[448] 947. Die Katzenhexe zu Wahl.

[448] Zu Wahl im Kanton Redingen lebte eine Bäuerin, die allgemein für eine Hexe gehalten wurde. Ein Knabe von neun Jahren hütete ihr Vieh und jeden Tag, wenn er von der Weide zurückkehrte, sagte sie ihm genau, was er den Tag über auf der Weide getan, gesprochen, ja sogar gedacht hatte.

Einst hatte sich der Knabe auf den Rücken in die Wiese hingestreckt, die Mütze über dem Gesicht, um die Sonnenstrahlen abzuhalten. Ein Mädchen, dessen Vieh neben dem seinen weidete, saß ihm zur Seite. Da hörte er plötzlich den Schrei einer Katze: Miau! Miau! Jedoch kümmerte er sich nicht darum und glaubte, es sei eine Katze vom nahen Bauernhofe. Aber da rief das Mädchen mit ängstlicher Stimme: »Sieh doch, sieh doch, unser Vieh!« Der Knabe schnellte auf und sah die Ochsen und Kühe mit sträubendem Haar, wirrem Blick und am ganzen Körper zitternd vor sich stehen. Es kam ihm der gute Gedanke, das Kreuzzeichen zu machen, worauf das Vieh sich beruhigt niederlegte. In der Überzeugung, daß die Katze ihm diesen Streich gespielt hatte, eilte er an den Ort, woher der Schrei gekommen war, aber da ließ sich die Katze an einer andern Stelle hören. So lief er bald hiehin, bald dorthin und kam erschöpft abends nach Hause, entschlossen, der Hexe Haus nie mehr zu betreten.

Der Knabe ist heute ein Mann in den Fünfzigern und ist noch zur Stunde fest überzeugt, daß seine damalige Meisterin ihm den bösen Streich gespielt habe.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 448-449.
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