[377] 805. Der Zauberer im Escher Kanton.

Im Escher Kanton fuhr ein Mann mit zwei Pferden. Er lud immer so schwer, daß kaum drei andere Pferde die Last auf ebener Erde fortgebracht hätten. Dieser Mann aber wußte etwas mehr. Bergauf gingen seine Pferde so leicht wie bergab; auch hemmte er seinen Weg nicht bergab, wie die andern Leute es tun.

Einst kam er an einer Wiese vorbei, wo ein Mann mähte. Er sah ihn oft wetzen und sprach: »Petter, laßt mich mal für Euch schleifen (wetzen); ich sehe, Ihr könnt nicht.« Der andere war's zufrieden, und der Fuhrmann nahm seine Peitsche, fuhr mit dem Griff dreimal über die Sense und sprach: »Da, nun mäht und wetzt nicht mehr.« Und sieh! die Sense schnitt wie ein Bartmesser. Der andere ging fort und der Mäher mähte bis zum Abend und die Sense schnitt eher besser als schlechter.

Dieser Zauberer – denn das war er – begegnete auch einst drei Studenten, die, um sich einen Spaß zu machen, ihn durch ihre Künste »halten taten«. Der Fuhrmann merkte schnell, was es wäre, ging zu den dreien und sagte: »Ihr Herren, hört, laßt mich fahren.« Die Studenten aber verstanden es nicht, den Zauber aufzuheben, und schwiegen. »Nun, dann helfe ich mir selbst«, sagte der Fuhrmann, nahm eine Axt, ging zum hinteren Rad auf der linken Seite, zählte elf Speichen und schlug mit der Axt dagegen,[377] daß es krachte. »Au! au!« schrie der erste Student und lag da mit zerschlagenem Bein. Der Fuhrmann zählte weiter elf Speichen, ein Schlag und der zweite Student lag am Boden mit zerschlagenem Bein. Wieder elf Speichen und der dritte fiel. Darauf trat der Fuhrmann wieder zu ihnen und fragte sie, ob sie ihn nun wollten fahren lassen. »Wir können nicht«, war die Antwort, »wir hätten's sonst gern getan.« – »Das hättet Ihr eher sagen sollen,« sagte der Fuhrmann. »So wißt es für ein andermal, daß Ihr keinen ›halten tut‹, wenn Ihr ihn nicht wieder fahren lassen könnt.« – »Hü!« rief er und der Wagen setzte sich in Bewegung. Die Speichen, gegen die er geschlagen hatte und die entzwei gegangen, waren wieder ganz. Auch half er den Studenten wieder auf die Beine.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 377-378.
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