den Ritter zu hassen glaubte.

Je öfter sie ihn sah, desto heftiger wurde ihre Leidenschaft. Eines Tages befand sie sich mit ihm auf der Jagd, und sie glaubte, diese Gelegenheit nicht vorüberlassen zu dürfen, sich mit Fortuné auszusöhnen. Sie stellte sich unpäßlich, blieb zurück und bat den Ritter, ihr Gesellschaft zu leisten. Er gehorchte. Die Königin, Floride und Fortuné stiegen vom Pferde und setzten sich an den Rand eines Baches, ohne daß eines von allen dreien den Mund zum Reden geöffnet hätte.

Endlich brach die Königin das Stillschweigen und heftete ihre Augen auf den Ritter. »Die besten Absichten«, hob sie an, »werden am leichtesten verkannt. Ich habe Ursache zu glauben, daß auch Ihr meinen Handlungen eine ganz falsche Deutung gegeben habt. Als ich in den König drang, Euch gegen den Drachen zu senden, sagte mir eine untrügliche Ahnung, daß Ihr siegreich aus diesem Kampfe zurückkehren würdet. Ich muß Euch sagen, daß Eure Neider bisweilen übel von Eurem Mut gesprochen haben, weil Ihr nicht mit zur Armee gegangen seid. Dies tat mir weh, und ich glaubte ein Mittel gefunden zu haben, ihnen den Mund zu stopfen. Es sollte mir leid tun, wenn Ihr mich[89] anders verstanden hättet.« – »Der Abstand, welcher uns voneinander trennt, gnädige Königin«, antwortete der Ritter, »ist so groß, daß ich diese Erklärung so wenig als die Sorge verdiene, die Ihr für meine Ehre getragen habt. Der Himmel hat sich meiner besser angenommen, als meine Feinde wünschten, und ich werde es immer für ein Glück erachten, mein Leben für meinen König und meine Königin auf das Spiel setzen zu können.«

Der Vorwurf, welchen ihr der Ritter, obgleich in ehrerbietiger Art, machte, brachte die Königin in Verlegenheit. Sie verstand sehr wohl alles, was er sagen wollte. Aber er schien ihr viel zu liebenswürdig, als daß sie ihn durch eine zu harte Antwort hätte beleidigen wollen. Sie stellte sich vielmehr, als pflichtete sie seinen Gedanken bei, und bat ihn, er möchte ihr ausführlich erzählen, wie er den Drachen besiegt hatte. Der Ritter tat es, hielt es aber nicht für nötig zu sagen, welchen Beistand ihm seine Leute dabei geleistet hatten. Er rühmte sich vielmehr, daß er dem grimmigen Drachen beherzt unter die Augen getreten sei und daß er sich durch seine Geschicklichkeit, ja Verwegenheit aus der Affäre gezogen habe. Die Königin hörte kaum dem zu, was er sagte. Sie unterbrach zuletzt seine Erzählung, indem sie ihn fragte, ob er nun völlig überzeugt sei, daß sie den größten Anteil an allem nehme, was ihn angehe. Ich weiß nicht, was sie noch alles gesagt hätte, aber der Ritter sagte: »Allergnädigste Frau, ich höre die Jagdhörner, der König naht. Will Eure Majestät sich nicht zu Pferde setzen, um ihm entgegenzureiten?« – »Nein«, sagte sie sehr ungnädig, »es ist genug, wenn Ihr es tut.« – »Der König möchte mich tadeln«, sagte er, »wenn ich Eure Majestät an diesem Ort, wo Euch eine Gefahr zustoßen könnte, allein ließe.« – »Sorgt Euch um nichts«, sprach sie in gebieterischem Ton, »reitet fort, Eure Gegenwart ist mir zuwider.«

Der Ritter folgte ihrem Befehl, verneigte sich tief vor ihr, stieg zu Pferde und ritt fort, beunruhigt über die eventuellen Folgen dieses neuen Ressentiments. Er besprach sich deswegen mit seinem klugen Pferde. »Kamerad«, sagte er, »wird diese zu zärtliche und zu zornige Königin vielleicht wieder ein Ungeheuer finden, dem sie mich aufzuopfern[90] gedenkt?« – »Sie ist selbst ungeheuerlich genug«, gab ihm das Pferd zur Antwort, »und sie wird Euch mehr zu schaffen machen als der Drache, den Ihr getötet habt.« – »Wird sie mich beim König in Ungnade zu setzen wissen?« fragte er weiter. »Das befürchte ich sehr«, sagte das Pferd. »Ich darf Euch nicht sagen, was geschehen wird, aber es soll Euch genügen zu wissen, daß ich für alles Sorge tragen werde.« Der Ritter schwieg, weil er den König am Ende einer Allee sah. Er eilte ihm entgegen, ihm zu sagen, daß die Königin unpäßlich sei und er bei ihr habe bleiben müssen. »Mir deucht«, sagte der König lächelnd, »daß Ihr bei ihr ungemein in Gnaden steht, und Ihr pflegt auch ihr, nicht mir, anzuvertrauen, was Ihr Euch wünschet, denn ich habe nicht vergessen, daß Ihr sie gebeten habt, als Ihr den Drachen bekämpfen wolltet.« – »Allergnädigster Herr«, sagte der Ritter, »ich erkühne mich nicht, Eurer Majestät zu widersprechen, aber ich kann Euch versichern, daß ich einen großen Unterschied zwischen der Gnade Eurer Majestät und der Gnade der Königin mache, und wenn es erlaubt wäre, daß ein Untertan seinen Landesherrn zu seinem Vertrauten machte, so wäre es mir ein großes Vergnügen, Euch die Empfindungen meines Herzens zu entdecken.« Der König unterbrach ihn und fragte, an welchem Orte er die Königin verlassen habe, und ritt zu ihr.

