XV. Helga, das Aschenbrödel.

[118] Es lebte einmal ein alter Mann mit seinem alten Weibe in einer schlechten Hütte nahe der See und weit abgeschieden von allen übrigen Menschen. Sie hatten drei Töchter; die älteste von ihnen hieß Ingibjörg, die nächste Sigrid und die jüngste Helga. Ingibjörg und Sigrid wurden immer behandelt, als ob sie Prinzessinen wären, während Helga stets zurückgesetzt wurde, obschon sie in allen Dingen viel geschickter war als ihre Schwestern. Es wurde ihr nicht erlaubt, auch nur das Geringste für sich selbst zu thun, denn sie tauge ja zu gar nichts, hieß es immer, und so wurde sie denn zu nichts Anderem verwendet als zur Bedienung der ganzen Familie.

Einmal geschah es nun, daß das Feuer in der Hütte erlosch; man mußte aber weit gehen, um ein neues Feuer zu holen. Da wurde Ingibjörg fortgeschickt, um solches heimzubringen.

Als sie eine Weile gegangen war, kam sie an einem Hügel vorüber und hörte, daß im Innern desselben Jemand sagte:

»Willst Du mich lieber mit Dir oder gegen Dich haben?«

Ingibjörg meinte, daß diese Frage ihr gelte, und antwortete darauf, daß sie mit Allem zufrieden sei, was er auch thue, und ging des Weges weiter bis sie zu einer Höhle kam, in welcher sie Feuer in Menge sah.

Auf den Gluten stand ein Kessel voll Fleisch, das noch nicht fertig gekocht war, und dicht beim Feuer sah sie einen Trog mit Kuchenteig; einen Menschen aber oder sonst ein lebendes Wesen erblickte sie in der Höhle nicht.

Ingibjörg war von dem Marsche sehr hungrig geworden und begann nun aus allen Leibeskräften unter den Kessel zu feuern, um das Fleisch schnell fertig zu kochen, und buk hierauf Kuchen. Für sich selbst verfertigte sie einen besonders leckeren,[119] die anderen aber verdarb und verbrannte sie, so daß sie durchaus nicht zu genießen waren. Hierauf machte sie sich an die Mahlzeit und aß, als ob sie hier zu Hause wäre.

Da kam ein ungeheuer großer Hund zu ihr in die Höhle und begann vor ihr zu wedeln; sie schlug jedoch nach ihm und wollte ihn fortjagen. Darüber wurde der Hund so böse, daß er ihr die eine Hand abbiß. Ingibjörg erschrak und fürchtete sich so sehr, daß sie ganz vergaß, Feuer zu nehmen; sie lief athemlos zu ihren Eltern heim und erzählte, was ihr geschehen war.

Obschon es nach dem Vorgefallenen keineswegs als ein Vergnügen angesehen wurde, das Feuer zu holen, beschloß man in der Hütte doch, »das Goldkind«, die Sigrid, fortzuschicken. Alle befürchteten ja, daß die jüngste Schwester, wenn man sie das Feuer holen ließe, entfliehen und niemals wieder nach Hause zurückkommen würde, wo sie ja so wenig zu verlieren hatte; und wer hätte sich dann als Zielscheibe ihrer schlimmen Launen hergegeben und sie alle bedient, die älteren Schwestern, den Vater und die Mutter? Aus diesem Grunde ward nicht Helga, sondern Sigrid geschickt.

Es braucht nicht ausführlich erzählt zu werden: es erging Sigrid ebenso, wie es Ingibjörg ergangen war, nur mit dem Unterschiede, daß der große Hund in der Höhle ihr nicht eine Hand, sondern die Nase abbiß, und sie hierauf ohne Feuer und ohne Nase nach Hause zurückkam.

Nun kamen die Eltern ganz außer sich und in ihrem Zorne schickten sie jetzt doch »das garstige Mensch«, die Helga, fort; sie sei ihnen ja ohnehin nur eine Qual in den Augen, darum könne sie ganz gut das Feuer holen, und zwar schnell.

Helga machte sich auf den Weg und kam gleich ihren Schwestern zu dem Hügel. Auch sie hörte, wie die Anderen, wie drinnen Jemand sagte:

»Willst Du mich lieber mit Dir oder gegen Dich haben?«

Sie aber antwortete:[120]

»Ein bekanntes Sprichwort sagt: Nichts ist so schlecht, daß es nicht besser ist, dasselbe mit sich als gegen sich zu haben. Ich weiß nun nicht, ob das so schlecht ist, was mich frägt, und darum will ich gerne, daß es mit mir sei.«

Hierauf setzte sie ihren Weg fort, bis sie zu derselben Höhle kam, in der auch ihre Schwestern waren.

