46. Witzige Antworten.
(Risposte ingegnose.)

[129] Ein armer Mann war einem reichen Herrn eine Summe Geldes schuldig und wurde von demselben oft an das Zahlen gemahnt. Eines Tages ging der Herr wieder in das Haus seines Schuldners, fand aber nur dessen Sohn, einen Knaben, welcher neben dem Feuer auf dem Herde sass. »Was thust du da?« fragte ihn der Herr. »Ich schaue, wie sie kommen und gehen«, erwiederte der Knabe. »Kommen denn so viele Leute zu dir?« fragte der Herr. »Kein Mensch!« antwortete der Knabe. »Hm, wo ist denn dein Vater?« sagte der Herr. »Er ist gegangen, um ein Loch mit einem Loche zu stopfen.« »Hm, was thut denn deine Mutter?« »Sie backt schon gegessenes Brot.« »Hm, hm, und was macht deine Schwester?« »Sie beweint die Freuden des vergangenen Jahres.«[129]

»Du sprichst wie ein Narr oder wie ein Weiser«, sagte der Herr, »möchtest du's mir nicht erklären?« »Ei wohl, aber Ihr müsst meinem Vater die Schuld schenken«, erwiederte der Knabe. »Das will ich thun, wenn mich deine Antwort befriedigt«, versezte der Herr.

Nun erklärte der Knabe: »Ich siede hier Bohnen, die steigen immer auf und nieder, also schaue ich, wie sie kommen und gehen. Mein Vater ist gegangen, die Summe, die er Euch schuldet, von einem andern zu leihen, um sie Euch zu zahlen: also macht er ein Loch, um ein Loch zu stopfen. Das Brot welches wir in den letzten vierzehn Tagen gegessen haben, war vom Nachbar entlehnt, nun backt die Mutter Brot, um es ihm zurück zu geben: folglich backt sie schon gegessenes Brot. Meine Schwester endlich hat im vorigen Jahre Hochzeit voll Lust und Freuden gehalten, aber ihr Mann ist böse, schlägt sie und macht sie oft weinen. Da beweint sie denn nun die Freuden des vergangenen Jahres und wünscht, sie hätte nie Hochzeit gehalten.«

Da sprach der Herr: »Du bist ein gescheidter Knabe und deine Antwort hat mich befriedigt, deinem Vater ist die Schuld geschenkt.«

Quelle:
Schneller, Christian: Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck: Wagner 1867, S. 129-130.
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