39.
Königliche Lehren.

[71] Als der Häuptling Bonna Dearriga auf dem Sterbebette lag, ließ er seinen Sohn Illan, der seiner braunen Haare wegen gewöhnlich Donn genannt wurde, zu sich rufen und gab ihm folgende Lehren:

»Bring' nie ein Thier vom Markte zurück, wenn dir ein anständiger Preis dafür geboten wird.«

»Ziehe nie schlechte Kleider an, wenn du bei einem Freunde um Unterstützung nachsuchst.«

»Heirate nie ein Mädchen, dessen Familie du nicht genau kennst.«

Nachdem er gestorben war, nahm sich Donn vor, diese Aussprüche einer Prüfung zu unterwerfen. Er ritt also erst auf den Markt und bot sein Pferd für zwanzig Pfund Sterling zum Verkaufe aus. Da ihm jedoch nur neunzehn geboten wurden, so nahm er es wieder mit. Unterwegs überraschte ihn die Nacht und sein Pferd stürzte und beschädigte sich so sehr, daß er es todtstechen mußte. Dann schnitt er ihm die beiden Vorderfüße ab und trug sie nach Hause.

Am nächsten Tage ging er abermals auf den Markt und machte die Bekanntschaft des reichen Oriel nebst seiner Tochter. Beide fanden so großen Gefallen an ihm, daß sie ihn auf den nächsten Tag in ihr Schloß einluden. Er nahm die Einladung an, und als er einige Tage dort war und mehrere Mondscheinspaziergänge mit dem jungen Fräulein gemacht hatte, glänzte der Verlobungsring an seinem Finger. Da kam nun eines Tages ein Diener in sein Zimmer und sagte:

»Lieber Herr, du stürzest dich in's Unglück, denn deine Braut ist deiner unwürdig. Der bucklige Harfenspieler Fergus Rua bringt jede Nacht bei ihr zu und wenn du dich davon überzeugen willst, dann verstecke dich nur einmal in der Nähe ihres Schlafzimmers!«

Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, hatte Donn das Schloß Oriel's längst hinter sich.

Nun wollte er die Richtigkeit der dritten Regel erproben und machte sich auf den Weg zu seiner verheirateten Schwester, die zehn Meilen von ihm wohnte. Vor ihrer Wohnung tauschte er mit einem Bettler die Kleider und sagte dem Thürsteher, er wolle seine Schwester sprechen.[71]

»Wer ist deine Schwester?« fragte dieser barsch.

»Deine Herrin!«

Der Diener lachte ihn aus, doch Donn gab ihm dafür eine solche derbe Ohrfeige, daß er in eine Ecke flog.

»Was geht hier vor?« rief die Frau des Hauses, die den Lärm gehört hatte.

»Ich habe nur diesem unverschämten Bengel den nöthigen Respekt beigebracht,« erwiderte Donn.

»Aber um Gotteswillen, wie siehst du aus?«

»Als ich kürzlich auf mehrere Tage auf der Jagd war, wurde mein Haus von Räubern überfallen und gänzlich ausgeplündert. Ich habe gar nichts mehr und wenn du mir nicht hilfst, so weiß ich nicht mehr, was ich thun soll!«

»Armer Illan!« seufzte sie, »viel kann ich nicht für dich thun; doch werde ich dir etwas zu essen und zu trinken hierher schicken, da du dich in diesen Lumpen doch nicht im Saale sehen lassen kannst!«

Darauf ging sie fort und bald darnach kam ein Diener mit einer Kanne Bier. Donn reichte Beides dem Bettler, ließ sich dann die Kanne und seine Kleider wieder zurückgeben und ging nach Hause.

Nach einer Woche schrieb er seinem Schwiegervater, daß er wegen wichtiger Angelegenheiten gezwungen gewesen sei, ihn ohne Abschied zu verlassen; doch habe er jetzt alle Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen und er hoffe, er werde sich mit seiner Tochter gleich einfinden. Dies that Jener denn auch und als alle Hochzeitsgäste, darunter auch seine hartherzige Schwester mit ihrem Gemahle, versammelt waren und tüchtig gegessen und getrunken hatten, erhob sich Donn von seinem Sitze und sprach:

»Freunde und Verwandte! Ich fühle mich genöthigt, euch einige meiner Fehler mitzutheilen in der Hoffnung, daß ihr dadurch klüger werdet. Mein sterbender Vater sagte mir, ich sollte stets mein Vieh verkaufen, wenn mir ein anständiger Preis dafür geboten würde. Ich gehorchte ihm leider nicht, als ich mein Pferd auf den Markt brachte, und Alles, was ich noch davon habe, sind die beiden Beine, die dort an der Wand hängen. Dann sagte er mir, ich solle nie in zerrissenen Kleidern bei Jemandem um Unterstützung nachsuchen. Ich vertauschte nun meinen Anzug mit dem eines Bettlers und Alles, was ich von meiner hier anwesenden mitleidigen Schwester erhielt,[72] ist diese alte Kanne, die neben den Pferdefüßen hängt. Darnach verlobte ich mich gegen den Rath meines Vaters mit einer Dame, die ich nicht genügend kannte und diese sagte mir später, ich solle mich mit den Krücken ihres lahmen und buckligen Liebhabers begnügen. Ich habe sie ebenfalls an die Wand gehängt. Dies ist Alles, was ich heute Abend zu sagen habe; gute Nacht!«

Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, war kein Fremder mehr in Donn's Schloß. Donn heiratete darnach die Tochter seines Nachbars, mit der er zusammen aufgewachsen war, und je länger sie miteinander lebten, desto glücklicher wurden sie.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 71-73.
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