Hier befand sich Alles im selben Stande, wie früher; aber Helga benahm sich anders als ihre Schwestern. Sie kochte das Fleisch im Kessel und buk die Kuchen mit großer Sorgfalt, aß aber selbst nicht das Geringste davon, obschon sie gewiß sehr hungrig war; denn von den Flossen und Knorpeln von Fischen und dem Spülwasser, welches ihre Nahrung daheim bildete, konnte sie wohl nicht mehr satt sein. Sie wollte auch das Feuer nicht nehmen, bevor sie nicht von dem Bewohner der Höhle die Erlaubniß dazu erhalten hatte.

Sie war so müde, daß sie sich kaum auf den Beinen erhalten konnte, und beschloß deshalb, sich hier ein wenig auszuruhen und die Heimkunft des Herrn der Höhle abzuwarten, obschon Alles, was sie hier sah, nicht wenig geeignet war, ihr Angst und Grauen einzujagen.

Während sie nun so da stand und nachdachte, wo sie sich niederlegen könne, hörte sie plötzlich ein gewaltiges Dröhnen, als ob die ganze Höhle einstürzen würde, und gleich darauf sah sie einen außerordentlich großen und häßlichen Riesen, gefolgt von einem ungeheuren, bissig aussehenden Bullenbeißer, in die Höhle kommen. Darüber erschrak sie so sehr, daß sie beinahe ohnmächtig wurde; sie faßte jedoch ein wenig Muth, als der Riese sie mit sanfter Stimme ansprach und sagte:

»Du hast die Arbeit, die hier zu verrichten war, gut gemacht; es ist deshalb nur recht und billig, daß Du den Lohn erhältst, denn Du verdient hast; komm nun und iß mit mir; Du kannst dann auch die Nacht hier zubringen und entweder dort bei dem Hunde oder bei mir selbst schlafen.«[121]

Hierauf brachte ihr der Riese Speisen, welche sie sich sehr gut schmecken ließ; später legte sie sich in das Lager des Hundes; denn so fürchterlich dieser auch war, so war der Riese doch noch viel schrecklicher.

Als Helga eine Weile geruht hatte, hörte sie ein Gedröhn, welches die Höhle erbeben machte, und wurde von Angst und Entsetzen erfüllt. Der Riese aber rief ihr zu:

»Wenn Du Dich fürchtest, Helga, Häuslerstochter, so krieche nur auf den Schemel bei meinem Bette.«

Dies that sie denn auch. Aber kurze Zeit darauf ertönte ein noch stärkeres Gedröhn und der Riese sagte, daß sie sich auf das Bett setzen könne. Sie that dies auch. Da erdröhnte es zum dritten Male, und zwar viel gewaltiger als die beiden ersten Male, und der Riese gab nun Helga die Erlaubniß, daß sie in's Bett hinein kriechen und sich zu seinen Füßen setzen dürfe. Während sie aber in's Bett kroch, ertönte zum vierten Male ein Gedröhn und es war als ob Alles mit Lärm und Gekrache zusammenstürzen würde.

Da erlaubte der Riese, daß Helga über ihn krieche und sich ganz an die Wand lege, und in ihrer Todesangst machte sie auch von seiner Erlaubniß Gebrauch. Aber in demselben Augenblicke fiel von dem Höhlenbewohner das Riesengewand ab und Helga sah nun einen wunderschönen jungen Prinzen neben ihr im Bette liegen.

Sie zögerte nicht lange, nahm das Riesengewand und verbrannte dasselbe zu Asche; der Prinz aber wurde so erfreut, daß er nicht wußte, wie freundlich er Helga danken sollte, daß sie den Zauber gebrochen. Sie schliefen hierauf die Nacht hindurch ohne weiter in ihrer Ruhe gestört zu werden.

Am nächsten Morgen erzählte der Königssohn Helga seine Geschichte von der Verzauberung, in die er gerathen war, von seinem Vermögen, seiner Familie und seinem Reiche. Er sagte[122] ihr auch, daß er sie, wenn sie ihn zum Manne haben wolle, später abholen werde.

Es braucht wohl nicht erst bemerkt zu werden, daß die arme Häuslerstochter das Anerbieten des Königssohnes mit Freuden annahm. Hierauf erzählte auch sie ihm ihre ganze Geschichte, den Grund ihres Hierseins und das Schicksal ihrer Schwestern, die mit demselben Auftrage hierhergekommen waren. Beim Abschied gab ihr der Prinz ein Kleid, welches sie unter den Lumpen tragen sollte; aber sie dürfe dasselbe Niemand sehen lassen, sagte er. Außerdem gab er ihr ein Kästchen mit allerlei Arten werthvoller Gegenstände und zwei sehr kostbare Frauenkleider. Das Kästchen brauche sie nicht zu verbergen und könne sie auch verschenken, denn es würde ihr ohnehin weggenommen werden, wenn sie heimkomme, sagte er ihr.

