44. Der Ring.
(L' anello.)

[124] »Mutter, ich geh' in die Welt«, sagte ein armer Jüngling; »in der Heimat komm' ich ohnehin auf keinen grünen Zweig und gelte bei den Leuten nichts. Aber ich will mir Geld verdienen und dann, Mütterchen, sollen für dich auch noch bessere Tage anbrechen.«

So sprach er und ging. Er kam in eine Stadt und wie er so durch die Strassen schlenderte, sah er ein altes Weibchen, die kam[124] durch ein Berggässchen herauf und keuchte unter den schweren Wassereimern, die sie an einer kurzen Stange auf einer Achsel trug. Da ging er hin und sagte: »Gebt mir das Wasser zu tragen, Ihr müsst ja unter der Last schier erliegen.« Und er trug ihr das Wasser in ihr kleines Häuschen über die Stiege hinauf bis in die Küche. Die Alte dankte ihm und fragte: »Was kann ich dir nur zum Lohne geben?« Er aber erwiederte: »Ein so kleiner Dienst ist ja keines besondern Lohnes werth, ich hab's Euch ja nur zu Gefallen gethan.« Die Alte hiess ihn warten, ging und kam mit einem unscheinbaren Ringe zurück, den steckte sie ihm an den Finger und sagte: »Das ist ein kostbarer Ring; so oft du ihn drehst und ihm befiehlst, was du nur willst, wird es geschehen. Aber sieh ja zu, dass er dir nicht entwendet werde, sonst bist du verloren. Darum geb' ich dir gleich auch einen meiner Hunde und eine meiner Katzen mit; vielleicht können sie dir helfen, wenn du in die Noth kommst.«

Der Jüngling dankte und ging, aber er hatte so wenig Vertrauen auf den Ring, dass er nicht einmal einen Versuch damit machte; »die Alte hat gefaselt«, dachte er sich. Er ging wieder aus der Stadt hinaus und Hund und Katze liefen neben ihm her; das liess er gern geschehen, spielte mit ihnen und liess sie viele Sprünge machen. So kam er in einen Wald, da wurde es Nacht und er musste dort bleiben; Hund und Katze aber legten sich neben ihn. Bald fing er an grossen Hunger zu verspüren; da fiel ihm der Ring am Finger ein und er dachte sich, ein Versuch könne ihm ja nicht schaden. Er drehte also den Ring und sagte: »Ich befehle dir, dass du mir zu essen und zu trinken herbeischaffest!« Und im Nu stand ein mit Speisen und Getränken aller Art beladener Tisch vor ihm; da griff er erfreut zu und liess sich's schmecken und Hund und Katze frassen auch mit. Nun glaubte er an die Wunderkraft des Ringes und als er gegessen hatte, streckte er sich wieder auf den Rasen hin und sann nach, was er nun Alles anfangen wolle. Tausend Gedanken fuhren ihm durch den Kopf, bald gedachte er sich eine Menge von Gold und Silber, bald Wagen und Pferde zu wünschen und so verdrängte immer ein Wunsch den andern. »Da möcht' ich närrisch werden«, rief er endlich ganz ermüdet aus, »aber ich habe oft gehört, dass die Leute im Glücke den Kopf verlören und ich will den meinen oben behalten. Also für heute nichts mehr, morgen will ich schon sehen.« Er legte sich auf die Seite und schlief bald fest und süss; die beiden Thiere aber legten sich ihm eines zu Häupten, das andere zu Füssen und wachten bei ihm.[125]