Unterdessen beklagte sich die Königin bei Floride über die Kaltsinnigkeit des Ritters. »Seine Person«, sprach sie, »wird mir dermaßen verhaßt, daß entweder er oder ich den Hof verlassen muß. Ich kann einen Undankbaren, der sich erkühnt, mich zu verachten, nicht länger dulden. Welcher Mann schätzte sich nicht glücklich, von einer Königin, die in diesem Staat allmächtig ist, geliebt zu werden. Und ach! er ist der einzige, der mir gefällt. Der Himmel scheint ihn be stimmt zu haben, die Ruhe meines Lebens zu stören.« Floride freute sich heimlich, daß die Königin unwillig gegen den schönen Ritter war. Anstatt sie zu besänftigen, erbitterte sie ihr Gemüt noch mehr wider ihn, indem sie sie an viele Umstände erinnerte, an welche sie lieber niemals wieder gedacht hätte. Ihr Unwillen ward hierdurch immer heftiger, und sie ersann einen neuen Anschlag, ihn ins Verderben zu stürzen.[91]

Als der König zu ihr kam und sich über ihre Unpäßlichkeit beunruhigt zeigte, antwortete sie ihm: »Es ist wahr, ich befand mich nicht wohl, aber Fortuné besitzt vortreffliche Mittel, einen Kranken auf der Stelle zu kurieren. Er hat die lustigsten Einfälle von der Welt. Solltest du wohl glauben, daß er wieder auf ein neues Abenteuer sinnt?« – »Doch nicht, einen Drachen zu bekämpfen?« sagte der König. »Zehn auf einmal«, antwortete die Königin. »Soll ich dir's sagen? Er will den Kaiser Matapa nötigen, uns alle unsere Schätze herauszugeben, und zwar ganz allein, ohne Hilfe einer Armee, und er bittet mich inständig, ihm die Erlaubnis dazu auszuwirken.« – »Wie schade«, sagte der König, »daß der arme Junge so närrisch geworden ist.« – »Er hat den Drachen besiegt«, entgegnete die Königin, »vielleicht besiegt er auch den Kaiser. Ich meine, du solltest ihm die Erlaubnis geben. Was wagst du viel dabei?« – »Ich wage sein Leben«, antwortete der König, »und sein Leben ist mir sehr viel wert. Es sollte mir leid tun, ihn zu verlieren.« – »Du magst es nun machen, wie du willst«, versetzte die Königin, »so ist er verloren. Denn seine Begierde nach diesem Abenteuer ist so unglaublich, daß er vor Kummer sterben wird, wenn er die Erlaubnis dazu nicht bekommt. Ich habe ihm schon alles mögliche vorgestellt, aber er ist so hartnäckig, daß ich fest überzeugt bin, er ist von dieser tollen Idee auf keine Weise abzubringen.« – »Nun, so möge er meinethalben reisen«, sagte der König endlich.

Die Königin ließ ihrem Bruder keine Zeit, sich eines anderen zu besinnen, sondern rief den Ritter auf der Stelle zu sich. »Fortuné«, sagte sie, »danket dem König; er willigt in Euer Verlangen, dem Kaiser Matapa unsere Schätze mit Gewalt oder Güte abzunehmen. Geht und rüstet Euch zu diesem Abenteuer und kommt bald siegreich zurück.«

Fortuné war betroffen, aber dieser Streich kam ihm weder unerwartet noch unerwünscht. Er freute sich, eine neue Gelegenheit zu finden, sein Leben für seinen König zu wagen, vor dem er sich auf die Knie warf, um ihm für seine Gnade zu danken. Der König war gerührt, und selbst die Königin fühlte eine Art Scham, als sie den Mut und die Entschlossenheit sah, mit welcher der Ritter dem Tode entgegenging.[92]

Als der Ritter nach Hause kam, hielt er Rat mit seinem getreuen Roß. »Du treuer Kamerad«, sagte er, »nunmehr bin ich verloren. Die Königin sorgt für mein Unglück. Das hätte ich niemals vermutet.« – »Mein lieber Herr«, antwortete das Pferd, »ängstiget Euch nicht. Ob ich gleich nicht dabei gewesen, habe ich doch längst gewußt, was geschehen wird. Es ist diese Gesandtschaft nicht so fürchterlich, als Ihr meint.« – »Weißt du nicht«, entgegnete der Ritter, »daß der Kaiser Matapa der jähzornigste Mann der Welt ist? Sobald ich ihm sagen werde, er möchte meinem Herrn die geraubten Schätze wiedergeben, wird er mir einen Mühlstein um den Hals hängen und mich ins Wasser werfen lassen.« – »Ich weiß wohl, daß er grausam ist«, sagte Kamerad, »aber dessenungeachtet rate ich Euch, diese Reise anzutreten und Eure Bedienten mit Euch zu nehmen. Solltet Ihr sterben, so sterben wir alle miteinander, jedoch hoffe ich alles Gute.«

