55.
Die drei Kronen.

[113] Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Die beiden ältesten waren sehr stolz und eingebildet, aber die jüngste war desto besser in jeder Beziehung. Nun kamen eines Tages drei Prinzen, um sie zu heiraten, und zwei davon waren gerade desselben Charakters wie die ältesten; nur der jüngste war ein ganz liebenswürdiger, anspruchsloser Jüngling.

Als diese drei Paare einst mit dem König an den See spazieren gingen, sprach sie ein armer Mann um eine kleine Gabe an; doch nur das jüngste Paar gab ihm außer freundlichen Worten ein ansehnliches Geschenk; die Uebrigen würdigten ihn kaum eines Blickes.

Am Ufer des See's stand ein wunderschönes Boot, in das sich Alle setzten; die Jüngste hatte zwar anfangs keine rechte Lust, da sie es für verzaubert hielt, doch ließ sie sich zuletzt von ihrem Vater bereden, sich ebenfalls hineinzusetzen.

Kaum hatten sie sich vom Ufer entfernt, da sprang ein winziger, kaum sieben Zoll hoher Zwerg unter einem Sitze hervor und befahl ihnen in barschem Tone, sich ruhig zu verhalten. Die Prinzen, denen[113] eine solche Sprache ungewohnt vorkam, griffen augenblicklich nach dem Schwerte, doch Keiner davon konnte es aus der Scheide ziehen.

»Sagt euren Bräuten auf unbestimmte Zeit Lebewohl,« sagte der Zwerg zu den Männern, »denn euer mitleidsloses Betragen muß bestraft werden. Der jüngste Bräutigam braucht sich jedoch nicht zu grämen, denn er wird seine Prinzessin zur rechten Zeit wiederfinden und glücklich mit ihr werden. Böse Leute sind nicht reich, auch wenn sie nichts als Gold am Leibe haben. Banacht lath!«

Die Mädchen rangen verzweiflungsvoll ihre Hände, aber keines konnte ein Sterbenswörtchen sprechen. Inzwischen flog das Schiffchen pfeilschnell über den See und war am jenseitigen Ufer, ehe sich eine Katze hätte die Pfote naß machen können. Nun mußten die Männer aussteigen und die Jungfrauen wurden vom Zwerge an einer seidenen Schnur in einen tiefen Brunnen gelassen, von dessen Existenz vorher Niemand etwas gewußt hatte. Als die letzte verschwunden war, sprach der jüngste Prinz: »Laß mich auch hinab; ich will sie entweder zurückbringen oder mein Leben dabei verlieren!«

»Ich bin der Aelteste,« erwiderte ein anderer Prinz, »und habe das Vorrecht.« Da sich die Andern damit einverstanden erklärten, so ließen sie ihn zuerst in den Brunnen. Doch sie warteten vergebens auf ein Zeichen von ihm und gingen dann, als es anfing dunkel zu werden, ohne ihn nach Hause. Am nächsten Tage wurde der Zweite und, als dieser ebenfalls Nichts von sich hören ließ, am dritten Morgen der Jüngste hineingelassen.

Als er unten am Boden war, sah er sich in einer reizenden Gegend; vor ihm war ein schönes Wäldchen und hinter ihm ein weites, grünes Feld mit einem stolzen Schlosse darauf und von oben lachte der blaue Himmel auf ihn herab.

Da das Schlößchen weit offen stand, so ging er ruhig durch den Hofraum in die innern Gemächer, von denen immer eines schöner als das andere war. Das letzte war das allerschönste und darin stand ein fein gedeckter Tisch mit den kostbarsten Delikatessen. Da er nun trotz seines großen Hungers nicht uneingeladen zugreifen wollte, setzte er sich still an den Kamin und wartete, bis Jemand käme. Und da brauchte er nicht lange zu warten, denn bald trat der Zwerg mit der jüngsten Prinzessin am Arme herein und fragte: »Aber warum issest du nicht?«[114]

