29. Brot für Seelenheil.

[141] Als der heilige Rabbi Menachem-Mendel von Romanow in seiner Jugend in der Stadt Pristik lebte, litt er mit seiner jungen Frau große Not. Und sooft der Rabbi fastete, fastete auch die Frau mit. Der Rabbi saß den ganzen Tag im Bethause und studierte, und die Frau spann und ernährte mit dem Verdienst sich und die Ihrigen. Einmal traf es sich, daß sie drei Tage nacheinander nichts verdient hatte; sie hatte nicht einmal ein Stück trockenes Brot, und beide fasteten.

Und die Frau sagte sich: »Wenn das so weiter geht, können wir beide Hungers sterben. Ich will versuchen, zum Bäcker zu gehen und ihn zu bitten, mir ein Stück Brot zu borgen. Ich will es dann meinem Manne bringen, der im Bethause studiert und schon seit drei Tagen nichts gegessen hat.« Wie sie aber zum Bäcker kam und ihm ihre Bitte vorbrachte, wollte er ihr nichts borgen, weil sie ihm noch von früher her Bezahlung schuldete. Sie ging aus dem Bäckerladen, und Tränen rollten ihr die Wangen herab.

Als der Bäcker sah, daß die Frau von ihm wegging, überlegte er sich die Sache, rief sie zurück und sagte ihr: »Wenn du mir deinen Anteil am ewigen Leben abtrittst, gebe ich dir das Brot.« Die Frau dachte nach, was zu tun sei. Schließlich sagte sie sich: »Ich will nicht meinen Mann Hungers sterben lassen. Komme, was kommen mag!« Dann wandte sie sich an den Bäcker und sagte ihm: »Gib mir Brot und Käse, und ich trete dir dafür meinen Anteil am ewigen Leben ab.«[142] Der Bäcker gab ihr, was sie verlangte, und sie ging damit ins Bethaus.

Sie legte das Brot und den Käse auf den Tisch, vor dem ihr Mann saß, und blieb selbst bei der Türe stehen. Der Mann wusch sich die Hände, sprach das Gebet und aß. Dann fragte er sie: »Warum stehst du noch da?« Denn sie pflegte sonst, wenn sie ihm Essen brachte, gleich wieder wegzugehen. Die Frau begann zu weinen und sagte: »Mein teurer Mann! Du weißt doch, wie müde und elend ich bin. Meine einzige Hoffnung war das ewige Leben im Jenseits. Und nun habe ich meinen Anteil am ewigen Leben verkauft.« Und sie erzählte dem Manne die ganze Begebenheit. Und er tröstete sie und sagte:

»Weine nicht! Denn einen Augenblick, bevor du hergekommen bist, wurde ich von heftigen Hungerkrämpfen befallen, und hättest du mir das Brot nicht gebracht, so wäre ich gestorben. Du hast dir also einen neuen Anteil am ewigen Leben erworben, indem du das Brot kauftest und mir damit das Leben rettetest. Denn wer einen Juden vom Tode rettet, ist gleich einem, der eine ganze Welt rettet. Was hast du nun zu trauern und den verkauften Anteil am ewigen Leben zu beweinen?«

Quelle:
Eliasberg, Alexander: Sagen polnischer Juden. München: Georg Müller, 1916, S. 141-143.
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