Der Ritter bekam hierdurch wieder ein wenig Mut. Er ordnete alles zur Abreise an und verlangte Befehle und Beglaubigungsschreiben von dem König, seinem Herrn. »Sagt dem Kaiser«, antwortete ihm der König, »daß ich meine Untertanen und Soldaten, die er zu Sklaven gemacht hat, meine Pferde und alle erbeuteten Schätze zurückverlange.« – »Und was soll ich ihm als Entschädigung anbieten?« fragte Fortuné. »Meine Freundschaft«, versetzte der König. Mit dieser Instruktion begab sich der Ritter hinweg, nahm aus sei nem Koffer für sich und seine Bedienten die kostbarsten Gewänder, kaufte ihnen die schnellsten und schönsten Pferde und reiste ab, ohne vorher von der Königin Abschied zu nehmen.

Die Reise ging sehr schnell, und sie kamen daher in kurzer Zeit an die Residenz des Kaisers Matapa, welche größer war als Paris, Rom und Konstantinopel zusammengenommen und so volkreich, daß jeder Keller, jeder Boden und jedes Dach bewohnt war.

Fortuné bat um Audienz und wurde mühelos vorgelassen. Der Kaiser bezeigte sich sehr gnädig gegen ihn; als er aber seinen Vortrag getan hatte, konnte Matapa sich[93] nicht enthalten zu lächeln. »Es möchte noch hingehen«, antwortete er, »wenn Ihr diese Forderung an der Spitze von fünfmal hunderttausend Mann machtet, aber wie man mir sagt, besteht Eure Armee nur aus sieben Mann.« – »Meine Absicht ist nicht gewesen«, antwortete Fortuné mit dem ihm eigenen Anstande, »Eure Majestät durch Gewalt, sondern durch meine untertänigsten Vorstellungen zur Herausgabe dieser Schätze zu bewegen.« – »Dies wird Euch wohl schwerlich gelingen«, antwortete der Kaiser, »weder auf dem einen noch dem anderen Wege, es sei denn, Ihr fändet einen Menschen, der zu seinem Frühstück alles Brot aufäße, das an einem Tage für alle Einwohner meiner Residenz gebacken wird.« Man stelle sich die Freude vor, welche der Ritter bei diesem Vorschlag empfand. Er nahm ihn auf der Stelle an. »Befehlen Eure Majestät«, sagte er, »daß morgen alles frisch gebackene Brot auf dem Markte zusammengebracht wird, und Ihr sollt das Vergnügen haben zu sehen, daß nichts davon übrigbleibt.« Der Kaiser hielt sich die Seiten vor Lachen, und den ganzen Rest des Tages sprach man bei Hofe und in der Stadt von nichts anderem als von der Torheit des Abgesandten. Matapa schwor, er wollte ihn töten, wenn er sein Wort nicht hielte.

Der andere Tag brach an. Eine ungeheure Menge Volkes versammelte sich auf dem Markte, wo man sechs Berge von Brot aufgetürmt hatte, höher als die Pyrenäen. Der Kaiser, seine Gemahlin und seine Tochter nahmen Platz auf einem Balkon, von wo aus sie den Markt übersehen konnten. Fortuné erschien mit seinem kleinen Gefolge und erblaßte, als er den unübersehbaren Vorrat an Brot erblickte. Bei Vielfraß aber erregte dieser Anblick ganz andere Gefühle; er schlug sich mit Zuversicht und Freude auf den Bauch und bat um den Befehl, sein Dejeuner anzufangen. Trompeten und Pauken erklangen, Vielfraß fiel über das Brot her, und in wenigen Stunden war der ganze Vorrat an Broten aufgezehrt.

Fortuné näherte sich nun dem Kaiser, der sich, so wie das ganze Volk, gar nicht von seinem Erstaunen erholen konnte, und bat ihn mit der größten Ehrerbietung, sein Versprechen zu erfüllen. Der Kaiser gab verdrießlich zur Antwort: »Es ist nicht genug, zu[94] essen, man muß auch trinken können. Also, Herr Ambassadeur, müßt Ihr oder einer von Euren Leuten sich entschließen, alles Wasser aus den Fontänen, den Aquädukten und den Zisternen der Stadt und allen Wein, der in unseren Kellern liegt, auszutrinken.« – »Eure Majestät«, antwortete Fortuné, »scheinen mich nötigen zu wollen, Euren Befehlen ungehorsam zu sein; indes will ich mein Möglichstes tun, Euren Willen auch hierin zu erfüllen, sobald ich nur überzeugt bin, daß Ihr geneigt seid, dem Könige, meinem Herrn, seine Schätze herauszugeben.« – »Ich verspreche es Euch«, antwortete der Kaiser.