»Der Anstand erfordert, daß man dies nicht eher thut, bevor man eingeladen worden ist.«

»So dachten die Andern freilich nicht; kaum waren sie eingetreten, so machten sie sich auch darüber her und als ich mir über dieses freie Benehmen einige Bemerkungen erlaubte, wurden sie grob und schimpften mich aus. Jetzt werden sie wohl keinen Hunger mehr verspüren.«

Dabei deutete er auf zwei marmorne Statuen in einer Nische Der Prinz erschrak zu Tode, sagte aber kein Wort. Darauf mußte er sich mit seiner Braut zu Tische setzen und als Beide gegessen und getrunken hatten, sprach der Zwerg zum Prinzen:

»Du mußt heute mit der Sonne reisen und wenn sie untergeht, wirst du in das Schloß eines Riesen kommen, in dem sich die zweite Prinzessin befindet. Am nächsten Tage reisest du in derselben Richtung weiter und dann wirst du auch die dritte in einem Schlosse bei einem Riesen finden. Bringe sie Beide mit; sie werden von nun an etwas mildthätiger gegen die Armen sein und sie wie Ihresgleichen behandeln.«

Mit Sonnenuntergang erreichte der Prinz das erste Schloß. Die Prinzessin war fast vor Freude außer sich und wollte ihm gleich ein gutes Abendessen bereiten, doch da hörte sie plötzlich den Riesen vor der Thüre und sie versteckte den Prinzen schnell in ihrem Schlafgemach. Der Riese trat ein, schnüffelte herum und sagte: »Ich rieche Menschenfleisch in der Nähe!«

»Du irrst dich,« erwiderte die Prinzessin, »ich habe heute ein junges Kalb geschlachtet.«

»Dann gib es her, denn ich bin hungrig.« Sie that so und der Riese setzte sich wieder, aß das ganze Kalb auf einmal auf und trank ein großes Faß voll Wein dazu.

»Aber ich rieche das Menschenfleisch noch immer in meiner Nähe,« sagte er, als er fertig war.

»Du bist schläfrig, lege dich nun in's Bett.«

»Du hast Recht; aber sage mir doch zuerst, wann du mich eigentlich heiraten willst?«

»Am heiligen Tibb's Abend.«

»Wann das ist, weiß ich nicht; doch es scheint mir, als verzögertest du die Hochzeit absichtlich!«[115]

Wenige Augenblicke darnach fiel er in tiefen Schlaf und der Prinz konnte unbehindert seine Weiterreise antreten. Am Abende kam er in das Schloß der ältesten Prinzessin, wo ihm dasselbe passirte. Als diese ihren zukünftigen Gemahl in tiefen Schlaf gesungen hatte, holte sie seine beiden schnellsten Pferde aus dem Stalle und fort ging's über Stock und Stein zur zweiten Schwester, die sie auf einem Pferde erwartete. Die Riesen jagten ihnen zwar nach, aber ehe sie sie einholten, waren sie bereits innerhalb der Zauberhecke des Zwerges in Sicherheit.

Die jungen Mädchen waren fast außer sich vor Freude und um dieselbe zu erhöhen, berührte der Zwerg die beiden Statuen mit seiner Zauberruthe und diese erhielten ihre frühere Gestalt wieder. Darnach setzten sich Alle seelenvergnügt an den Tisch und aßen und tranken nach Herzenslust. Als sie damit fertig waren, führte sie der Zwerg in ein hohes Gemach, in dem alle Gegenstände von Gold und Silber waren. Auf einem Tische lagen drei Kronen, die glänzten so hell, daß man sie kaum ansehen konnte. Jede der Prinzessinnen erhielt eine zum Geschenk und der Zwerg sagte: »Nehmt diese Kronen in Acht und laßt euch darin trauen und zwar Alle an einem Tage, wenn ihr meinen Fluch fürchtet. Gehet nun eure Wege!«

Darnach nahmen sie zärtlichen Abschied und ein Paar nach dem andern setzte sich in einen Korb und ließ sich von den oben wachenden Dienern hinaufziehen.

