Wer kann beßer lügen?

[37] Es war einmal ein Bauer und ein Herr, die wetteten mit einander, wer am besten lügen könne, und setzten jeder hundert Thaler ein.[37] Der Herr sagte zum Bauern ›Bauer, fang du an zu lügen!‹ Der Bauer sagte »Die Herren fangen bei allem zuerst an, so sollen sie auch im Lügen den Anfang machen.« Da fieng denn der Herr an zu lügen und sagte ›Mein Vater hatte einen Ochsen, der hatte so große Hörner, daß der Storch ein volles Jahr fliegen muste, ehe er vom Ende des einen bis zu dem Ende des andern Hornes kam.‹ Der Bauer sagte »Wol möglich.« Der Herr sagte ›Bauer, nun lüg du!‹ Jetzt fieng der Bauer an zu lügen »Mein Vater hatte ein Schwein, das belief sich an einem Ende und am andern Ende kamen die Jungen heraus.« Der Herr sagte ›Wol möglich‹. Aber der Bauer log weiter und sagte »Mein Vater säte Bohnen, die wuchsen bis in die Wolken; ein Bauer stieg an einer Bohnenpflanze hinauf bis in die Wolken, da hieben sie unten die Bohnen ab und er konnte nicht wieder herunter steigen. Da fand er droben einen Haufen Spreu und Eierschalen, daraus muste er sich einen Strick drehen, aber auch der Strick war zu kurz. Da schnitt er immer oben ab und setzte unten an; so ließ er sich bis auf die Kirche herab. Von der Kirche aber muste er herab springen, und er sprang zufällig auf einen großen Stein, und seine Füße brachen bis an die Knie in den Stein ein. Da ließ er seine Füße da und lief nach einer Axt, um sich seine Füße heraus zu hauen. Als er aber wieder kam, fand er einen Hund, der an seinen Füßen fraß, und wie er den mit der Axt schlug, da verlor der Hund einen Zettel.« Der Herr fragte ›Was stund denn auf dem Zettel?‹ Der Bauer sagte »Auf dem Zettel stund, daß dein Vater bei meinem Vater die Schweine gehütet hat.« Da sagte der Herr ›Das ist nicht wahr, du lügst.‹ Der Bauer sagte »Wenn du sagst, daß ich lüge, so habe ich gewonnen. Ich kann beßer lügen als du.« Und somit nahm der Bauer die zweihundert Thaler.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 37-38.
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