Der Ritter begab sich nun mit der kaiserlichen Familie und einer unzähligen Menge von Zuschauern zu der Löwenfontäne. Sieben marmorne Löwen spien hier Ströme von Wasser aus ihren Rachen und versorgten alle Brunnen der Stadt. Ein breiter Strom, den man mit kleinen Gondeln befuhr, ergoß sich aus dem Bassin mitten durch die Stadt. Saufaus näherte sich dem Bassin und trank es aus, ohne Atem zu schöpfen. Mit ebender Leichtigkeit trank er auch die übrigen Brunnen und Zisternen aus. Er hätte sogar das Meer ausgetrunken, so durstig war er. Der Kaiser zweifelte nicht, daß er auch den Wein schaffen würde, und wollte diesen einsparen. Aber Saufaus beschwerte sich lauthals ob dieser Ungerechtigkeit. Er sagte, er habe Magenschmerzen und wolle nicht nur den Wein, sondern auch Liköre, so daß Matapa endlich nachgab. Nun näherte sich Fortuné dem Kaiser, um ihn an die Erfüllung seines Versprechens zu erinnern. »Ich will die Sache in Erwägung ziehen«, antwortete der Kaiser.

In der Tat versammelte er seine geheimen Räte, um ihnen seinen Kummer mitzuteilen, und fragte sie, ob sie nicht irgendein Mittel wüßten, die Auslieferung der Schätze auf eine anständige Weise abzuschlagen. Aber die geheimen Räte wußten nichts zu sagen, und der Kaiser blieb in seiner Verlegenheit. Da seine Tochter dies sah, nahm sie das Wort und sagte: »Lieber Vater, Ihr wißt, daß mir bis jetzt noch niemand im Laufen gleichkommen konnte. Wie wäre es, wenn Ihr dem Abgesandten auferlegtet, jemand zu bestellen, der mich im Wettlauf besiegte, und ihm versprächet, im Falle seines Sieges[95] die Schätze seines Königs auszuliefern.« Der Kaiser umarmte seine Tochter, pries ihre Klugheit und befahl den Ritter am folgenden Tag zu sich.

Als der Ritter erschien, hob er also an: »Ihr habt bisher gezeigt, daß Ihr imstande seid, alles zu leisten, was Ihr versprecht. Ich habe also noch einen Wunsch, den Ihr ohne Zweifel auch erfüllen könnt. Ich möchte nämlich wissen, ob es irgendeinen Menschen auf der Welt gibt, der meine Tochter im Laufen besiegen kann. Schafft Ihr mir einen solchen Läufer, so schwöre ich Euch bei allen Elementen, daß ich die Erfüllung meines Versprechens nicht länger aufschieben will.«

Fortuné besann sich nicht lange. Er nahm diesen Vorschlag an, und Matapa verlangte, daß der Wettlauf noch denselben Morgen vor sich gehen sollte. Die kaiserliche Familie begab sich in eine Allee von Orangenbäumen, welche drei Meilen lang und als eine Rennbahn eingerichtet war. Die Prinzessin erschien in einem leichten Gewand von rosenfarbenem Taft, mit silber- und goldgestickten Sternen, ihre schönen Haare flossen lang über ihre Schultern herab; sie trug sehr hübsche Schuhchen ohne Absätze, und ein edelsteinbesetzter Gürtel schlang sich um ihre schlanke Taille. In diesem Aufzug schien sie der Atalante oder der Diana ähnlich.

Fortuné erschien gleich darauf, von seinem getreuen Wie-der-Wind und seinen übrigen Bedienten begleitet, und stellte dem Kaiser den Läufer vor, der in seinem Gewand aus holländischer Leinwand, mit englischen Spitzen besetzt, seinen feuerroten Seidenstrümpfen und seinem Federhut eine sehr gute Figur machte. Ehe der Wettstreit anging, nahm die Prinzessin einen Likör, der sie behender und stärker werden ließ. Wie-der-Wind wollte ihr keinen Vorteil über sich lassen und trank ebenfalls. Aber an dieses starke Getränk nicht gewöhnt, verspürte er sogleich seine nachteilige Wirkung. Es stieg ihm zu Kopfe, er taumelte, sank an dem Stamm eines großen Orangenbaumes nieder und fiel in einen tiefen Schlaf.

Unterdessen gab man das Zeichen zum Beginn des Wettlaufes. Die Prinzessin wartete, daß Wie-der-Wind aufwache, aber umsonst. Endlich lief sie allein. Fortuné welcher[96] sich an das Ziel gestellt hatte und nicht wußte, was vorgefallen war, erschrak nicht wenig, als er die Prinzessin ungefähr eine halbe Meile vom Ziel entfernt allein kommen sah. »Um Gottes willen«, sagte er zu seinem Pferd, »wir sind verloren. Ich sehe nichts von Wie-der-Wind.« – »Mein Herr«, hob das Pferd an, »laß doch Feinohr horchen, was Wie-der-Wind macht.« Feinohr horchte und hörte ihn schnarchen. »Nun wahrlich«, sagte er, »der nimmt sich Zeit, er schnarcht wie ein Murmeltier.« – »Was ist nun anzufangen?« fragte Fortuné ängstlich. »Der Scharfschütz soll ihm einen Pfeil in das rechte Ohrläppchen schießen«, sagte das Pferd, »da wird er schon aufwachen.« Der Scharfschütz nahm seinen Bogen und traf ihn gerade ins Ohrläppchen. Wie-der-Wind sprang auf, rieb sich die Augen und sah die Prinzessin nah am Ziele. Man wird glauben, er sei nun darüber wer weiß wie sehr erschrocken, doch weit gefehlt! Er setzte sich sogleich in Bewegung, die Winde schienen ihn zu tragen, und in wenigen Minuten war er vor der Prinzessin am Ziel.

