[51] 110. Ein Gottesgericht.

In der Mitte des Dorfes Ehnen, nahe am Zusammenfluß des Gostinger- und des Lenningerbaches, da, wo jetzt die Brücke über den Lenningerbach führt, stand vor mehr als hundert Jahren ein Haus, dessen Bewohner ihres bösen Lebenswandels wegen allgemein gemieden waren. Nun geschah es einst, daß der Lenningerbach infolge eines[51] schrecklichen Ungewitters in später Nacht sehr hoch anschwoll, über seine Ufer trat und alles mit sich fortriß, was ihm im Wege stand. Der Bach wurde so reißend und stark, daß er seine ehemalige gekrümmte Richtung an dieser Stelle verließ, geradeaus schoß und sich ein neues, tiefes Bett wühlte, in welchem er seither fließt. Als es Tag geworden und die Hochflut sich verlaufen hatte, sah man von dem berüchtigten Hause und dessen Bewohnern nichts mehr: die Wasser hatten sie hinweggespült. So oft jedoch in der Folge der Bach nächtlicherweile hoch anschwoll und die Gewitter rasten, sah man die Schatten dieser bösen Bewohner über dem Bache schweben, unter durchdringendem Wehegeheul sich in die Fluten stürzen und verschwinden.


Lehrer Linden zu Rollingen

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 51-52.
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