Einleitung.

Die Zahl der märchenhaften Erzählungen ist auf Mallorca eine ungeheuere und ein grosses Feld für die Folkloristen steht noch offen, bevor der nivellirende Wind moderner Kultur das alles weggefegt haben wird.

Möge der Leser aus diesen wenigen sich eine Vorstellung machen, die ich aus einer grossen Menge auswählte, die ich in allen Ortschaften der Insel nach meinen Angaben von Dn. Antonio Peña, dem intelligenten Sohn des hervorragenden mallorquinischen[7] Schriftstellers Dn. Pedro de Alcantara Peña sammeln liess. Ich liess dieselben wörtlich nachschreiben, wie sie aus dem Volksmund kamen, um ihnen ihre kindliche Naivetät zu belassen, ohne dabei etwas zu ändern. Auf dieselbe Weise liess ich sie in der gesprochenen Sprache niederschreiben, ohne dieselben in einer korrekteren, reineren, der gemeinsamen Sprache Aragons sich nähernden zu übertragen, wie die grössere Mehrzahl mallorquinischer Schriftsteller bei eigentlich literarischen Arbeiten wohl mit Recht zu thun pflegen; es schien mir nämlich für diesen speziellen Fall entsprechender zu sein, die Richtung jener Mallorquinischen Schule anzunehmen, welche das Mallorquinische schreibt, wie es gesprochen wird.[8]

Man kann eigentlich drei verschiedene Gruppen aus den Rondayes Mallorcas machen, die eigentlichen Märchen (Rondayes), phantastisch, häufig lang und komplizirt, die Erzählungen oder Cuentos, zumeist kürzer und theilweise auf Wahrheit beruhend und die Fets oder wahre Geschichtchen, die manchmal wenn sehr kurz mit dem einfachen Namen von Cuatre Mots oder vier Worte bezeichnet werden.

Die Kultur und die Traditionen Mallorcas datiren erst aus der christlichen Eroberung. Bis auf einige arabische Worte in der Sprache und einzelne arabische Sitten ist alles aus der alten Maurenzeit verschwunden. Unter den letzteren ist namentlich das Verehren eines heiligen Ortes durch das Hinwerfen[9] eines Steines (insbesondere bei der alten Kapelle von Sn. Salvador bei Felanitx üblich) charakteristisch; es ist noch die Sitte der Wüste, damit der Sand die verehrte Stelle nicht so leicht verwehe. Das arabische Hamse prangt noch, wiewohl von den Leuten unbewusst, auf manches alte Eingangsthor und die Sitte, durch Hohlziegelstücke das Steingemäuer zu unterbrechen, die sich auf Mallorca bis zum 15. Jahrhundert erhielt, weist noch auf die Sitte der maurischen Maurer, die in den ersten Anfängen Beschäftigung fanden. Die arabische Bewässerung mit ihren sorgfältigen Leitungen und Norias, der alterthümliche Pflug, aber noch am allermeisten die Melodien zum Dreschen und zur Verrichtung anderer Feldarbeiten tragen den arabischen[10] Stempel. Sonst aber wurde alles weggefegt; ein anderer Glaube, eine andere Sprache, ein anderes Volk überhaupt setzte sich an die Stelle der Moslims und mithin bildet der Tag der Eroberung am Schlusse der arabischen Periode eine Scheidewand in der Geschichte und den Traditionen Mallorcas. Die arabischen Märchen wanderten mit ihren Erzählern nach Afrika und haben lediglich einem einsamen Berg oder einer Ortschaft ihren Namen zurückgelassen, während die vielen Beziehungen mit Catalonien und Roussillon spanischen und französischen Einfluss zur Geltung brachten. Es waren ja die Kinder von Aragon dieselben Adeligen, welche auf ihren Schlössern in Catalonien die Troubayres von der Provence empfingen,[11] welche die Herren von Mallorca waren, und wenn aragonesische Königinnen in Bellver die Blüthe der Dichter von Catalonien, Roussillon und anderen benachbarten Länder, versammelten, um mit jenen der Balearen zu wetteifern, welche in jenem historischen Hause um die Gunst der schönsten Damen jenes literarischen Hofes buhlten, so machte sich von Tag zu Tag der Languedoquische Einfluss immer mehr geltend.

Es ist daher nicht zu wundern, wenn die meisten Märchen phantastische Königsgeschichten zum Gegenstande haben und da mag man wohl nicht fehlschlagen, selbe als zumeist eingeführten Urspung anzusehen, aber an lokale Verhältnisse angemodelt haben sie gewissermassen[12] einen hiesigen Charakter angenommen. Ein Beispiel derselben gibt uns Sa Rondaya des Boch, vielleicht eine der Charakteristischsten dieser Sorte. Einzelne wie die Blanca y la Bella, L'amor de ses tres taronjes und andere mehr hat Mallorca mit Italien und Frankreich gemein, und sicher würden viele derselben dem Sammler ein reiches Feld des Vergleiches darbieten.