Der Kaiser war durch das dreifache Wunder, daß der Gesandte ihm gezeigt hatte, in solches Erstaunen gesetzt, daß er nicht mehr daran zweifelte, daß Fortuné unter dem ganz besonderen Schutze des Himmels stünde und es nichts gäbe, was er nicht ausführen könnte. Er glaubte also, die Erfüllung seines Versprechens nicht länger aufschieben zu können, rief den Ritter herbei und sagte zu ihm: »Ihr habt Wort gehalten, es ist billig, daß ich dasselbe tue. Nehmt von den Schätzen Eures Herrn soviel mit Euch, als Ihr oder einer von Euren Leuten forttragen kann. Ich bin fest entschlossen, nicht mehr herzugeben als soviel.« Der Gesandte machte eine tiefe Verbeugung, dankte dem Kaiser und bat ihn, die nötige Order dafür zu geben.

Matapa sprach mit seinem Schatzmeister und reiste voll Verdruß auf das Land. Kaum war er weg, so verlangten Fortuné und seine Leute, in den Palast eingelassen zu werden. Man verbarg nichts vor ihnen, erinnerte ihn aber noch einmal an die Bedingung, daß er nicht mehr mitnehmen dürfe, als ein einziger Mensch tragen könne. Er stellte dem Haushofmeister den wackeren Mark-im-Buckel als seinen Träger vor, und mit[97] seiner Hilfe wurde bald der ganze Palast von Möbeln, Statuen, Karossen, mit einem Worte, von allem, was darinnen war, leer gemacht.

Die Minister des Kaisers sahen nicht gleichgültig zu, wie man den Palast ihres Herrn ausräumte, sondern begaben sich in das Landhaus und meldeten ihm dieses neue Wunder. Der Kaiser geriet außer sich vor Verwunderung und Zorn. Er schrie, daß er einen solchen Raub nimmermehr geschehen lassen würde, und ließ sogleich einen Teil seiner Armee anrücken, um dem Gesandten nachzusetzen.

Fortuné war schon eine gute Strecke von der Residenz entfernt, als ihm Feinohr sagte, er höre das Galoppieren von Pferden, und der Scharfschütz, der gute Augen hatte, wurde sie bald in weiter Ferne gewahr. Sie befanden sich eben an dem Ufer eines Flusses, und da sie keine Fahrzeuge hatten, sagte Fortuné zu Saufaus: »Jetzt könntest du uns großen Vorteil schaffen, wenn du das Wasser ein wenig abtränkest, damit wir durchsetzen können.« Saufaus tat sogleich seine Schuldigkeit. Die Feinde erschienen nicht lange darauf ebenfalls an dem Ufer des Flusses, und da sie wußten, wo die Fischer ihre Kähne zu liegen hatten, schifften sie sich mit der größten Eilfertigkeit ein und ruderten aus Leibeskräften. Jetzt kam auch die Reihe an Sturmwind, seinem Herrn einen Dienst zu leisten. Er fing an zu blasen, und es entstand ein solcher Orkan, daß die Kähne umschlugen und untergingen und von der ganzen Armee des Kaisers Matapa kein einziger übrigblieb, welcher Botschaft hätte bringen können.

Fortunés Bediente betrachteten den Ausgang dieses Abenteuers als den Zeitpunkt, wo sie mit Recht eine ihren Diensten angemessene Belohnung fordern könnten. Sie fingen schon an, sich über die Teilung der Schätze zu streiten, die sie dem Kaiser entführt hatten. »Wenn ich nicht den Preis davongetragen hätte«, sagte Wie-der-Wind, »so hättet ihr alle nichts.« – »Und was wäre dann aus dir geworden, wenn ich dich nicht hätte schnarchen hören?« sagte Feinohr. »Und wer hätte dich denn aufwecken sollen, wenn ich nicht gewesen wäre?« setzte der Scharfschütz hinzu. »Ich weiß nicht, wie ihr euch streiten könnt«, fiel Mark-im-Buckel ein, »da ich doch den ganzen Plunder davongetragen[98] habe? Ohne mich würdet ihr wenig zu teilen haben.« – »Sagt vielmehr, ohne mich«, unterbrach ihn Saufaus, »ich möchte wissen, was aus der ganzen Geschichte geworden wäre, wenn ich den Fluß nicht ausgetrunken hätte.« – »Oder vielmehr, wenn ich die Schiffe nicht umgeblasen hätte«, fiel Sturmwind ein. »Ich habe euch streiten lassen«, fing Vielfraß jetzt an, doch ihr habt alle unrecht; mir gebührt der Preis, denn ich habe die Szene eröffnet, und es wäre bei der ganzen Angelegenheit wenig herausgekommen, wenn ich auch nur ein Krümchen übriggelassen hätte.«