Als die Reihe an das jüngste Paar kam, riefen die Diener herunter, das Seil sei für zwei Personen nicht mehr stark genug und die Prinzessin möge sich deshalb allein in den Korb setzen. Sie that es auch; doch da sie den andern Prinzessinnen nicht traute, so gab sie ihrem Bräutigam die Krone und sagte, er solle, wenn die Reihe an ihn käme, einen schweren Stein in den Korb legen und unten abwarten, was sie thun würden.

Ihr Verdacht war ein begründeter. Als der Korb halbwegs oben war, ward das Seil plötzlich durchgeschnitten und es wäre sicherlich kein Knochen am Prinzen ganz geblieben, wenn er sich darin befunden hätte.

Diesem blieb nun nichts Anderes übrig, als zum Zwerge zurückzugehen und ihm seine Noth zu klagen.

»Gräme dich nicht darüber,« sagte der Zauberer darauf; »so lange du bei mir bist, soll es dir an Nichts fehlen.«[116]

Zu essen und zu trinken war freilich genug da, aber dies allein tröstete den Prinzen nicht und er war nahe daran, zu verzweifeln. Da sprach eines Tages der Zwerg zu ihm: »Ich glaube, mein lieber Prinz, das Leben in meinem Schlosse wird dir allmälig doch zu langweilig!«

»Ja, wenn ich meine Prinzessin hier hätte, würde mir freilich die Zeit rascher vergehen!«

»Das kann ich mir lebhaft vorstellen; doch das wird sich Alles schon machen. Bewahre die Krone nur recht gewissenhaft und wenn du mich brauchst, so öffne einfach diese Schnupftabaksdose, die mein gewöhnlicher Schlafplatz ist. Gehe heute einmal in dem Garten spazieren und wenn du müde bist, kommst du wieder zurück!«

Der Prinz ging fort und blickte in tiefes Nachdenken versunken beständig vor sich hin. Wie lange er so hinschlenderte, wußte er selber nicht und als er endlich seine Augen aufrichtete, sah er sich im Hofe eines Schmiedes, ungefähr eine Meile von dem Schlosse seiner Verlobten.

»Es ist eine Schande,« sagte der Schmied, »daß ein so kräftiger, junger Mann in zerrissenen Kleidern herumläuft und nicht arbeitet! Wenn du den Hammer schwingen willst, dann komme her; du wirst es nicht umsonst thun!«

Der Prinz trat in die Schmiede und arbeitete fleißig mit.

Am andern Tag kam ein geschwätziger Schneider zum Schmied und erzählte ihm allerlei wichtige Neuigkeiten. Er war im königlichen Palaste gewesen und hatte zugesehen, wie die beiden Prinzen mit ihren Bräuten in die Kirche gingen, um sich trauen zu lassen. Als sie jedoch vor dem Altare standen, öffnete sich plötzlich der Boden unter ihnen und sie sanken hinunter in die Grabgewölbe und wie sie wieder herausgezogen wurden, waren sie voller Schmutz, daß die Farben an ihren Hochzeitskleidern nicht mehr zu unterscheiden waren. Darauf erklärte der König, daß es Vermessenheit sei, die Hochzeit zu feiern, ehe seine jüngste Tochter ihre Krone wieder habe. Wer sie ihm bringe, dem gebe er das Mädchen zur Frau.

»Ich wünsche, ich könnte es,« sagte der Schmied, »aber ich glaube, es ist Keiner auf der ganzen Erde, der eine solche Krone schmieden kann.«

»Ein Feigling hat noch nie eine Jungfrau gewonnen,« erwiderte[117] der Prinz, »und wenn du mir heute das Muster der verlangten Krone besorgst, so soll sie morgen früh fertig sein.«

»Ist das dein Ernst?« fragte der Schmied erstaunt.

