[114] 260. Der Graf Vugel in der Merterter Fels.

Vor gar vielen Jahren lebte auf dem Schlosse des unterhalb Grevenmacher gelegenen Dorfes Temmels ein alter Graf, Vugel mit Namen. Er war ein gottloser Mann, dem weder Sonn- noch Feiertage heilig waren. Während des sonntägigen Gottesdienstes durchstreifte er mit seinen Jagdhunden das Feld oder jagte öfters mit zwei Schimmeln an der Kirche vorbei und störte so die fromme Gemeinde[114] nicht selten in ihrer Andacht. Als er zum Sterben kam, bemühte sich der Ortspfarrer vergebens, ihn mit Gott auszusöhnen. Der Kranke gestand zuletzt unumwunden, er habe dem Teufel seine Seele verschrieben. Im Augenblicke seines Hinscheidens entstand ein Riß in dem hinter dem Schlosse gelegenen Berge, durch welchen der Böse mit der verkauften Seele zur Hölle fuhr. Sein Körper sollte auf immer ins Schloß verbannt sein. Während man den Sarg zur Familiengruft trug, schaute Vugel oben zum Dachfenster heraus und klatschte in die Hände. In mondhellen Nächten ritt er oft mit zwei Schimmeln die Treppen des Schlosses auf und ab oder schleppte auch wohl schwere, eiserne Ketten im Schlosse umher. An Sonn- und Festtagen machte er Jagd auf die Pferdehüter, die er in Schrecken setzte, besonders durch blinde Schüsse.

Als er so sein Unwesen einige Zeit getrieben hatte, beschloß die Geistlichkeit der Umgegend, die friedlichen Dorfbewohner von dem unheimlichen Störenfried zu befreien. In feierlichem Ornate traten die Priester der Nachbarschaft vor das Schloß und sprachen einer nach dem anderen Exorzismusgebete über den verwünschten Grafen. Ein schallendes Gelächter war jedesmal die Antwort. Als aber der fromme Pfarrer von Machtum an die Reihe kam, ließ das lachende Gespötte nach. Dieser bestellte dann die Fähre für sich allein und beschwor den Grafen unter seinen Mantel. Als er die Fähre besteigen wollte, lachte der Ferge ihn aus und meinte, er könne doch so leer, bloß mit einer Person, nicht hinüberfahren. Aber sieh! als der Pfarrer in der Fähre war, sank dieselbe bis zum Rande, wie wenn die schwerste Last sich darauf befände. Darüber erschrak der Fährmann sehr und begehrte Aufschluß. Da ließ ihn der Pfarrer unter seinen Mantel schauen, wo er einen greulichen, roten Feuerklumpen gewahrte. So lange die Fahrt dauerte, schrie der beschworene Geist: »O wärest du mit den zerrissenen Strümpfen nicht gekommen, gewiß hätte niemand mich gepackt!«

Endlich war die Überfahrt glücklich vollendet, und unter Geheul und Gebrüll des bösen Geistes stieg der Beschwörer ans Land. Er bannte den Unglückseligen in die Merterter Fels, unterhalb Grevenmacher, wo er auf immer verbleiben mußte. Hier irrte er oft nachts umher und setzte durch sein klägliches Gewimmer den späten Wanderer in Angst und Schrecken.

Seit vielen Jahren aber soll er nicht mehr gehört worden sein, jedoch spricht man noch oft von ihm.


Lehrer Wagner zu Grevenmacher

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 114-115.
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