Fortuné fand es an der Zeit, diesem Streite, welcher leicht eine unangenehme Wendung nehmen konnte, ein Ende zu machen. »Ihr habt euch alle brav gehalten«, sagte er mit einem Tone, in welchem sich Ernst und Güte mischten, »aber dem König allein steht das Recht zu, euch zu belohnen. Laßt uns alles seinem Willen anheimstellen und ihm die Schätze, die er uns zu holen gesendet hat, unverletzt überliefern.«

Die Bedienten des Ritters kamen durch diese Vorstellungen wieder zu sich, warfen sich ihm zu Füßen und versprachen ihm, in allen Stücken seinen Willen zu tun. Sie setzten ihre Reise fort und sahen alsbald die Stadt vor ihren Augen liegen. Mannigfaltige Empfindungen bestürmten das Herz des zärtlichen Ritters. Die Freude, seinem geliebten König einen so wichtigen Dienst erwiesen zu haben, die Hoffnung, ihn wiederzusehen, die Erwartung einer günstigen Aufnahme, alles dies wechselte mit der Furcht und Bekümmernis ab, die ihm die Leidenschaft der Königin verursachten. In dieser Stimmung kam er an und wurde von dem erstaunten Volk bejubelt, dessen Freudengeschrei bis zu dem Palast des Königs drang.

Der König und seine Schwester konnten sich noch nicht von dem Erstaunen über die Nachricht erholen, daß Fortuné zurückgekommen sei, als er selbst in das Zimmer trat, sie von dem glücklichen Ausgang seines Unternehmens zu benachrichtigen und ihnen zu sagen, daß er die mitgebrachten Schätze in den Park habe schaffen lassen, weil sie an keinem anderen Orte Platz hatten. Die Freude des Königs, sein Erstaunen und seine Dankbarkeit sind leichter zu begreifen als zu schildern.[99]

Die Gegenwart des Ritters und alle seine Siege rissen im Herzen der Königin eine Wunde wieder auf, die noch nicht verheilt war. Sie fand ihn liebenswürdiger als je, und sobald sie mit Floride allein war, fing sie ihre üblichen Klagen wieder an. »Du siehst«, sprach sie, »was ich getan habe, ihn ins Verderben zu stürzen. Ich sah nur dieses eine Mittel, ihn zu vergessen, aber ein Mißgeschick ohnegleichen bringt ihn immer wieder zurück. Und wiewohl ich die größte Ursache hätte, einen Menschen, welcher an Stande so tief unter mir ist und meine Liebe so schlecht vergilt, zu verachten, so liebe ich ihn dennoch und habe mich endlich entschlossen, ihn heimlich zu heiraten.« – »Zu heiraten, allergnädigste Königin«, rief Floride erstaunt. »Ist es möglich? Hab ich auch recht gehört?« – »Ja, ja«, antwortete die Königin, »und du mußt mir beistehen, mein Projekt auszuführen. Bringe den Ritter diesen Abend in mein Kabinett, da will ich ihm meine Gesinnung und meine Absichten entdecken.« Floride bot alles auf, die Königin von diesem Vorhaben abzubringen; sie stellte ihr den Zorn des Königs, die Gefahr des Ritters vor. Es war alles umsonst. Die Königin blieb hartnäckig bei ihrem Entschluß und befahl ihr, zu gehorchen.

Floride fand den Ritter auf einer Galerie des Palastes, wo er die goldenen Statuen aufstellen ließ, die er von Matapa mitgebracht hatte. Sie richtete den Befehl der Königin aus. Er zitterte vor Schrecken, als er ihn hörte, und Floride, weil sie es bemerkte, sagte zu ihm: »O Gott, wie sehr beklage ich Euch. Möge doch die Königin ihr Herz niemals an Euch verschenkt haben. Ach! ich wüßte ein anderes Herz, das nicht so gefährlich für Euch wäre, daß sich aber nicht erkühnen würde, sich zu erkennen zu geben.« Der Ritter begehrte keine nähere Erklärung und ging sehr unmutig fort.

Den Abend stellte er sich ein, höchst nachlässig gekleidet, aber nur desto reizender und liebenswürdiger. Die Königin hatte alles getan, um ihre Reize durch die Pracht ihres Anzuges in das hellste Licht zu setzen. Sie bemerkte mit Vergnügen, daß Fortuné angenehm überrascht war. »Der Schein trügt oft«, redete sie ihn an, »und ich bin Euch wegen meines Verfahrens eine Rechtfertigung schuldig. Als ich den König beredete,[100] Euch eine Gesandtschaft an den Kaiser Matapa aufzutragen, konntet Ihr vielleicht glauben, daß ich Euch aufopfern wollte. Lernet mein Herz anders zu beurteilen. Ich sah den glücklichen Ausgang gar wohl vorher, und so ergriff ich diese Gelegenheit, Euch einen unsterblichen Ruhm zu verschaffen.« – »Ich finde mein Glück in der Erfüllung meiner Pflichten«, antwortete der Ritter, »und was auch Eure Beweggründe gewesen sein mögen, so bin ich zufrieden, meinem König gehorcht zu haben.« – »Eure Gleichgültigkeit, lieber Ritter«, antwortete die Königin, »geht bis zur Beleidigung. Aber die Zeit ist gekommen, Euch von der Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen zu überzeugen. Kommt und empfanget meine Hand zum Zeichen meiner ewigen Treue.«

Der arme Ritter war wie vom Blitz getroffen. Zehnmal war er im Begriff, der Königin sein Geheimnis zu offenbaren, aber jedesmal schlossen ihm Scham und Furcht den Mund. Er antwortete auf alle ihre Beweise der Freundschaft mit Trockenheit und Kälte; er stellte ihr den Zorn des Königs vor, wenn er erführe, daß einer seiner Untertanen es gewagt hätte, sich in seine Familie einzuschleichen.