Als nun Helga bereit war, wieder den Heimweg anzutreten, kam der Hund und reichte ihr seine rechte Vorderpfote hin; sie nahm dieselbe in die Hand und fand einen goldenen Ring daran, den sie zu sich steckte.

Hierauf nahmen der Königssohn und die Häuslerstochter in Liebe von einander Abschied. Helga eilte mit den Kleidern, dem Kästchen und dem Feuer dem Elternhause zu und fühlte sich unendlich erleichtert.

Als sie mit dem Feuer in die Hütte kam, waren der Häusler und sein Weib doch recht froh. Als aber Helga ihnen das Kästchen und die kostbaren Gegenstände zeigte, freuten sich dieselben, sowie die beiden Schwestern so sehr über diese Schätze, daß sie Alles gleich für sich selbst behielten. Von ihrem Kleide aber erzählte Helga nichts.

Nun verstrich einige Zeit und es ging bei den armen Leuten in der Hütte wieder Alles seinen alten Gang, bis eines Tages ein großes und prächtiges Schiff auf dem Meere dahergesegelt kam und gerade unterhalb der Hütte landete. Der alte Häusler ging zum Strand hinab, um zu erfahren, wem dieses schöne[123] Schiff gehöre. Er knüpfte mit dem Manne ein Gespräch an, kannte ihn aber nicht und der Fremde nannte auch nicht seinen Namen. Hingegen fragte er ihn um viele Dinge aus, unter Anderem auch darum, wie viele Leute in der Hütte wohnen und wie viele Kinder der Alte habe.

Der Häusler antwortete, daß nicht mehr in der Hütte wohnen als er, sein Weib und zwei Töchter.

Der Mann wünschte die Töchter zu sehen; dies war es gerade, was der Alte wollte und er holte deshalb sogleich die beiden ältesten Töchter, welche rasch den ganzen Schmuck anlegten, der in dem Kästchen war, und zeigte sie dem Fremden.

Dieser sagte, daß sie ihm ganz gut gefallen, fragte aber, warum die eine die Hand in den Busen stecke und die andere ein Tuch um die Nase gebunden habe.

Da mußten sie sich zeigen wie sie waren, ob sie wollten oder nicht; dem Fremden aber gefielen sie nun viel weniger; und die Mädchen erzählten ihm natürlich auch nicht, weshalb sie so entstellt seien.

Da fragte er den Häusler, ob es wohl die volle Wahrheit sei, daß er nicht mehr Töchter habe.

Anfangs leugnete der Häusler steif und fest, daß er deren mehr besitze als diese zwei; als aber der Fremde fortfuhr in ihn zu dringen, mußte er schließlich doch gestehen, daß er wohl noch ein Wesen daheim habe, von dem er aber nicht genau wisse, ob es ein Mensch sei oder ein Thier.

Diese gerade wollte der Fremde sehen und der Alte mußte nach Hause gehen und Helga holen.

Sie kam schmutzig und in schlechten Kleidern, wie sie war, herbei; der Fremde riß ihr jedoch die Lumpen vom Leibe und sie stand nun in dem glänzenden Kleide da, welches viel schöner war als die Anzüge ihrer Schwestern. Alle waren darüber ganz sprachlos vor Erstaunen; der Fremde aber kehrte nunmehr[124] das Blatt um und schalt den alten Mann und die Schwestern tüchtig aus, daß sie Helga stets so schlecht behandelt hatten.

Hierauf nahm er den beiden älteren Schwestern den Schmuck weg, den sie trugen; es seien dies gestohlene Sachen, sagte er; hingegen warf er ihnen die Lumpen zu, welche Helga getragen hatte. Und dann erzählte er ihnen die ganze Geschichte vom Anfang bis zu Ende, sagte auch, wer er selbst sei und verließ hierauf den Alten und die Schwestern. Er spannte die Segel auf und fuhr mit Helga heim nach seinem Reiche. Hier hielt er Hochzeit mit ihr;


Sie lebten glücklich und lange,

Hatten Kinder und Kindeskinder,

Gruben Wurzeln und Kräuter –

Und nun weiß ich die Geschichte nicht mehr weiter.

Quelle:
Poestion, Jos. Cal.: Isländische Märchen. Wien: Carl Gerolds Sohn, 1884, S. 118-125.
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