8. Die zwei Schwestern.
(Le due sorelle.)

[10] Es war einmal eine Mutter, die hatte eine Stieftochter und eine rechte Tochter. Die erstere war hässlich, aber fromm und seelengut, auch war sie demüthig und gehorsam und hatte ein edles Herz. Die rechte Tochter dagegen war wohl schön, aber sie war stolz und hochmüthig und hatte ein böses Herz. Die Mutter verfolgte die Stieftochter, wo sie konnte, während sie die andere begünstigte. Sie schickte die Stieftochter immer mit den Kühen auf die Weide und gab ihr viel Arbeit, aber wenig zu essen.[11]

Einmal war das Mädchen wieder mit den Kühen auf der Weide. Da sass eine Alte am Wege und sagte: »Liebes Mädchen, mir krabbelt es so auf dem Kopfe, komm doch und sieh nach, was es sei.« »Ich möchte wol gern«, sagte das Mädchen, »aber ich habe so viel zu spinnen und wenn ich damit nicht fertig werde, schilt mich die Mutter aus.« »Wol«, sagte die Alte, »stecke den Rocken auf die Hörner jener Kuh und dann komm.« Das Mädchen that es und der Faden spann sich von selbst weiter; dann kam sie zur Alten und that ihr den Willen. »Was hab' ich auf meinem Kopfe?« fragte dieselbe. »Gold und Silber!« sagte das Mädchen. »Wolan«, rief die Alte, »Gold und Silber soll dein Theil sein.«

Als das Mädchen abends nach Hause kam, war es schön geworden und in seinen Haaren schimmerten und glänzten eine Menge von kleinen goldenen und silbernen Sternen. Das andere Mädchen aber wurde neidisch und am nächsten Tage trieb sie die Kühe auf die Weide. Da sass wieder jene Alte am Wege und sagte: »Liebes Kind, mir krabbelt es so auf dem Kopfe, komm doch und sieh nach, was es sei.« Das Mädchen ging und that ihr den Willen. »Was hab' ich auf dem Kopfe?« fragte die Alte. »Läuse und Nisse!« sagte das Mädchen. »Wolan«, erwiederte die Alte, »Läuse und Nisse sollen dein Theil sein!«

Als das Mädchen nach Hause kam, war sie hässlich geworden. Auf dem Kopfe aber wuchsen ihr die Haare wie ein Kuhschwanz und sie war immerfort voll Unsauberkeit.

So wurde die Demut belohnt und der Hochmut bestraft.

Quelle:
Schneller, Christian: Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck: Wagner 1867, S. 10-12.
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