Das Kastell am Ynys Geinon Rock.

[54] Es ist ein wunderliches Bauwerk, jenes alte Kastell auf der Spitze des Ynys Geinon Rock. Es gab eine Zeit, wo die Leute Furcht empfanden, sich in seine Nähe zu begeben, besonders bei Nacht. Denn es lag die Gefahr nahe, daß man dort von den Bendith y Mamau angegriffen wurde.

Man erzählte sich, daß ihrer eine große Menge dort hausten .... Auch behaupteten die alten Leute, daß irgendwo inmitten des Kastells ein Abgrund sich befände, wohl über ein Yard im Durchmaß, mit einem Stein von drei Tonnen Gewicht über der Öffnung, und daß die Bendith von dieser Grube aus einen unterirdischen Gang zur Höhle Tan y Ogof besäßen ....

In dieser Höhle verbrachten sie, wie man sich berichtete, am Tage ihre Zeit, während sie des Nachts ins Kastell emporstiegen, um dort ihre Streiche zu vollführen.

Sie besaßen, so erzählte man, eine goldene Leiter, auf der sie auf und nieder stiegen. Auch hatten sie ihr besonderes Losungswort; und es genügte, daß der Vorderste auf der Leiter allein es aussprach, damit der Stein von selbst sich emporhob; daneben gab es ein anderes Losungswort, das nur der Hinterste der Niedersteigenden zu nennen brauchte, damit der Stein von selbst sich schlösse.

Man erzählt nun, daß ein Knecht aus einem der benachbarten Bauerngehöfte, als er zwischen den Felsen nach Kaninchen jagte, von ungefähr das erstere Losungswort aussprach, gerade als er sich in der Nähe des Steines befand, worauf dieser sich emporhob und er die Leiter[55] hinabstieg. Doch da er des Wortes unkundig war, dessen es bedurfte, um den Stein hinter sich wieder schließen zu lassen, so entdeckten – infolge des Luftzugs, der ihre Lichter verlöschte, – die Kobolde sogleich, daß irgend etwas nicht in Ordnung wäre.

Sie fanden ihn und nahmen ihn mit sich. Er blieb bei ihnen sieben Jahre lang; aber am Ende der sieben Jahre entwischte er, seinen Hut mit Goldstücken angefüllt. Er hatte nämlich während dieser Zeit die beiden Worte kennen gelernt und wußte so manches über die geheimen Verstecke ihrer Schätze.

Er berichtete seine Erlebnisse einem Landmann aus der Nachbarschaft, worauf auch dieser sich hinabbegab. Man erzählt, daß jener dreimal je eine Salzkiste voll Guineas, Halbguineas und Sechspennystücken, an einem einzigen Tage heraufbeförderte. Dadurch war er aber erst recht habgierig geworden, und – wie bei so manchem Habgierigen schon vor ihm – verursachte dieses Laster auch seinen Tod. Als er in der Abenddämmerung zum vierten Male hinab stieg, entdeckten ihn die Kobolde, und er wurde seither nie wieder gesehen.

Man behauptet, daß die vier Teile seines Leichnams in einem Raume unterhalb des Kastells hingen; doch weiß man nicht, wer dort gewesen und sie auch gesehen hat.

Soviel ist gewiß, daß jener Landmann damals verloren gegangen und daß nichts mehr über ihn vernommen wurde; ebenso weiß man, daß seine Familie seit dessen Verschwinden fortan im Wohlstand und in Behaglichkeit weitergelebt.


* * *


Bei Ynys Geinon existierte um jene Zeit in einem kleinen Häuschen eine alte Frau. Diese verstand sich auf die Kunst der Zauberei, wie die Leute von ihr behaupteten. Überdies ging die Kunde, daß sie sieben Tage, sieben Stunden und sieben Minuten ein jegliches Jahr mit den Kobolden verbrachte, und zwar in jener Grube des Kastells. Man glaubte von ihr allgemein, daß sie von den Bendiths[56] eine Menge Gold für jegliches Kind bekam, das sie für sie zu stehlen vermochte und daß sie an dessen Stelle einen jener Kobolde einzuschmuggeln pflegte, welche jedoch niemals wuchsen.

Die Art und Weise, wie sie dies anstellte, war, daß sie die Häuser der Leute betrat unter dem Vorwande, ein Almosen zu erbitten. Dabei trug sie stets einen alten dunkelgrauen Mantel über den Schultern, darunter sie eines von den Kindern der Bendith y Mamau verborgen hielt.

Wenn sie nun das kleine Kind einer braven Hausfrau in der Wiege gewahrte, erbot sie sich, es zu schaukeln. Doch sowie die Mutter nur für einen Augenblick sich entfernte, warf sie den Kobold in die Wiege und lief mit dem Kindlein davon.

Ein Mann in der Gegend besaß ein Kind, das so manche Jahre schon alt war, ohne daß es wachsen wollte, und es war die Meinung aller, daß es von jenem Weibe ausgetauscht worden wäre. Der Vater drohte ihr schließlich, die Hilfe eines weisen Mannes anzurufen, worauf die Alte zu ihm ins Haus kam, sieben Tage hindurch, und dann erklärte, daß man den kleinen Knaben in kaltem Wasser baden müßte.

Am siebenten Tage bat sie um Erlaubnis, ihn bevor es tagte mit sich nehmen zu können, um ihn an einer bestimmten Quelle zu waschen. So behauptete sie es wenigstens – die Nachbarn aber vermeinten, daß es dazu wäre, um den Kobold wieder gegen das geraubte Kind auszutauschen.

Wie immer auch, der zurückgekehrte Knabe wuchs seit jener Zeit wie eine Hopfenpflanze. Seine Mutter hatte allerdings der alten Frau eidlich versprechen müssen, daß sie ihn drei Monate lang an jeglichem Morgen in kaltes Wasser tauchen werde. Nach Verlauf jener Zeit aber, da gab es kein prächtigeres Kind in der ganzen Umgebung des Kastells am Ynys Geinon Rock.[57]

Quelle:
Brusot, M.: Keltische Volkserzählungen. HalleSaale: Otto Hendel, 1908, S. 54-58.
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