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[162] Unter den Anhängern des heiligen Rabbi Arje-Lejb von Schpola, der gewöhnlich der Schpoler Sejde (Großvater) genannt wird, war ein Chossid, der keine Kinder hatte. Der Mann verfolgte den Rabbi immerwährend mit seinen Bitten, daß er ihm vom Himmel Kinder erflehe. Doch der Schpoler Sejde wies ihn immer zurück. Der Chossid kam einmal wieder nach Schpola und nahm sich vor, den Rabbi nicht eher in Ruhe zu lassen, als bis ihm dieser die Erfüllung seines Wunsches versprechen würde. Als er zum Rabbi kam, war dieser gerade in seine göttlichen Gedanken vertieft. Der Chossid bat ihn: »Rabbi, helft mir, daß ich ein Kind bekomme!« Und der Rabbi antwortete: »Laß ab von mir, denn ich bin jetzt mit einem großen Werk beschäftigt, das das ganze Volk Israel betrifft. Und für dich habe ich keine Zeit.« Als der Chossid das hörte, sagte er sich: »Wenn der Rabbi das ganze Volk Israel in Sinnen hat, so muß jetzt wohl die Stunde der göttlichen Gnade sein. Darum will ich von ihm nicht ablassen, bis er mir verspricht, zum Herrn zu beten, daß ich ein Kind habe.« Er bedrängte also den Rabbi noch mehr mit seinen Bitten. Der Rabbi sagte ihm noch einmal: »Ich bitte dich, laß ab von mir! Es wird sonst ein schlechtes Ende nehmen!« Doch der Chossid ließ nicht ab und fuhr in seinen Bitten fort, so daß der Rabbi zornig wurde.
Und als der Rabbi es nicht länger aushalten konnte, sagte er zum Chossid: »Ich schwöre dir, daß du dein[163] Leben lang keine Kinder haben wirst, weil du mich so geärgert hast.« Der Chossid sah, daß seine Sache beim Rabbi verloren war, und fuhr heim mit zerbrochenem Herzen. Denn er wußte, daß die Worte des heiligen Schpoler Sejde im Himmel erhört werden. Und er gab jede Hoffnung auf, je ein Kind zu bekommen.
Einmal fuhr dieser Chossid zu einem Jahrmarkt nach Korez. Und nach dem Markt ging er ins Bethaus, wo der heilige Rabbi Pinchos von Korez zu studieren pflegte. Rabbi Pinchos war um jene Zeit noch unbekannt. Der Chossid war aber ein kluger Mann: als er sah, wie Rabbi Pinchos studierte, begriff er sofort, daß er einen großen und heiligen Zaddik vor sich hatte. Er fragte nach, wer der Mann sei, und man sagte ihm, er sei ein Bettler. Es war gerade vor dem Pessachfeste, und Rabbi Pinchos hatte nichts, um das Fest begehen zu können. Doch er sorgte nicht darum, sondern seufzte nur, weil er schließlich doch vom Studium hätte lassen müssen, um für das Fest zu sorgen. Als der Chossid den Rabbi seufzen hörte, sagte er sich, daß es nun Zeit sei, ein gutes Werk zu tun. Er ging also in die Wohnung des Rabbi Pinchos und fragte dessen Frau, ob sie schon etwas fürs Fest vorbereitet habe. Und sie antwortete ihm, sie hätte nichts. Der Chossid sagte darauf: »Ich möchte gerne das Fest mit Eurem Mann verbringen, und darum bitte ich Euch, auf meine Kosten alles, was man für das Fest braucht, anzuschaffen.« Und sie kauften Mazzes, Wein, Fleisch, Geflügel, auch einen Tisch und Stühle, und er bat die Frau, daß sie ihrem Mann nichts davon sage. Und[164] man bereitete alles vor, und der Chossid kam jeden Tag, nachzusehen, ob alles schön gerichtet sei. Auch kaufte er große Lichter, damit bei der Pessachtafel alles vornehm sei wie bei reichen Leuten und der Rabbi ein frohes Fest habe.
Der heilige Rabbi Pinchos wunderte sich sehr, daß seine Frau ihn in Ruhe ließ und von ihm nichts für das Fest verlangte. Doch er fragte nicht und tat so, als ob er sich um das Fest gar nicht kümmerte. Denn er fürchtete, deswegen von seinem göttlichen Studium ablassen zu müssen, und das wäre für ihn ein großer Kummer. Am Vorabend des Festes ging der Rabbi ins Bad und setzte sich dann wieder über seine Bücher bis zum Abendgebet. Der Chossid schaffte indessen Wein an und schöne Kleider für die ganze Familie und ein Festgewand für den Rabbi selbst. Und als der Rabbi zum Abendgebet ging, ging der Chossid nicht zum Beten, sondern machte die letzten Vorbereitungen und zündete viele Lichter an, so daß es sehr schön war.
Als der Rabbi aus dem Bethause nach Hause kam und den schöngedeckten Tisch und die vielen Lichter sah, wurde er sehr lustig und fragte, woher das alles käme. Und seine Frau antwortete ihm: »Das hat alles unser teurer Gast vorbereitet.« Rabbi Pinchos begrüßte den Gast, fragte ihn aber nach nichts, um seine Gedanken nicht von der heiligen Pessachtafel abzulenken. Auch der Chossid sagte nichts und hatte große Freude an der Festtafel. Erst nach dem zweiten Becher Wein fragte Rabbi Pinchos den Gast, ob er nicht irgendeinen Wunsch habe; er könne ihm die Erfüllung eines jeden[165] Wunsches erwirken, weil er ihm solche Freude bereitet hätte. Der Chossid erzählte dem Zaddik alles, was er mit dem Schpoler Sejde erlebt hatte, und sagte: »Jetzt bitte ich Euch, heiliger Rabbi, zu erwirken, daß der Schwur des Schpoler Sejde zurückgenommen wird.« Und der heilige Zaddik Pinchos antwortete ihm: »Ich nehme alle meine guten Werke und Verdienste zusammen, und ich schwöre Euch, daß Euer Weib noch in diesem Jahre ein Kind gebären wird!« Und so war es auch, und der Chossid bekam im selbigen Jahre ein Kind.
Diese Geschichte erzählte der heilige Rabbi von Sadagora, und er fügte ihr noch hinzu: Als der heilige Rabbi Pinchos geschworen hatte, daß der Chossid ein Kind bekommt, ging ein großes Rauschen durch alle Himmel: der heilige Schpoler Sejde hatte ja geschworen, daß der Mann niemals ein Kind bekommt, und der heilige Rabbi Pinchos hatte das Gegenteil geschworen, nämlich daß er doch ein Kind bekommt. Was war da zu tun? Die Sache kam vor den himmlischen Gerichtshof, und es wurde beschlossen: wer von den beiden Heiligen noch niemals geschworen hat, dessen Schwur soll in Erfüllung gehen. Man forschte in den Büchern nach, in denen alle Taten der beiden heiligen Zaddikim verzeichnet waren, und fand, daß der heilige Rabbi Pinchos noch nie geschworen hatte. Darum ging sein Schwur, daß der Chossid ein Kind bekommen soll, in Erfüllung. Die Verdienste des heiligen Zaddiks mögen uns beistehen. Amen.