»Gewiß!«

Darauf lief dann der Schmied in den Palast, brachte sein Anliegen vor und da er allgemein als ein ehrlicher Mann bekannt war, so gab ihm der König eine Krone als Muster mit.

Der Prinz hämmerte nun die ganze Nacht durch in der Schmiede, ließ aber Niemanden zu sich herein und als der Meister am nächsten Morgen aufstand, fand er die Krone fertig. Nun sollte der Prinz mit zum Könige gehen, aber er wollte nicht.

»Was soll ich nun thun,« sagte der König, als ihm der Schmied die Krone überreichte, »du bist ein verheirateter Mann und wirst unter diesen Umständen meine Tochter nicht zur Frau verlangen können!«

»Gewiß nicht!« erwiderte der Schmied; »auch habe ich die Krone nicht selber gemacht, sondern ein Landstreicher, der seit zwei Tagen bei mir beschäftigt ist.«

»Dann wird er der Gemahl meiner Tochter!«

»Das bin ich auch zufrieden!« sprach die Prinzessin freudig; denn sie hatte inzwischen die Krone genau angesehen und sich überzeugt, daß sie von ihrem Liebsten kam.

Darauf bat der König den ältesten Prinzen, seine beste Kutsche zu nehmen und den kunstgeübten Schmied in den Palast zu bringen. Daß er es sehr ungern that, ist wohl nicht nöthig zu sagen.

»Bist du der Kerl, der die Krone gemacht hat?« fragte er den Prinzen, als er in die Schmiede trat.

»Der bin ich!«

»Dann wasche und kämme dich und steige in die Kutsche, denn der König wünscht dich zu sehen. – Die Prinzessin thut mir leid!«

Der junge Prinz stieg ein und als er sich in der Nähe des Palastes sah, zog er die Schnupftabaksdose, die er sammt dem Zwergen darin mitgenommen hatte, heraus und öffnete sie.

»Was fehlt dir jetzt noch?« fragte der Zauberer.

»Lasse die Kutsche mit schweren Steinen füllen, ich werde mich unbemerkt fortschleichen!«

»Soll gleich geschehen!«[118]

Und es geschah auch augenblicklich. Als der König die Kutsche ankommen sah, lief er ihr eiligst entgegen, um seinen zukünftigen Schwiegersohn zu empfangen. Doch wie er die Thüre öffnete, begrüßte ihn ein solcher Steinregen, daß er besinnungslos niederfiel. Der Prinz entschuldigte sich, so gut er konnte, doch ward allgemein angenommen, daß er unhöflich gegen den jungen Schmied gewesen sei.

Nun mußte der zweite Prinz gehen. Da er nicht besser als sein Kamerad war, so ward ihm unterwegs die Kutsche mit Koth gefüllt und der König kam in noch größere Verlegenheit, als er den Schlag aufmachte.

»Der Fuchs hat keinen bessern Boten als sich selbst,« sagte der König darauf und fuhr nach der Schmiede. Er bat den jungen Mann, sich neben ihn zu setzen, doch dieser sagte, er wolle lieber die Pferde lenken und auf dem Bock sitzen.

Unterwegs zog er die geheimnißvolle Schnupftabaksdose heraus und öffnete sie.

»Was willst du?« fragte der Zwerg.

»Gib mir Kleider, welche meinem Range entsprechen!«

»Die sollst du haben. Und hiermit sage ich dir Lebewohl. Die einzige Lehre, die ich dir noch zum Abschied gebe, ist: Liebe dein Weib!«

Darauf verschwand er. Als die Kutsche vor dem Palaste ankam, öffnete sie der Prinz selber und sprang heraus und das erste, was er that, war, daß er seine geliebte Braut zärtlich umarmte. Bald fand dann auch die Hochzeit statt und die beiden ältesten Paare verließen darnach den Palast; der junge Prinz aber blieb mit seiner lieben Frau beim alten Könige.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 113-119.
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