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[199] Einmal ging ein König auf die Jagd, um Wild zu schießen. Schon war er mitten im Wald und hatte noch nichts geschossen, als er einen großen Bären erblickte, der aus einer großen hohlen Eiche herauskam. Sogleich legte er seine Flinte an, aber ehe er losdrückte, legte sich der Bär nieder. Der König wunderte sich, was das bedeuten könne, daß der Bär sich hinlegte und nicht auf sich schießen ließ, und ging auf[199] ihn zu, bis er ihm ganz nahe war, der Bär aber rührte sich nicht von der Stelle. Da band ihn der König an und trieb ihn nach Hause. Dort zeigte er ihn gleich allen und ließ verkünden, wer das Wunder von Bären sehen wolle, möge zu ihm kommen. Als nun der König andre Könige, Kaiser und Prinzen erwartete, die kommen würden den Bären anzusehen, ließ er ein großes Gastmahl herrichten. Während sie beim Essen waren, ging der Königssohn Iwan in den Stall den Bären anzusehen, vergaß aber die Stalltür zu schließen, und der Bär ging weg. Nach dem Essen sagte der König, sie möchten jetzt kommen und den Bären ansehen. Alle gingen mit dem König, aber als sie in den Stall kamen, war der Bär nicht da. So stand der König beschämt vor all den Herren, und als sie fort waren, jagte er seinen Sohn aus dem Hause. Iwan war schon einige Tage im Walde herumgeirrt, als er zu einem Schlosse kam, wo ein andrer König wohnte; zu dem ging er und bat um Nachtquartier. Der König antwortete ihm, er könne gern im Stalle auf Stroh schlafen. Als Iwan am andern Morgen aufgestanden war, ging er zu dem König und bat, er möchte ihn in Dienst nehmen. Der sagte: »Ich kann dich nicht in Dienst nehmen, du bist noch zu schwach zum Dienen.« Aber des Königs Tochter bat für ihn, der Vater möge ihn doch in Dienst nehmen, »wenn er nichts anders tun kann, kann er unsere Hasen hüten«. Darauf sagte der König: »Nun, dann magst du deinen Willen haben«, gab ihm fünf Hasen und sprach: »Wenn du von der Weide kommst und es fehlt dir ein Hase, jage ich dich gleich fort.« Der Königssohn ging mit den Hasen auf die Weide, und sowie er in den Wald kam, stoben die Hasen auseinander; und als der Abend kam, ging er die Hasen suchen, fand aber nicht einen einzigen. Da setzte er sich unter einen Baum und weinte. Auf einmal kam aus dem Buam ein Bär heraus und fragte ihn: »Mein Sohn, warum weinst du?« Er antwortete: »Darum, daß ich nicht heimgehen darf, denn alle Hasen sind mir auseinander gelaufen.« Darauf sagte der Bär: »Fürchte nichts«, und fragte weiter: [200] »Bist du hungrig?« Er antwortete: »Ja.« Darauf gab ihm der Bär zu essen und zu trinken, dann gab er ihm noch einen Stock in die Hand und sagte: »Geh zu der Eiche und schlage daran.« Das tat er, und sogleich sprangen mehr als zweihundert Hasen da heraus. Die trieb Iwan nach Hause, und als er schon nahe beim Hause war, rief die Königstochter: »Väterchen, komm und sieh, welche Menge Hasen Iwan heim treibt.« Er aber trieb sie gleich in den Stall, legte seinen Stock hinter die Stalltür und ging schlafen. Auch am anderen Morgen trieb er die Hasen auf die Weide, und so jeden Tag, und immer kam er mit mehr heim. Die Königstochter hatte schon die Jahre zum Heiraten und sagte eines Tages zu Iwan: »Bleib heute zu Hause, daß du meine Bewerber sehen kannst.