Vom Mädchen und ihrem Freier.

[34] Ein Mädchen hatte einen Freier, und der Freier starb. Nachdem das Mädchen ihn einige Wochen betrauert hatte, gieng sie zu Tanze mit einer ihrer Kameradinnen, der auch der Bräutigam gestorben war. Ihr Weg führte sie an dem Begräbnisplatze vorbei; und als sie vor dem Begräbnisplatze stunden, sagten sie ›Steht auf, ihr Brüder, wer wird uns sonst zum Tanze führen.‹ Als sie ein Ende Weges gegangen waren, da stunden die beiden Todten auf und verfolgten sie. Kaum waren sie in die Stube, wo getanzt ward, eingetreten, da kamen auch jene beiden herein und führten sie zum Tanze. Beim Tanzen traten die Mädchen jenen Männern auf die Füße, und da merkten sie, daß die Stiefel leer seien, und so wusten sie, daß sie mit Verstorbenen tanzten. Die Todten aber schwenkten die Mädchen so, daß sie sie fast zu Tode tanzten. Da baten die Mädchen, sie sollten sie einmal hinaus laßen, um frische Luft zu schöpfen; jene wollten das aber nicht zugeben. Sie erbaten sichs aber endlich doch, indem sie sagten ›Wir werden hier am Hause unsere Schlüßel aufhängen, und wenn die Schlüßel klappern werden, so werdet ihr wißen, daß wir da sind.‹ Nun klapperten die Schlüßel, und sie warteten darauf, daß die Mädchen wieder in die Stube kämen. Die beiden Mädchen aber kamen nicht wieder, sondern liefen davon und liefen und liefen, bis sie an eine Brechstube kamen, in die liefen sie hinein und steckten sich hinter den Ofen. In der Brechstube trocknete ein altes Weib Flachs; das baten die beiden Mädchen, wenn jemand kommen würde, daß es niemanden herein laße. Als nun die beiden Todten lange vergeblich auf ihre Mädchen gewartet, setzten sie ihnen nach, indem sie den Fußspuren folgten, die sie zurückgelaßen. So kamen sie in die Brechstube und sagten ›Guten Abend! Sind hier nicht zwei Mädchen hergelaufen?‹ Das Mütterchen sagte »Nein.« Die beiden sagten ›Hierher sind sie gelaufen, sie müßen hier sein.‹ Da sagte die Alte »Setzt euch her, meine Söhne, ich will euch des Flachses Qual erzählen.« Und als die beiden sich zum Hören gesetzt, da erzählte sie, wie man den[34] Flachs sät, rauft, brecht, spinnt, webt, bleicht, näht, trägt, zusammen flickt und wie ihn endlich der Lumpenmann sammelt und man aus den Lumpen Papier macht. Als die Alte mit ihrer Rede zu Ende gekommen, da krähte der Hahn, und die beiden Todten musten hinweg, und sie sagten beim Weggehen ›Das ist euer Glück, daß die Frau uns durch ihre Rede von der Verfolgung abgebracht hat.‹ Sodann verschwanden sie vor ihren Augen, und die beiden Mädchen blieben am Leben.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 34-35.
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