Als er am Morgen erwachte, schien bereits die liebe Sonne durch die hohen grünen Baumwipfel herein, es wehte ein frisches Lüftchen, die Vöglein sangen auch schon alle und ihm selbst war alle Müdigkeit vergangen. »Da wärest du ein Narr«, sagte er zu sich selbst, »und gingest nicht zu Fusse, wo Alles so schön und herrlich ist!« Und er ging durch Wald und Wiese und Felder, bis er zu einem grossen Palaste kam; da sass eben ein wunderschönes Mädchen am Fenster und blickte nicht unfreundlich auf den jungen Wanderer, wie er so des Weges kam und Hund und Katze neben ihm herliefen. Er aber blickte auch hinauf und hatte den Ring behalten, das Herz aber verloren. Er ging noch eine Strecke fürbass; dann drehte er den Ring und sagte: »Ich befehle dir, dass du mir jenem Palaste gegenüber einen noch schönern Palast mit allem Zubehör hinstellest.« Und im Nu stand der Palast da und war noch viel schöner und grösser als der andere, darin war er selbst und Hund und Katze waren auch bei ihm. Nun stand er auch oft am Fenster und sah zu seiner Nachbarin hinüber, aber er seufzte nicht lange, sondern ging selbst hin und warb um ihre Hand. Sie und ihre Aeltern gaben ihm die Zusage und schon nach wenigen Tagen wurde die Hochzeit gehalten.

Als sie in der ersten Nacht beisammen waren und traulich kosten, stellte sie an ihn die Frage, wie denn sein Palast so plötzlich hier entstanden wäre. Er meinte, vor seiner Frau brauche er kein Geheimniss zu haben und erzählte ihr die ganze Geschichte vom Ringe. Als er aber schlief, zog sie ihm heimlich den Ring vom Finger; dann stand sie auf, befahl allen Dienern den Palast sogleich zu verlassen und ging wieder in das Haus ihrer Aeltern. Dort drehte sie den Ring und sprach: »Ich befehle dir, dass du den Palast dort auf die höchste steilste Spitze jenes Berges stellest!« Als sie hinüber sah, war der Palast schon verschwunden, als ob er nie dagewesen wäre.

Der Jüngling war nicht wenig erstaunt, als er am Morgen erwachte und sich in seinem Palaste auf der höchsten Spitze eines Berges befand. Er rief nach den Leuten, aber es kam Niemand; nur Hund und Katze waren da. Als er auch noch bemerkte, dass ihm der Ring fehle, begriff er sogleich den ganzen Hergang der Sache und den schändlichen boshaften Verrath, den seine junge Frau an ihm geübt, aber es war ihm ein schlechter Trost. Er ging um zu sehen, ob er nicht vom Berge herabsteigen könne, aber es war nicht möglich; die Lebensrnittel im Palaste reichten nur auf ein paar Tage zu und[126] so kam ihm bald der schreckliche Gedanke, er werde hier Hungers sterben müssen.

Als der Hund und die Katze ihren Herrn so traurig sahen, traten sie vor ihn und der Hund sagte: »Verzagt noch nicht, ich und die Katze wollen uns wol einen Weg aufspüren, auf dem wir durch das Geklüfte niedersteigen können und wollen sehen, dass wir Euern Ring wieder erlangen.« »Thut dies, liebe Thiere«, sagte der Jüngling, »ihr seid noch meine einzige Hoffnung, sonst stürzte ich mich lieber über diese Felsen in die Abgründe, eh' ich Hungers stürbe.«