« Er antwortete: »Ich bleibe gern, wenn nur dein Vater mich zu Hause läßt.« Da ging sie und bat ihren Vater, der wollte aber nicht, und Iwan mußte mit den Hasen auf die Weide. Dort ging er betrübt zu dem Bären. Der fragte ihn wieder: »Mein lieber Sohn, warum bist du betrübt?« Er antwortete: »Wie sollte ich nicht betrübt sein, da ich nicht zu Hause bleiben darf, um die Freier der Herrentochter zu sehen.« Darauf sagte der Bär: »Du brauchst nicht betrübt zu sein«, gab ihm zu essen und zu trinken, und als er satt war, sagte der Bär zu ihm: »Da, nimm den Stock, geh zu der Eiche und schlage mit dem Stock daran; du wirst dann gleich sehen, was herauskommen wird.« Das tat der Königssohn, und sogleich kam eine schöne Offizierskleidung, ein sehr schöner Säbel und ein Pferd heraus, ganz mit Gold und Silber geschmückt. Iwan setzte sich auf und ritt zum Königshof. Dort kämpften schon die anderen Offiziere und Prinzen miteinander. Als nun die Königstochter den Iwan bemerkte, warf sie ihm gleich ihren Ring zu, er fing ihn auf und ritt sogleich weg zu dem Bären. Der fragte ihn: »Hast du den Ring bekommen?« Er antwortete »ja«, und der Bär sagte zu ihm: »Gib ihn her, ich will ihn verwahren.« Darauf gab ihm der Bär zu essen und zu trinken, und als es Abend war, sagte er: »Nimm den Stock und schlag an die [201] Eiche, daß deine Hasen kommen.« Die Hasen trieb er heim, und als er schon nahe beim Hofe war, kam ihm die Königstochter entgegengelaufen und sagte: »Wärst du nur zu Hause geblieben, so hättest du gesehen, wie viele Offiziere und Prinzen hier waren und um meinen Ring kämpften, und einer, der der schönste war und am besten kämpfte, hat ihn bekommen.« Iwan antwortete: »Ich muß mich schon darein finden, daß ich nicht zu Hause bleiben durfte, sie zu sehen.« Da sagte sie zu ihm: »Bleib wenigstens morgen zu Hause, damit du siehst, was für welche morgen kommen.« Er antwortete: »Wie kann ich zu Hause bleiben, wenn dein Vater mich nicht läßt.« Da ging sie wieder zu dem Vater und bat, er möchte ihn zu Hause lassen. Der Vater aber sagte: »Nein, er soll nur auf die Weide gehen, was braucht er zuzusehen?« Iwan ging nun mit den Hasen auf die Weide und sprach zu dem Bären: »Lieber Bär, heute werden wieder die kommen, die gestern da waren.« Der Bär antwortete: »Wenn die kommen, kommst du auch dahin.« Als nun die Zeit zum Kampf um den Kranz kam, gab ihm der Bär einen Stock und sagte: »Da, geh zu der Eiche, schlage daran; du wirst schon sehen, was für dich herauskommt; gib dann gut acht, denn die Offiziere und Prinzen sind dir sehr feindselig.« Der Königssohn zog nun ein noch schöneres Gewand an, setzte sich zu Pferd und ritt zum Königshof. Schon von ferne sah er, daß Wachen vor dem Tore standen, und als er einreiten wollte, ließen sie ihn nicht herein. Da gab er dem Pferde die Sporen, sprang über die Wache weg und kam so auf den Hof. Als ihn die Offiziere gewahr wurden, fingen sie gleich an mit ihm zu kämpfen, aber keiner verstand es wie er, und er gewann den Kranz von der Königstochter, aber sowie er ihn hatte, spornte er sein Pferd, das sprang über das Tor, und er ritt zu dem Bären zurück. Der fragte ihn wieder: »Hast du den Kranz bekommen?« Er antwortete »ja«. Den Kranz gab er dem Bären, der verwahrte ihn, gab ihm zu essen und zu trinken und sagte: »Treib jetzt deine Hasen heim.