Nachdem die Königin lange umsonst versucht hatte, seine Gründe zu widerlegen und ihn von seiner Furcht zu heilen, nahm sie die Stimme und die Gebärden einer Furie an: Sie überhäufte ihn mit Drohungen, sie fiel über ihn her, sie zerkratzte ihm das Gesicht; dann kehrte sie ihre Wut gegen sich selbst, zerriß ihre Haare und ihren Schleier, zerschlug sich Gesicht und Brust und rief die Wache, den Verräter in Ketten und Banden in ein unterirdisches Gefängnis zu werfen. Daraufhin eilte sie auch zum König, den unglücklichen Fortuné bei ihm anzuklagen. Sie erzählte ihm, daß er schon seit langer Zeit die Kühnheit besessen hätte, ihr seine Liebe zu erklären, daß sie, in der Meinung, ihn zu schonen und seine Leidenschaft durch die Abwesenheit zu heilen, keine Gelegenheit versäumt hätte, ihn zu entfernen, alles aber wäre umsonst gewesen. Er wäre in ihr Zimmer eingedrungen und habe sie behandelt wie eine gemeine Buhlerin. Sie verlange, daß man ihm den Prozeß mache.

Der König war über diesen Vortrag nicht wenig erstaunt. Er kannte die Heftigkeit[101] seiner Schwester. Sie besaß sehr viel Macht und war fähig, das ganze Königreich in Unordnung zu bringen. Fortunés Kühnheit forderte eine exemplarische Strafe. Der Vorfall war schon überall bekannt, und es mußte dem König selbst daran gelegen sein, die Ehre seiner Schwester zu retten und sie zu rächen. Aber ach! an wem sollte er diese Rache ausüben? An einem Ritter, der sich für ihn den größten Gefahren ausgesetzt, der ihm noch heute einen Beweis seiner uneingeschränkten Ergebenheit gegeben hatte, an einem Ritter, den er liebte, für dessen Leben er selbst die Hälfte des seinigen gegeben hätte? Er stellte dies auch der Königin vor, er suchte sie zu erweichen, aber sie war unerbittlich. Sie wollte ihn nicht anhören und verlangte den Tod des Ritters.

Weil der König sich nun genötigt sah, diese Angelegenheit einer gerichtlichen Entscheidung zu unter werfen, ernannte er etliche Richter, von welchen er glaubte, daß sie das gelindeste Urteil sprechen und am leichtesten zur Barmherzigkeit geneigt sein würden. Aber er wurde in seinen Hoffnungen getäuscht. Diese Richter wollten den Vorwurf, sie urteilten zu gering, zum Nachteil des unglücklichen Ritters widerlegen. Und weil diese Angelegenheit ein großes Aufsehen erregte, wappneten sie sich mit äußerster Härte und verurteilten den Beklagten, ohne seine Verteidigung anzuhören. Er sollte an einen Pfahl gebunden und durch drei Dolchstiche ins Herz getötet werden, denn es war sein Herz, das schuldig war.

Der König entsetzte sich vor diesem Urteil fast ebensosehr, als wäre es wider ihn selbst gesprochen worden. Er verwies alle Richter vom Hofe, aber das Urteil blieb doch in Kraft, und Fortuné sollte sich demselben unterwerfen. Die Königin triumphierte über diese Strafe und verlangte das Blut des Unglücklichen. Der König machte noch einen Versuch, sie zur Gnade zu bewegen, aber sie wurde nur um so erbitterter.

Endlich kam der Tag, an dem dieses schreckliche Urteil vollzogen werden sollte. Der Ritter wurde aus dem Gefängnis geholt, in das man ihn gesteckt und wo niemand zu ihm gesprochen hatte. Er kannte also nicht das Verbrechen, dessen ihn die Königin beschuldigt hatte, sondern dachte, sie wolle ihn wegen seines Kaltsinns erneut verfolgen.[102] Am meisten schmerzte es ihn, daß, wie er meinte, der König seine Schwester in ihrer Raserei unterstützte.

Unterdessen war Floride untröstlich, daß ihr geliebter Ritter ins Unglück gestürzt wurde. Sie faßte den grausamen Entschluß, die Königin zu vergiften und, sofern der Ritter wirklich eines gewaltsamen Todes sterben müßte, selbst Gift zu nehmen. Sobald sie nun dieses schreckliche Urteil erfuhr, geriet sie in die äußerste Verzweiflung und sann nur noch auf Ausführung ihres Anschlages. Das Gift, welches man ihr brachte, wirkte langsamer, als sie gehofft hatte, und wiewohl sie es der Königin eingab, schadete es ihr doch anfangs nicht. Sie ließ den schönen Ritter auf den großen Schloßplatz führen, wo er in ihrer Gegenwart hingerichtet werden sollte. Die Henkersknechte zerrten ihn, ihrer Gewohnheit gemäß, aus dem Kerker und führten ihn wie ein Lamm zur Schlachtbank. Das erste, was er sah, war die Königin in ihrem Wagen, die ihm nicht nahe genug sein konnte und die, wenn es sich so ergab, sogar von seinem Blut bespritzt werden wollte. Der König hatte sich in seinem Kabinett eingeschlossen und beklagte das Unglück seines Lieblings schmerzlich.