Hund und Katze gingen, liefen hin und her, kletterten und sprangen und kamen so glücklich hinab. Als sie in der Ebene waren, mussten sie über einen Fluss; da nahm der Hund die Katze auf den Rücken und schwamm hinüber. So kamen sie zum Hause der treulosen Frau, da war es schon Nacht und Alles lag im tiefsten Schlafe. Sie schlichen beim Thore hinein; dann sagte die Katze zum Hunde: »Nun bleib du hier und gib fleissig auf das Thor Acht; ich will hinauf und sehen, was sich thun lässt.« Nun schlich sie über die Stiegen hinauf bis vor das Zimmer, wo die treulose Frau schlief, da aber war die Thüre gesperrt und sie konnte nicht hinein. Wie sie so davor sass und nachdachte, was sie etwa thun könnte, kam eine grosse Maus und die Katze fing sie; die Maus aber bat flehentlich, sie möge ihr doch das Leben schenken. »Das will ich«, sagte die Katze, »aber du musst hier ein Loch in die Thüre nagen, dass ich hinein kann.« Die Maus fing sogleich an zu nagen; sie nagte lange, endlich aber waren ihr alle Zähne stumpf und das Loch war doch so klein, dass sie nicht einmal selbst, geschweige die Katze hinein konnte. Da sagte diese zur Maus: »Hast du Junge?« »Ei, freilich«, antwortete sie, »hab' ich deren sieben oder acht und es sind recht muntere Dinger.« »Geschwind hol' eines«, sagte die Katze und die Maus lief und kam bald mit einem Jungen zurück. Nun sagte die Katze zu diesem: »Höre, Kleine, sei gescheidt, so rettest du deiner Mutter das Leben. Lauf in das Zimmer hinein in's Bett der Frau und zieh' ihr den Ring ab, den sie am Finger trägt.« Das Mäuslein lief hinein, aber bald kam es zurück und sagte: »Sie hat den Ring nicht am Finger.« »So hat sie ihn im Munde«, sagte die Katze; »darum geh wieder hinein und schlag' ihr mit dem Schweife auf die Nase, dann wird sie den Mund öffnen und der Ring fällt heraus, den nimm und bring ihn schnell heraus.« Das Mäuschen gehorchte und es geschah richtig Alles so, wie es die Katze gesagt hatte; bald war es mit dem Ringe da. Die Katze nahm ihn[127] und sprang in grossen Sätzen über die Stiege hinab. »Hast du den Ring?« fragte der Hund. »Ei freilich hab' ich ihn«, sagte die Katze und sie sprangen beim Thore hinaus und liefen weiter; insgeheim aber ärgerte sich der Hund, dass nicht er der Glücklichere sei. Sie kamen zum Flusse; da sagte der Hund: »Gib mir den Ring, so trag' ich dich hinüber.« Die Katze aber wollte nicht und während sie so stritten, entfiel der Katze der Ring und sank in's Wasser; da war schon ein Fisch, der darnach schnappte, allein eben so schnell schnappte der Hund nach dem Fische und so kam er zum Ringe. Nun trug er die Katze hinüber, aber sie stritten doch wieder, bis sie zu ihrem Herrn kamen. »Habt ihr den Ring?« fragte dieser hastig und der Hund legte denselben vor ihm nieder mit den Worten: »Da bring' ich ihn.« Und die Katze fiel schnell ein: »Nein, ich habe den Ring geholt und der Hund hat ihn mir gestohlen.« Da sagte der Jüngling: »Meine Lieben, streitet nicht lange, ihr seid mir beide gleich lieb und theuer.« Und er streichelte mit der einen Hand den Hund und mit der andern die Katze; da freuten sich die beiden Thiere und waren wieder gute Freunde.

Der Jüngling ging mit ihnen in den Palast; dort drehte er den Ring am Finger und sprach: »Ich befehle dir, dass mein Palast dort unten stehe, wo meine treulose Frau ist und dass sie und ihr Palast hier oben seien, wo ich jezt bin.« In wenigen Augenblicken war es geschehen, sein Palast stand unten in der schönen Ebene, der ihrige aber oben auf dem hohen steilen Felsen und sie war selbst auch darin.

Nun liess er auch seine Mutter kommen und bereitete ihr seinem Versprechen gemäss ein glückliches Alter; auch gegen die zwei Thiere blieb er dankbar und hielt sie gut. Den Ring aber benüzte er nur selten mehr, denn er dachte mit Recht: »Es ist nicht gut, dass der Mensch alles habe, was er sich wünschen mag.«

Ja, was ist aber aus seiner Frau geworden? Die ist auf dem Berge oben verhungert. Das war hart und grausam, aber sie hatte es nicht besser verdient. –

Quelle:
Schneller, Christian: Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck: Wagner 1867, S. 124-128.
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