[35] Es war einmal ein armes Weib, die hatte ein einziges Töchterlein, welches sie wie ihren Augapfel liebte. Obgleich das Mädchen erst neun Jahre alt war, so war es doch so verständig wie eine Erwachsene und gar sanft und fromm. Eines Tages waren Mutter und Tochter im Walde gewesen, um Holz zu klauben und als sie heimkehrten, sahen sie bei einem Baume drei Feen, welche schon lange zu warten schienen und in gebieterischem Tone zur Mutter sagten: »Heute über ein Jahr führe dein Kind zu uns hieher auf diese Stelle!« Voll Verzweiflung ging das Weib nach Hause. Wie viele Thränen weinte sie und wie traurig war sie stets! Aber das Mädchen suchte sie immer zu trösten. »Gott wird mir helfen, liebe Mutter«, sagte es oft; »du wirst sehen, dass ich vielleicht bald wieder wolbehalten und glücklich zu dir zurückkehre.«
Als das Jahr abgelaufen war, führte die Mutter – denn sie wagte nicht ungehorsam zu sein – schweren Herzens ihre Tochter in den Wald. Dort warteten die drei Feen schon darauf, nahmen das Mädchen bei der Hand und entschwanden bald aus den Augen der Mutter, welche weinend nachschaute und tiefbetrübt nach Hause ging.
Die drei Feen aber führten das Mädchen in ihre Wohnung tief im Walde und legten ihm allerlei häusliche Dienste auf. Obwol das Mädchen alles unverdrossen verrichtete, gelang es ihm doch nicht, sich die Gunst seiner strengen und unfreundlichen Gebieterinnen zu erwerben. Ja, es kam dahin, dass sie das Mädchen immer mehr[35] hassten und sie beschlossen, dasselbe in das sichere Verderben zu schicken.
»Höre, Kleine«, sagte eines Abends Eine der drei Feen, »geh morgen in diesen und diesen Ort und in diesen und diesen Palast hin. Dort tritt ein und nimm der Alten, welche du dort findest, die drei Pomeranzen weg und bringe sie uns her. Wehe dir, wenn du unser Gebot nicht erfüllst!«
Das arme Mädchen versprach es thun zu wollen; aber es ahnte wol selbst, wie gefährlich dieses Unternehmen sein werde. Es weinte die ganze Nacht, dachte immer an seine liebe Mutter und betete inbrünstig, dass ihm das aufgetragene Werk gelingen möge.
Am frühesten Morgen machte es sich auf den Weg. Als es einige Stunden gegangen war, begegnete es einem alten Manne. »Wohin gehst du?« fragte er mitleidig, als er das Kind mit den verweinten Augen sah. »Ach, wenn du es wüsstest!« erwiederte es und erzählte ihm treuherzig Alles. Dann sprach der Alte: »Nimm diese Dinge, geh hin und mache davon Gebrauch, sobald du es nöthig hast.« Und er gab ihm Nägel, ein Fläschchen Oel, einen Korb mit Brot, einen Besen und ein Seil. Das Mädchen nahm es, dankte recht herzlich dafür und machte sich, obwol es an diesen Dingen ziemlich schwer zu tragen hatte, doch mit gutem Troste und besserem Muthe wieder auf den Weg.
Bald kam es an den ihm von den Feen bezeichneten Ort und stand vor dem beschriebenen Palaste. Vor demselben war ein tiefer Graben und darüber führte eine Brücke, die war so alt und zerbrochen, dass man beim ersten Schritte darauf in die Tiefe stürzen musste. Das Mädchen aber nahm die Nägel und befestigte damit ein Brett nach dem andern, so dass es bald hinüber war. Nun gelangte es zu einem grossen Thore, das war mit Riegel und Ketten verschlossen und die waren so eingerostet, dass auch ein Riese mit all seiner Kraft sie nicht hätte zurückschieben können. Da nahm das Mädchen das Oelfläschchen, und bestrich Riegel, Ketten und Angeln mit Oel, worauf sie sich leicht wegschieben liessen und das Thor wie von selbst sich öffnete. Gleich hinter dem Thore lag ein Rudel Hunde, die stürzten wüthend und bellend auf das Mädchen los, als wollten sie es zerreissen. Da griff dieses in den Korb und warf das Brot unter die Hunde, welche nun darauf losstürzten. Das Mädchen liess sie fressen und ging weiter über einen Hof. Da war ein Weib, welches den Hof mit seinem Kleide kehrte; das Mädchen aber gab ihr den Besen. Ganz[36] nahe war ein Brunnen, daran stund ein Weib und zog den schweren Wassereimer mit ihren Haarflechten aus der Tiefe herauf. Hurtig gab ihr das Mädchen das Seil.