« Als er die Hasen heim getrieben hatte, ging er in [202] seine Hütte. Da kam die Königstochter zu ihm und sagte: »Morgen werden wieder die Offiziere und Prinzen kommen, bleib zu Hause und sieh zu; wem ich mein Tuch gebe, der wird mein Mann.« Er antwortete: »Was soll ich zu Hause machen, ich gehe mit meinen Hasen auf die Weide.« Damit ging er und erzählte es dem Bären. Der gab ihm wieder einen Stock, er ging zu der Eiche, schlug daran, und sogleich kam ein schönes Gewand und ein Pferd, noch einmal so schön als früher. Er stieg auf und ritt zum Königshof, und gleich, als er ans Tor kam, gingen alle auf ihn zu, und sie begannen zu kämpfen, er war aber der stärkste, und die Königstochter warf ihm ihr Tuch zu. Das Tuch fiel ihm aber nicht zur Hand, und als er sich danach bückte, schlug ihn einer mit dem Säbel über den Fuß und verwundete ihn; er kehrte sich aber nicht daran, sondern ritt eilig zu dem Bären zurück und erzählte ihm, wie es gegangen war. Der Bär nahm ein Pflaster, legte es ihm auf den Fuß und verband ihn mit dem Tuch. Darauf sagte er: »Jetzt kannst du heimgehen, aber morgen mußt du zurückkommen, um mich zu erlösen, da ich dir geholfen habe.« Der Königssohn schnitt sich einen dicken Stock und trieb seine Hasen langsam heim. Die Königstochter wartete schon am Fenster, ob er bald kommen werde, um ihm zu erzählen. Als sie ihn kommen sah, lief sie ihm entgegen und bemerkte, daß er hinkte. Da fragte sie ihn: »Was ist dir, Iwan?« Er antwortete: »Als ich im Walde hinter den Hasen herlief, habe ich mich an einem Dorn gestochen.« Sie wollte nun, daß er ihr es zeige, er sagte aber, er könne die Binde nicht losmachen, es tue zu weh. Sobald er nun die Hasen in den Stall getrieben hatte, ging er gleich in die Hütte, wo er schlief, legte sich und schlief vor großem Schmerz gleich ein. Sie hatte aber keine Ruhe und ging nachzusehen, was er mache. Als sie in seine Hütte kam und sah, daß er schlief, ging sie daran nachzusehen, was er am Fuße habe, und als sie anfing, die Binde abzuwickeln, wurde sie ihr Tuch gewahr. Da lief sie gleich zu ihrem Vater und erzählte es ihm. Vater und Mutter gingen nun mit einem Licht[203] hin nachzusehen und sahen, daß es wirklich das Tuch der Tochter war. Darauf weckten sie ihn und fragten ihn, wo er das Tuch her habe. Er antwortete, er habe es im Kampfe gewonnen. Da brachten sie ihn gleich in ihr Haus und sagten: »Morgen wirst du dich verheiraten.« Er aber antwortete: »Das kann ich nicht, ehe ich meinem Freunde geholfen habe.« Am anderen Morgen begab er sich gleich zu dem Bären, der gab ihm einen Säbel und sagte: »Geh jetzt mit mir zu dem Fischteich da, am Ufer wirst du eine Bank finden, auf der sollst du mir den Kopf abschlagen, dann mußt du aus dem Wasser alle Frösche herausholen, bis du zuletzt einen Menschenkopf herausholst.« Der Königssohn tat das, und als er den Menschenkopf heraus hatte, wurde sogleich aus dem Kopf ein König, der war in einen Bären verzaubert gewesen, und der Königssohn hatte ihn erlöst. Der ging nun heim und verheiratete sich und nach dem Hochzeitsschmaus fuhr er mit seiner Frau heim zu seinem Vater. Ich bin auch bei dem Schmause gewesen und bin gern da gewesen.
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