Ja auch, wenn Mallorca als Station oder besser gesagt, als Haltestelle zwischen dem spanischen Continent, Sardinien und Spanisch-Italien grosses Geld und Macht erwarb, waren wohl häufig italienische Märchen, die herüber segelten, sowie die Cadiras de Napols, die sculptirten Möbel aus Florenz und manch andere italienische Sitten.

Manche Rondayes sind für kleine[13] Kinder, und wenn diese eine um jeden Preis verlangen, pflegt man ihnen zu sagen, El Rey que parava faves oder die Rondaya des Cabrit; zu ihrer Unterhaltung sind jene des Fraret und der Rateta bestimmt. Manche sprechen von Riesen, andere von den Dimonis boyets und Donetas d'aygo phantastischen Schöpfungen mittelalterlicher Einbildungskraft, von denen wohl noch manches erzählt wird, ohne dass jedoch das Volk darin einen Glauben schenke, sondern es wiederholt, und die Sage lebt fort, an jenem Lokal angeklebt. So erzählt man von Wänden, die sie aufbauten, von Quellen, die sie entspringen liessen oder versiegten. Weniger häufig sind jene bezüglich der Donetas d'aygo, eine Art Erinnerung an antike Najaden.[14]

In diesem Lande voll Glauben herrscht wenig Aberglauben, vielleicht am wenigsten von allen Gegenden des Mittelmeeres; mithin entfallen fast gänzlich die Geschichten von Geistern und von Hexen Erdichtungen. Von letzteren fand ich nur eine Sage in Lluchmayor, in welcher man sagte, dass sie auf dem Puig de Ses Bruixes (vorher de Terrutjelles) wohnten, von welchem sie aber König Jaime durch das Aufpflanzen eines Kreuzes vertrieb. Die Geistererscheinungen werden durch die Erzählungen selbst ins Lächerliche gesetzt, wie die gegebenen Beispiele es beweisen, namentlich die des Brau de sa Bufera.

Die Geschichte vergrabener Schätze ist auf Mallorca sehr allgemein, und das Bestreben, dieselben aufzufinden,[15] war bei der herrschenden Sparsamkeit eine sehr grosse und zu wiederholten Malen hat man sie an manchen Stellen gesucht. Aber die Entdeckung der meisten hängt mit einer Zauberei zusammen und auf derselben dreht sich die Sage.

Viele dagegen sind Maurenerinnerungen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, welche einen grossen Theil der Volkserzählungen bilden. Es sind wohl zumeist wahre Begebenheiten, welche die grosse Geschichte vergass, deren Andenken sich aber vom Vater zum Sohne im Volke erhielt. Bald ist es die Erzählung ihrer Angriffe, bald jene von mallorquinischen Gefangenen, welche den Gegenstand dieser Fets bilden. Es war eine harte Zeit, diese der maurischen Streifzüge.[16] Die Mauren, durch die Niederlage der kaiserlichen Flotte in den Gewässern von Djerbe, nach welcher sie mit spanischen Schädeln einen grossen Thurm bei Zug errichtet hatten, erkühnt, belästigten mit ihren Ueberfällen die spanischen Küsten und namentlich jene der benachbarten Balearen, speziell Mallorca. Wacht-Thürme wurden der ganzen Küste entlang gebaut und die einzelnen Thurmwächter gaben mit Signale von Rauch bei Tag und Feuer bei Nacht einer dem anderen das Alarmzeichen der zuletzt auf die Torre del Angel des Palacio del Almudaina in Palma sein letztes Echo fand, von wo die thunliche Hülfe ausgesandt wurde. Jede einzelnstehende Besitzung baute auch seinen eigenen Thurm und[17] manche bewahren noch ihre Vertheidigungsmittel: runde Steinkugeln, die man durch die Wurflücken (Matacans) herabwarf, und kleine Geschütze, sowie starke feste Thüren aus immergrünen Eichenholz, um den thunlichst engen und niederen Thüreneingang zu versperren. Man trug auch Sorge, die einzelnen Besitzhäuser thunlichst nahe an einander zu bauen, am Saume der gegenseitigen Grenzen statt im Centrum des Gutes, um sich gegenseitig leichter zu vertheidigen und zu helfen. Die Kirchen verwandelten sich in Festungen wie jene von Soller, mit ihrer festen Umzüngelungsmauer, mit Brustwehr und Schiessscharten und ihrer stark gebauten Sakristei, eine Art Kasematte, die als Zufluchtsstätte für das Allerheiligste und die Wehrlosen dienen[18] sollte: alte Leute, schwangere Frauen und Kinder, denn junge kräftige Frauen halfen ihrem Manne in der Vertheidigung mit doppeltem Muthe. In. Deyá wachten zwei Männer auf der Terrasse des Thurmes während des Gottesdienstes, um das Alarmzeichen zu geben: Moros en Terra, bei welchem alle zu den Waffen griffen. Und so baute man die Häuser thunlichst vom Meere versteckt, bald in der Tiefe eines Thales, bald durch einen Felsen verborgen, um nicht die Habsucht der Mauren zu erwecken. Die Ortschaften waren auch deswegen alle im Inlande gebaut, so dass, wenn man noch heutzutage um das dicht bevölkerte Mallorca segelt, man um eine unbewohnte Insel zu fahren wähnt. Und wie die Erinnerung an alles Schreckliche[19] sich länger im Volke erhält und leichter einprägt, so lebt das Andenken an jene Schreckenszeit, welche die windstillen Tage als jene von leichtester Landung am meisten fürchtete, noch fort in dem Volke, und mit den Worten Venen Moros erschrecken noch die Mütter die unfolgsamen kleinen Kinder und in Sollers Hafen wird noch jährlich das Scheingefecht der Landung der Mauren und der heldenmüthigen Vertheidigung durch die dortigen Bewohner unter der Führung des Kapitäns Angelat gefeiert, an welchem die ganze Bevölkerung den lebhaftesten Antheil nimmt, so wach lebt noch die Erinnerung im Volke.