Nun war das Mädchen an der Stiege. Vorsichtig und leise ging es hinauf und kam in ein grosses Gemach; da sass eine Alte halb wach und halb schlafend und spann. Auf einem Kasten aber lagen in goldenem Teller die drei Pomeranzen. Rasch ergriff sie das Mädchen und eilte hinweg; allein die Alte hatte es doch gemerkt und humpelte ihr nach. Als das Mädchen am Brunnen war, rief die Alte dem Weibe, welches dort Wasser schöpfte, zu: »Halt sie auf, sie hat mir die drei Pomeranzen gestohlen!« Aber das Weib sagte: »Das thu' ich nicht; seit so vielen Jahren zog ich den Wassereimer mit meinen Haarflechten herauf und nun hat mir das gute Kind ein Seil gegeben.« Als das Mädchen zum Weibe kam, welches den Hof kehrte, rief die Alte wieder: »Schlag' sie zu Boden, sie hat mir die drei Pomeranzen gestohlen!« Allein das Weib sagte: »Das thu' ich nicht; seit so viel Jahren kehrte ich den Hof mit meinem Kleide und nun hat mir das gute Kind einen Besen gegeben.« Das Mädchen war schon bei den Hunden, da schrie die Alte zornig: »Packt sie, Hunde, zerreisset sie, sie hat mir die drei Pomeranzen gestohlen!« Allein die Hunde bellten nicht einmal, sondern sagten: »Das thun wir nicht; seit so viel Jahren haben wir Hunger gelitten und nun hat uns das gute Kind Brot gegeben.« Schon war das Mädchen am Thore, da schrie die Alte noch stärker: »Schliess' dich, Thor, zerquetsche sie, sie hat mir die drei Pomeranzen gestohlen!« Aber das Thor rührte sich nicht, sondern sagte: »Das thu' ich nicht; seit so viel Jahren war ich rostig und nun hat mich das gute Kind mit Oel bestrichen.« Eben trat das Mädchen auf die Brücke, da schrie die Alte noch einmal im höchsten Grimme: »Falle, Brücke, wirf sie hinab, sie hat mir die drei Pomeranzen gestohlen!« Die Brücke aber schwankte nicht einmal, sondern sagte: »Das thu' ich nicht; seit so viel Jahren war ich zerbrochen und nun hat mich das gute Kind wieder gemacht!«
Nun konnte die Alte nicht mehr weiter und das Mädchen war gerettet. Es dankte Gott und sezte freudig seinen Weg fort, bis es wieder zu den Feen kam. Diese waren nicht wenig erstaunt, das Mädchen wieder zu sehen, noch erfreuter waren sie, als es ihnen die drei Pomeranzen überreichte. Nachdem es ihnen alles erzählt hatte, lobten sie es und fragten, was für eine Belohnung es wolle. Das Mädchen verlangte nichts anderes als zu seiner Mutter zurückkehren zu[37] dürfen. Die Feen gestatteten es ihm und überhäuften es überdies mit den reichsten und kostbarsten Geschenken.
Welch grosse Freude die Mutter hatte, ihre Tochter wieder zu sehen, kann ich nicht beschreiben und will nur noch sagen, dass Mutter und Tochter fürderhin glücklich zusammen lebten und all die frühere Armut und Noth für immer ein Ende hatte. –