Vom Grünbart.

[22] In einer Stadt lebte ein sehr reicher Kaufmann, der hatte eine sehr schöne Tochter, die wollte durchaus keinen andern heiraten als einen Mann mit grünem Barte. Um die Stadt herum waren sehr große Wälder; in diesen Wäldern hausten vier und zwanzig Räuber mit einander. Der Hauptmann dieser Räuber, der von dem Mädchen vernommen hatte, daß sie nur einen Mann mit einem grünen Barte[22] heiraten wolle, fragte seine Leute, ob sie kein Mittel kennten, mit dem man sich den Bart grün färben könne, und sie verschafften ihm sogleich solche Farbe. Da färbte er denn seinen Bart grün (und er war auch außerdem ein stattlicher Mann) und reiste in die Stadt zu dem Kaufmann: er wolle seine Tochter freien. Dem Mädchen gefiel er auch sehr und so blieb er da über Nacht. Des andern Tages verabredeten sie sich, daß das Mädchen zu ihm hin reisen solle; er besitze hinter dem Walde ein großes Gehöfte. Dem Mädchen bedeutete er, sie solle immer die Straße entlang reiten, bis sie an eine Brücke komme; jenseit der Brücke solle sie sich links wenden und auf dem Pfade nur weiter reiten, so werde sie zu seinem Hofe gelangen. Der Grünbart reiste ab.

Die Kaufmannstochter rüstete sich nun zur Reise, ließ sich guten Kuchen backen, um ihn ihrem Bräutigam mit zu bringen, und machte sich dann zu Pferde auf den Weg. Sie kam zur Brücke und fand jenen Seitenweg, von dem der Grünbart gesprochen hatte. Sie ritt nun auf dem Pfade in den Wald; je tiefer sie aber in den Wald hinein kam, desto schmaler ward der Pfad: nur ein schmaler Fußpfad war noch da. Was sollte sie nun thun? Reiten konnte sie nicht mehr, sie muste absitzen, das Pferd anbinden und zu Fuße gehen. Nachdem sie ein Ende gegangen, sah sie ein Häuschen, an dessen Thüre zwei Löwen mit Ketten angebunden waren. Als sie in die Nähe derselben gekommen war, dachte sie ›Sollst du weiter gehen oder nicht?‹ Aber da die Löwen nichts thaten, trat sie hinein und gieng in eine Stube: da stunden Betten und an der Wand hiengen mehrere Flinten. Als sie sich da umgeschaut, gieng sie in eine andre Stube: da stund ein Tisch und am Deckbalken hieng ein Käfich mit einem Vögelchen. Der Vogel sagte zu ihr ›Wie kommst du hierher? denn das ist ein Räuberhaus. Hinweg kannst du jetzt nicht, denn wenn du hinaus willst, so zerreißen dich die, Löwen; aber ich will dir Unterweisung geben. Lege du dich jetzt unters Bett; wenn die Räuber kommen, werden sie sich betrinken und dann einschlafen; dann geh du weg, und wenn du hinaus gehst, wirf beiden Löwen jedem ein Stück Kuchen hin, dann kannst du ein Ende weit davon laufen.‹ So that sie auch und kroch unter das Bett.

Die Räuber kamen einer nach dem andern und sagten ›Hier stinkts nach Menschenfleisch;‹ aber der Vogel wehrte ab so viel er nur konnte, und so ließen sie sich davon abbringen. Die Räuber brachten[23] ein Mädchen mit; nachdem sie ihr Abendeßen zu sich genommen, hieben sie das Mädchen in Stücke und fiengen mit den kleinen Fingern an. An einem hatte sie einen Ring, und der Finger mit dem Ringe rollte unter das Bett, wo jene lag. Da nahm sie den Finger und steckte ihn in ihre Tasche. Als die Räuber ihr Werk vollendet, fiengen sie noch einmal an zu trinken und betranken sich dermaßen, daß sie von ihren Sünden nichts mehr wusten und sämmtlich einschliefen. Als das Mädchen meinte, daß sie alle fest schliefen, stund sie auf, gab dem Vögelchen ein Stückchen Zucker und nahm in jede Hand ein Stück Kuchen, das sie beim Hinausgehen den Löwen zuwarf. In der Zeit als sie das fraßen, sprang sie hinaus. Kaum aber hatten sie es gefreßen, als sie anfiengen zu brüllen und ein Geschrei zu erheben, daß der Wald in einem fort erbebte. Da sprangen die Räuber alle auf und verfielen gleich darauf, daß das Mädchen da gewesen sein müße; alle setzten ihr nun nach, aber sie erreichte doch ihr Pferd. Als sie aufgeseßen, ritt sie in solcher Eile, daß sie, als sie ihre Wohnung erreicht hatte, vor Schreck blaß war wie eine Leiche, und daß sie sich sogleich niederlegen muste und krank ward.

Der Grünbart schor nun seinen Bart sofort ab und sann nach, wie er das Mädchen doch noch erwischen könne. Er bestellte sich große Wagen und große Fäßer, in deren jedes er vier Räuber kriechen ließ, und fuhr damit zu dem Kaufmanne, als ob er Waaren kaufen wolle: er sei auch ein Großhändler aus der und der Stadt. Seinen Leuten hatte er gesagt, er werde ins Zimmer zum Kaufmanne gehen und er wolle ihnen ein Zeichen geben; wenn alle in der Stube eingeschlafen sein würden, dann sollten sie die Boden der Fäßer ausschlagen, alles ausrauben und beim Wegfahren noch das Mädchen mitnehmen. Während er nun im Zimmer war, hörte des Kaufmanns Knecht, der auf dem Hofe umher gieng, in einem Faße eine Stimme, die sagte ›Was das ist? das dauert sehr lange.‹ Da gieng der Knecht hinein zu seinem Herrn und sagte ›Herr, was ist das? In den Fäßern da sind Leute drin.‹ Da bestellte der Kaufmann viele starke Männer, die die Räuber ergreifen sollten; jenen Räuber ließ er in der Stube ganz hinter den Tisch sitzen und ein Paar starke Männer neben ihn. Da kam das Mädchen, zeigte ihm den abgehauenen Finger mit dem Ringe und fragte ihn, ob er sich desselben erinnere; da merkte er daß er erkannt sei und sah sich um, wie er ausreißen könne. Der Kaufmann ließ ihm aber nicht so viel Zeit, sondern gab jenen ein Zeichen, daß sie[24] ihn faßen sollten. Da faßten ihn denn beide und banden ihm Hände und Füße zusammen; in seinem Stiefelschafte aber fand sich ein langes Meßer. Als sie ihn fest gebunden hatten, da giengen sie auf den Hof, ergriffen jene alle nach der Reihe und brachten sie ins Gefängnis. So waren denn die Räuber alle besorgt und aufgehoben. Das Mädchen führte sodann die Leute in das Haus der Räuber. Das Vögelchen behielt sie selber, das übrige theilte sie unter die Armen aus; das Haus ward verbrannt, und die Löwen behielt der Kaufmann. Die Räuber fanden sämmtlich ihren Tod im Gefängnisse. So war denn alles vertilgt, und das Mädchen hatte fürderhin keine Vorliebe mehr für grüne Bärte.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 22-25.
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