[452] 955. Die Hexe von Ospern.

Ein armer Tagelöhner aus Wahl ging einst nach Arlon auf den Markt. Als er nach Ospern kam, sah er auf einer Gartenmauer eine große, schwarz- und weißgefleckte Katze sitzen. Das Haus aber, welches an den Garten stieß, gehörte einer alten Frau, welche im Rufe stand, mit dem Teufel einen Bund geschlossen zu haben und den Menschen allerlei Böses zuzufügen. Unser Wahler, der eben kein Katzenfreund war, schlug mit seinem Stock nach der Katze, ohne sie jedoch zu treffen, denn im Nu war sie hinter der Mauer verschwunden. Als er aber das Dorf Ospern verlassen, sah er plötzlich dieselbe Katze vor sich im Wege sitzen und sie folgte ihm bis an die belgische Grenze, trotzdem er sie durch Stockschläge zu vertreiben suchte.

Abends auf seiner Rückkehr sah er plötzlich die nämliche Katze nicht weit von Ospern auf einer kleinen Anhöhe sitzen und ihn mit feurigen[452] Augen anglotzen. Der Mann begriff nun, daß es die berüchtigte Hexe aus Ospern war, die ihn verfolge, weil er sie am Morgen auf der Gartenmauer habe schlagen wollen. Mit Grausen sprang er in das nächste Gebüsch und erreichte glücklich auf Umwegen seine heimatliche Hütte.

Ein andermal, als derselbe Mann wieder nach Arlon ging und das Dorf Ospern schon passiert hatte, entstand plötzlich ein großes Gepolter auf einigen Bäumen, welche am Wege standen, und die nämliche Katze sprang von einem der Bäume herab, dicht vor den erschreckten Wahler.

Einst gingen auch drei arme Mädchen aus Wahl mit Haselnüssen nach Arlon auf den Markt, um diese dort zu verkaufen. Nicht weit von Ospern setzten sie sich nieder, um auszuruhen. Da sahen sie eine schwarz- und weißgefleckte Katze hinter sich in das Gebüsch laufen. Bald darauf entstand ein Geräusch, wie wenn ein Stück Tuch aueinandergerissen würde, und sieh! aus dem einen der Säcke rollten die Nüsse zur Erde. Das konnte nur die Osperner Hexe gewesen sein, dachten die Mädchen, sammelten schnell die Nüsse wieder, banden sie in ein Tuch und legten dieselben in die Hotte. Diese aber fing sofort an heftig zu knarren und zu krachen, als ob sie jeden Augenblick auseinanderfahren würde. Erst an der belgischen Grenze hörte das Krachen auf.

Der Mann der Osperner Hexe soll vor vielen Jahren in ein fremdes Land geflohen sein, weil er es bei ihr nicht habe aushalten können. Einst sei er nämlich zufällig während der Nacht erwacht und habe statt der Frau einen Besen neben sich im Bette gefunden; die Frau aber habe er im ganzen Hause vergebens gesucht.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 452-453.
Lizenz:
Kategorien: