16. Eine Märtyrerin.

[75] In der Stadt Tetjew lebte einmal ein sehr geachteter Mann namens Reb Schabsaj. Und er hatte keine Kinder. Er gehörte zu den Nächsten des heiligen Israel Baal-Schem, und es versteht sich, daß er bei jedem seiner Besuche den Baal-Schem bat, er möchte ihm vom Himmel Kinder erflehen. Baal-Schem wies ihn jedesmal zurück und sagte ihm, er solle nicht um Kinder bitten. »Wenn ich wüßte,« sagte er, »daß du dessen würdig bist, so hätte ich dich auch selbst gesegnet.« Der Mann ließ aber nicht ab, und Baal-Schem hatte Mitleid mit ihm und versprach ihm, daß er ein Kind haben werde. Und so geschah es.

Sein Weib gebar bald darauf eine sehr schöne Tochter, und Reb Schabsaj freute sich darüber sehr. Doch das Kind erkrankte plötzlich sehr schwer und lag im Sterben. Reb Schabsaj bat Baal-Schem, er möchte sich bemühen und zu ihm ins Haus kommen. Der Heilige erfüllte die Bitte, und Reb Schabsaj wies ihm in seinem Hause ein eigenes Zimmer an, so wie es sich gehört. Doch im gleichen Augenblick, als Baal-Schem ankam, starb das Mädchen. Man legte die Leiche, wie es Sitte ist, auf den Boden, und alle weinten sehr. Nun trat Baal-Schem mit einem seiner Begleiter in das Zimmer, wo die Tote lag, und stand einige Augenblicke unbeweglich, sich auf seinen Stock stützend, da. Und alle Leute sahen, wie das Gesicht des verstorbenen Kindes sich veränderte. Und das Kind wurde lebendig und stand vom Boden auf.[76]

Alle, die diese Auferweckung der Toten sahen, waren sehr verwundert, und einige Leute gingen zu Baal-Schem und fragten ihn, warum er das getan habe: das sei doch gegen den Willen des Herrn. Doch der heilige Rabbi antwortete: »Wer für würdig befunden wird, noch einige Jahre zu leben, der wird sehen, daß ich das für den Herrn selbst getan habe, auf daß sein Name geheiliget werde.«

Im Jahre, in dem Baal-Schem starb, heiratete das Mädchen einen Mann; sie gebar jedes Jahr einen Sohn und hatte im ganzen sieben Söhne.

Sieben Jahre nach dem Tode Baal-Schems, im Jahre, als die junge Frau ihren siebenten Sohn gebar, kamen in die Gegend die Kosakenhorden des Gonta, verflucht sei sein Name! Die Mörder vergossen viel jüdisches Blut und zogen brennend, raubend und mordend durchs Land. Gonta kam auch in die Stadt. Tetjew; er tötete alle angesehenen Leute, raubte ihr Vermögen und erschlug dann auch alle übrigen Juden. Auch Reb Schabsaj wurde damals erschlagen, ebenso wie seine Frau und sein Schwiegersohn.

Die Tochter des Reb Schabsaj war aber eine schöne Frau. Sie gefiel dem Mörder Gonta, und er sagte ihr: »Du siehst doch, daß ich Kaiser bin. Wenn du dich taufen läßt, nehme ich dich zum Weibe, und du wirst Kaiserin.« Und Reb Schabsajs Tochter antwortete ihm: »Ich will gerne deinen Wunsch erfüllen, doch was soll mit meinen sieben Söhnen geschehen? Laß meine sieben Söhne erschlagen, dann werde ich allein zurückbleiben und dein Weib werden.«[77]

Diese Worte gefielen dem Mörder, und er ließ ihre sieben Söhne erschlagen. Als die Frau sah, daß ihre sieben Söhne erschlagen waren, öffnete sie ihren Mund in Weisheit und sprach zum Mörder: »Glaubst du wirklich, daß ich von meinem Glauben, vom Glauben an den ewigen Gott ablasse und dich heirate? Nein, nein, nein! Für nichts in der Welt werde ich den Glauben an den lebendigen und wahren Gott vertauschen. Ich bin bereit, mein Leben zur Heiligung seines Namens zu lassen. Meine sieben Söhne ließ ich vorher ermorden, damit du sie nicht zwingst, deinen Glauben anzunehmen. Jetzt, da ich allein übriggeblieben bin, kannst du mit mir tun, was du willst, doch von meinem Glauben lasse ich nicht!«

Der Mörder erschlug sie, und mit ihrem Tode heiligte sie den Namen des Ewigen. Nun verstand jeder, daß Baal-Schem dies in seinem heiligen Geiste vorausgesehen hatte und sie dazu vom Tode auferweckt hatte, damit sie später durch ihren Tod den Namen des Ewigen heilige.

Reb Schabsaj, seine Frau, sein Schwiegersohn und seine Tochter mit ihren sieben Söhnen wurden in seinem Hause begraben. Ihre Verdienste mögen uns beistehen für alle Ewigkeit. Amen.

Quelle:
Eliasberg, Alexander: Sagen polnischer Juden. München: Georg Müller, 1916, S. 75-78.
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