Nunmehr band man den armen Ritter an einen Pfahl, riß ihm die Kleider vom Leibe und sah – zum Erstaunen der ganzen zahlreichen Versammlung – den alabasterweißen Busen eines Mädchens. Die Falschheit der Anklage war mit einem Male offenbar. Die Königin erschrak und schämte sich dermaßen, daß das Gift plötzlich wirkte. Sie fiel in schreckliche Zuckungen, und wenn sie für eine kurze Zeit zu sich kam, stieß sie angstvolle Klagen aus. Das Volk, das dem jungen Ritter, oder vielmehr der schönen Bellebelle, überaus gewogen war, hatte sie schon vom Pfahle losgebunden und wieder in Freiheit gesetzt. Man meldete diese große Neuigkeit geschwind dem König, welcher sich in der äußersten Betrübnis befand. Aber seine Traurigkeit verwandelte sich in unaussprechliche Freude. Er eilte nach dem Schloßhofe und geriet vor Vergnügen außer sich, als er die Verwandlung des Ritters sah.

Die letzten Seufzer seiner Schwester trübten seine Freude einigermaßen. Als er aber[103] bedachte, wie boshaft sie sich aufgeführt hatte, konnte er sie nicht recht bedauern. Er beschloß, Bellebelle zu heiraten, um durch seine Krone die Dienste zu belohnen, die sie ihm geleistet hatte. Sein Antrag krönte die Wünsche dieses schönen und tugendhaften Mädchens, nicht weil es sich durch einen Thron glücklicher glaubte, sondern weil es den König liebte.

Als der Tag der Hochzeit festgesetzt war, zog Bellebelle wieder Frauenkleider an und war in dieser Tracht noch tausendmal reizender. Sie befragte das Pferd über ihr weiteres Schicksal, und dieses verkündete ihr nichts als frohe Tage. Aus Dankbarkeit für seine treuen Dienste ließ sie ihm einen Stall bauen, welcher mit Ebenholz und Elfenbein getäfelt war und wo es auf Matratzen, mit Atlas überzogen, ruhen sollte. Was ihre treuen sieben Bedienten anlangt, so belohnte sie diese so reichlich, daß sie völlig zufrieden sein konnten.

Unterdessen war Kamerad verschwunden. Als Bellebelle es hörte, betrübte sie sich sehr darüber, da sie ihn liebte. Sie ließ das Pferd drei Tage lang suchen, aber vergebens. Am vierten Tage stand sie, weil sie vor Kummer nicht schlafen konnte, noch vor der Morgenröte auf, ging in den Garten, von da in einen Wald und auf eine große Wiese. Allda rief sie: »Kamerad, mein lieber Kamerad! Wo bist du? Ich habe deinen guten Rat noch immer nötig. Komm wieder, ach komm, verlaß mich noch nicht!« Indem sie so rief, erblickte sie plötzlich ein Meteor am Himmel, das sich ihr langsam zu nähern schien. Wie groß war ihre Freude, als sie ihr Pferd erkannte. Sein Zaumzeug blitzte von Juwelen. Es galoppierte vor einem Wagen her, der mit Perlen und Topasen besetzt war und den vierundzwanzig Hammel zogen, deren Wolle zarter als Seide und weißer als Schnee war. In dem Wagen saß die Fee und neben ihr Bellebelles Vater und ihre beiden Schwestern, die in die Hände klatschten und ihr zuriefen und ihre Freude auf tausenderlei Weise an den Tag legten. Sie kamen alle zu ihrer Vermählung. Bellebelle wußte vor großer Freude nicht, was sie sagen sollte. Sie setzte sich, nachdem sie einander alle herzlich umarmt hatten, zu ihnen in den Wagen, und so zogen sie in den königlichen[104] Palast ein, wo die Zurüstungen zu Bellebelles Vermählung schon gemacht waren. So verband der verliebte König sein Schicksal mit dem seiner Geliebten, und dieses zauberhafte Abenteuer ist von Jahrhundert zu Jahrhundert bis in unsere Zeit erzählt worden.


So wie ein Leu, dem man die Jungen raubt,

In Wut entbrannt, nur Tod und Rache schnaubt,

So läßt sich auch die Liebe vieler Schönen

Nicht ohne Wut nur mit Verachtung höhnen.

Dann ist's nur des Verächters Blut,

Was ihrer Rachgier Gnüge tut.

Hier aber durfte sich nur Bellebelle zeigen,

So war die Unschuld klar, das Unrecht mußte schweigen

Und fand die wohlverdiente Pein.

Die Tugend mußte glücklich sein.

Quelle:
Hammer, Klaus (ed.): Französische Feenmärchen des 18. Jahrhunderts. Berlin: Rütten & Löning, 1969, S. 48-49,66-105.
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