Es ist insbesondere in den langen Winterabenden am Kaminherde in den[20] einsam stehenden Besitzungen am Lande, namentlich des Gebirges, dass man die Rondaeys anhören kann. Die Feldknechte (Missatjes) kehren von der Arbeit zurück an einem kalten Wintertag; zuerst werden die Pfluggespanne gepflegt und gefüttert und alle erscheinen dann in der grossen langen Küche; es heisst Saubohnen für den nächsten Tag einzuschneiden (sayar favas), aber die Arbeit für den Körper soll auch für die Seelen dienen, der Pächter (Amo) oder der erste Feldknecht (Missatje mayor) bedienen (serven) den Rosenkranz; sie gehen gemessenen Schrittes durch die Küche und beten vor, inzwischen bemühen sich die Knechte, mit der Saubohnenarbeit gleich fertig zu werden, ein jeder will mehr als nur möglich machen,[21] um zur rechten Zeit bereit zu sein. Die Escudella, ein Gericht aus Saubohnen, die karge Mahlzeit dortiger Landbewohner, wird von der Madona servirt und nach dem Essen gehen alle an den breiten gemeinsamen Feuerherd sich wärmen. Schaffelle sind auf die an den Seiten gelegenen Mauerbänke ausgebreitet und in der Mitte lodert ein dicker Stamm, am Ende halb verkohlt, der jeden Tag weiter geschoben wird, um das Feuer zu erhalten. Die Schäferhunde (Caus de bestiá) legen sich dem Feuer so nahe, dass fast ihr struppiges rauhes Haar davon brennt. Der Nordost tobt draussen grimmig und durch die Spalten der Fensterpfosten sickert dann und wann ein kalter Sprühregen. Das kalte Schlafzimmer verlockt nicht die Missatjes,[22] die Flamme brennt munter, stachelige Cytisen werden hineingeworfen, die besonders hell auflodern: da ist die Zeit, wo die Rondayes am meisten zur Geltung kommen. Kein Laut, nirgends hin, ausser das Heulen des Windes und der alte Hirt, oder ein ergrauter Missatje erzählt die Rondayes von vergangenen Zeiten, welchen die jungen Leute mit offenem Munde gespannt zuhorchen, und auch die Madona, die mit dem grossen Cuerot die Escudella im Feuer rührt, hält inne, durch den Zauber derselben angezogen, und so geht es lange hin, bis das Feuer sich allmählich auslöscht und zur Ruhe gebietet. Häufig habe ich mir gedacht, ob diese Neigung zu den Erzählungen nicht eine unbewusste Erbschaft der Araber sei,[23] die auch ihren Märchenerzählern stundenlang zuhören können.

Die festlichen Tage der Matanzas (Schweine schlachten), die Alt und Jung in fröhlichen Festen vereinigen und in denen man lange aufbleibt, um das Zubereiten der verschiedenen Selchwaaren zu überwachen, geben auch viel Anlass zum Erzählen der Rondayes, in welchen ein jeder wetteifert. Aber auch selbst der einsame Kohlenbrenner (Ranchero) hat die seinigen in der Ruhe der immergrünen Eichenwälder, wie er die lodernde Sitja bewacht, und die junge Frau, die im Schatten der Orangenbäume, im betäubenden Duft ihrer Blüthen, ihre Kinder damit unterhält.[24]

Quelle:
Erzherzog Ludwig Salvator: Märchen aus Mallorca. Würzburg, Leipzig: Verlag der Kaiserlichen und Königlichen Hofbuchhandlung von Leo Woerl, 1896, S. VII7-XXV25.
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