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[363] Árn. II, S. 531–33.
Ein junger Bauernbursche beginnt zu kränkeln. Da man nicht weiss, was ihm fehlt, wird ein Bote zu einem Arzte geschickt. Dieser will vor allem das Wasser beschaun, und so muss der Bote noch einmal den Weg machen. – – – Unterwegs jedoch, wie er über einen Bach springt, zerbricht ihm die Flasche. Um nicht zum dritten Male heimgehen zu müssen, nimmt der Bote etwas Wasser von einer Kuh, die gerade auf der Weide war, und bringt das dem Arzt. Der untersucht dann das Gebrachte sorgfältig und kommt zu der Ansicht, dass er für das Geschöpf, von dem das Wasser sei, kein Mittel senden könne. Denn das ging mit einem rotgescheckten Kalbe. Die Eltern des Kranken vernehmen mit Erstaunen diese Kunde von ihrem Sohne, messen ihr jedoch vollen Glauben bei, da der Arzt es ja gesagt habe. Der Bursche selbst schämt sich so furchtbar seiner vermeinten Schwangerschaft, dass er seine Eltern verlässt und in die weite Welt wandert, um draussen fern von allen Menschen sein Kalb zur Welt zu bringen. Beim Wandern verschleissen ihm unterwegs die Schuhe, doch zu seinem guten Glücke findet er einen erfrorenen Mann, dessen Stiefeln noch gut erhalten waren. Da er sich ihrer nicht anders bemächtigen kann, bricht er die Beine in den Knieen ab und nimmt so die Stiefel zugleich mit den Füssen des Toten mit sich. In der Nacht darauf bittet er um Nachtquartier auf einem Bauernhöfe, um die in den Stiefeln festgefrorenen Füsse auftauen zu lassen. Er schläft bald ein, während die Bewohner des[363] Hauses wach bleiben, da eine Kuh in der Nacht ein Kalb wirft. Es ist ein schönes, rotgeschecktes Tierchen, das man, um es vor der Kälte zu schützen, zum Gast in die warme Stube bringt. Das Kalb beginnt nach einiger Zeit zu blöken, so dass der Bauernbursche erwacht. Natürlich glaubt er nun nichts anderes, als dass er soeben das rotgescheckte Kalb zur Welt gebracht habe, und da er sich wegen dieser seltsamen Niederkunft furchtbar vor den Leuten schämt, beschliesst er, sofort sich aus dem Staube zu machen. Die aufgetauten Füsse des Toten lässt er jedoch in der Eile zurück. Wie am andern Morgen einer von den Bauersleuten in die Stube kommt, ist der Gast spurlos verschwunden, und nur zwei Fussstümpfe liegen noch am Fussende des Bettes. Erschrocken läuft er zu den übrigen Hausbewohnern. Da ausser dem Kalbe niemand in der Stube war, scheint es allen ausser Zweifel, dass dieses Kalb ein Menschenfresser ist, der schon in der ersten Nacht seines Lebens einen ganzen Menschen vertilgte. Um nun solches Untier so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, reissen sie in die Stubenwand eine Öffnung. Die drei beherztesten Männer treten nun hinzu und werfen so lange von hier aus mit Steinen nach dem Kalbe, bis es tot am Boden liegt. Zur Sicherheit wird es dann noch einmal von allen mit Messern durchstochen und unten am Seestrande zu Asche verbrannt, darauf noch die Asche ins Meer gestreut.
In den verglichenen modernen Märchensammlungen ist dieser Schwank nicht vertreten, wohl aber bei Straparola (12. Nacht 5. Fabel II S. 334 ff.). Ein Gaukler in Sachsen will einem Gehängten die noch gut erhaltenen Stiefeln stehlen. Da er sie ihm nicht ausziehen kann, so schneidet er ihm die Füsse mit ab. Bei einem Bauern übernachtet er im gleichen Zimmer mit einem neugeborenen Kalbe. Gegen Morgen schleicht er sich, ohne sich zu verabschieden, aus dem Hause und lässt die Füsse des Gehängten, die er endlich aus den Stiefeln löste, neben dem Kalbe zurück. Der Bauer glaubt, dass das Kalb den Gast gefressen habe, und um das gefährliche Tier zu töten, steckt er das Haus an. – – –
In dieser Erzählung fehlt durch die mangelnde Einleitung die Motivierung, weshalb der Gaukler sich vor Tag schon aus dem[364] Nachtquartier fortschleicht. Im »Wendunmuth« (I, 2, 42) ist diese Einleitung allerdings auch ausgelassen, aber dort wird in einer ähnlichen Geschichte erzählt, dass ein Mönch (dem hier diese Geschichte zugeschrieben wird) in der Nacht geträumt habe, mit einem Kalbe niedergekommen zu sein. Wie er nun erwacht und tatsächlich ein Kalb neben sich findet, nimmt er es und wirft es in einen Brunnen, er selbst aber entflieht vor Tagesanbruch. –
Köhler, bezw. Bolte, gibt bei der Besprechung Strackerjans weitere Literaturnachweise zu dieser Erzählung (Kl. Schr. S. 68/9). Von den dort angeführten Schriften konnte ich mir hier nur das wetterauische Märchen vom Fuhrmann in Wolfs Zeitschrift (3 S. 36 ff.) verschaffen. Die Erzählung hier bestätigt jedoch meine schon vorher gefasste Vermutung, dass das Isländische den Schwank in seiner vollen Gestalt wiedergibt, während Strap. ihn nur verstümmelt erzählt. Denn der Fuhrmann ist gleichfalls krank und bekommt von dem Doktor durch die Wasserverwechslung des Boten den Bescheid, er habe ein Kalb im Leibe. Er geht nun vor Scham in die weite Welt und nimmt unterwegs einem Gehängten die Stiefeln fort. Den einen kann er auch gut ausziehen, aber in dem anderen bleibt noch der Fuss stecken. Er kommt nun zum Wirtshaus, in dem nachts ein Kalb geboren wird. Gegen Morgen fühlt der Fuhrmann auf der Streu hinterm Ofen neben sich etwas Haariges, und wie er genauer zusieht, ist es ein Kalb. Toller Scham läuft er fort, ehe irgend einer im Hause ihn sieht. Das Kalb, neben dem noch ein Menschenfuss liegt, kommt nun in den Verdacht, den Reisenden gefressen zu haben, und wird getötet.