Da dienten einst bei einem Bauern in Overledingen neben mehreren Mägden zwei Knechte, ein Großknecht und ein Kleinknecht. Es war aber der Kleinknecht ein wahrer Knirps, ein richtiger Dreikäsehoch, und wie sich sein Körper denkbar langsamst entwickelte, so bewegte er sich auch insgesamt überaus träge, und in seinem Hirn war Herr Langsam Meister. Daher hatte man ihm zu seinem Taufnamen Gerd noch den Titel 'Duusnack' gegeben, was aber keinerlei Änderung bei ihm bewirkt hatte.
Das genaue Gegenstück zu ihm war der Großknecht; insonderheit aber war bei diesem – mit Verlaub gesagt! – das Maulwerk entwickelt. Vom Essen will ich ganz schweigen, obwohl er darin ganz Nennenswertes leistete; wenn er aber abends in der dämmerigen Stube den Mägden von den Teufels- und Hexengeschichten erzählte, in die er schon verwickelt gewesen sein wollte, dann stiegen ihnen die Haare zu Berge, ein Schauer jagte den andern den Rücken hinab, und die zitternden Beine und Hände waren schier unfähig, das Spinnrad in Bewegung zu halten. Nur Gerd Duusnack wußte auf alle Mären nichts als: »Wat du seggst!« zu erwidern, obwohl er den Mund aufsperrte, als hätte er daran wie an einem faustdicken Fleischstück zu kauen. Das ärgerte dann den Großknecht allemal ganz gewaltig, und er dachte: »Wacht, ik sall di wall kriegen!«
Nun gehörte zu den Obliegenheiten des Kleinknechtes unter anderem auch, jeden Abend, so lange es die Witterung zuließ, die Pferde in den Weidekamp zu führen. Einer dieser Kämpe aber lag weitab vom Dorf, und es führte nur ein schmaler Landweg dahin, der obendrein beiderseits von dichtem Gebüsch und hohen Bäumen eingefaßt war, so daß nur selten ein vereinzelter Sonnenstrahl auf seinem Boden drang, und zu Regenzeiten, besonders aber im Herbst, war er gefahrlos nur in 'Stefelholsken', Holzschuhen mit langen Lederschäften, zu passieren. Daß er von allen Orten der Feldmark der Lieblingsplatz aller unsauberen Geister war, daran zweifelte niemand im Dorf, wenngleich man noch keine Bekanntschaft mit ihnen gemacht hatte.
Es war zu Anfang des Herbstes, und Gerd hatte den Auftrag erhalten, am Abend die Pferde wieder einmal zu dem erwähnten Kamp zu bringen. Mit der Arbeit war es spät geworden und somit noch später, ehe Gerd sich mit den Tieren auf den Weg zur Weide machen konnte. Doch ungestört erreichte er das Land, und wohlgemut trat er den Rückweg an. Der Wind heulte eine schauerliche Weise durch das Buschwerk, und nur ab und zu warf der Mond einen scheuen Blick durch die Wolken, die an ihm vorüberjagten wie Schafe, wenn der Wolf sie scheucht. Eben pfiff Gerd leise das schöne Lied vor sich hin: »Jan, kumm kiddel mi«, als unvermutet eine große, schwarze Gestalt aus dem Buschwerk trat und schweigend auf der anderen Seite des Weges neben ihm herschritt.
Das Schaurigste aber an der Gestalt war, daß Gerd anfangs nichts von einem Kopf an ihr bemerkte, sondern dort, wo Menschen gewöhnlich einen solchen tragen, ragte nur der Halsstumpf hervor, und der Kopf schien glatt abgeschnitten zu sein. Dagegen schurrte es hinter der Gestalt her, als ob ein gewaltig großer Kuhschwanz hinter ihr drein durch den Schmutz geschleppt würde. Als nun Gerd sich von der Richtigkeit dieses Gefühls überzeugen wollte, gewahrte er, daß sein seltsamer Begleiter doch einen Kopf hatte. Er trug ihn jedoch unterm Arm, was selbst Gerd Duusnack als etwas ungewöhnlich empfand. Ein Irrtum aber war unmöglich, denn Gerd sah ganz deutlich die tassengroßen Augen wie Kohlen leuchten, bläulich, wie brennender Schwefel, schimmerte die gewaltige Habichtsnase, und der übergroße Mund schien Feuer speien zu wollen.
Eine ganze Weile schritt Gerd in Staunen verloren neben der Gestalt her; endlich brach er das Schweigen und redete seinen Geleitsmann an: »Goden Avend, Fründskupp! Wor sall de Reis denn noch hengahn?«
Da kam ihm wie aus Kellers Tiefen die Antwort: »Na de Höll'! Mit muttst, goot of doot!«
»Wat du seggst!« wollte Gerd entgegnen, kam aber nicht dazu, denn urplötzlich fuhr ein zweiter Gesell auf den Platz, der, o Wunder! das getreue Ebenbild der ersten Person war, nur daß er diese in jeder Beziehung um mehr als das Doppelte überragte.
Wie des Donners Groll, wenn der Blitz in größter Nähe in die Eiche fährt, klang es, als er sein Nachbild ohne weiteres anfuhr: »Well büst du? Un, wat wullt du?!«
Der aber mußte in dem Großen wohl den leibhaftigen Beelzebub wittern; denn er zitterte wie Espenlaub und begann stotternd: »Gnä – gnä – gnädiger He – Herr Dü – Düvel!« Weiter aber kam er nicht, denn plötzlich hatte der Starke seinen Kopf ergriffen und ihn dem kleineren Gesellen an den Halsstumpf geworfen.
Der ließ sofort seinen Kopf fallen und, wie die Katze, wenn der Hund ihr auf den Fersen ist, setzte er in gewaltigen Sprüngen den Weg entlang; aber der Gewaltige schoß hinter ihm drein, wie der Habicht hinter dem flüchtigen Spatz.
Starr vor Überraschung schaute Gerd der tollen Jagd nach. Jetzt reckte der Starke seine gewaltige Hand aus nach dem Nacken des Flüchtlings, und aus gepreßtem Herzen schrie Gerd:
"Lüttje Düvel wehr di,
de grote Düvel kriggt di!"
Am andern Tage ging der Großknecht mit verbundenem Kopf einher, und Gerd sah auch, daß er hinkte an seiner Hüfte; aber die Sonne ging ihm nicht auf.
Ostfriesischer Hausfreund 14 (1896) S. 56 [Titel geändert].