[128] 301. Der Gottesdienst bei Heinerscheid.

Einige hundert Meter von Heinerscheid entfernt liegt in schönem Quadrat ein hochstämmiges Tannenwäldchen, im Volksmund »der alte Kirchhof« geheißen. Die Sage geht, es habe bis zum Jahre 1650 dort das Dorf Bockeburg mit Pfarrkirche und Kirchhof gestanden. Als aber in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts die Pest im Lande wütete, ist diese Ortschaft ganz ausgestorben und von da an unbewohnt geblieben. So sank sie allmählich in Trümmer und ging spurlos verschwunden, nur der »alte Kirchhof« ist noch da. In Waldesmitte steht ein gut erhaltenes Steinkreuz zum Andenken, daß hier eine geweihte Stätte war. Der frühere Fuhrweg, welcher jetzt zur Straße gemacht worden ist, führte dicht an dem Kirchhof vorbei.

Nun geschah es einst, daß am Allerseelentage ganz in der Frühe, da es noch finster war, ein Fuhrmann dort passierte. Wie er so in seinen Gedanken neben den Pferden herging, gewahrte er plötzlich eine hellerleuchtete Kirche. Der Mann, welcher der Gegend kundig war, staunte, dort ein Gotteshaus zu sehen, da nach seiner Erinnerung niemals ein solches dort gestanden hatte. Weil es aber schien, als würde eben Gottesdienst drin abgehalten, und der Mann bei sich dachte: »Du wirst heute vielleicht nicht mehr die Gelegenheit haben, eine hl. Messe zu hören«, so band er schnell entschlossen die Pferde bei der Kirche an einen Baum und trat hinein. Er fand dieselbe mit Gläubigen angefüllt, aber zu seiner großen Verwunderung regte sich niemand. Bei dem Geräusch, das bei seinem Eintritt entstand, sah niemand um, und er war erbaut ob der großen Andacht. An den Stufen des Altars stand ein greiser Priester, eine ehrwürdige, äußerst hagere Gestalt. Er war mit den Meßgewändern bekleidet und sollte die hl. Handlung beginnen. Da er aber keinen Ministranten hatte, konnte er nicht weiterkommen; keiner der Anwesenden schickte sich an, ihm diesen Dienst zu leisten. Als nun unser Fuhrmann das sah, ging er hin zum Altar, kniete neben den Priester hin und antwortete, so gut er konnte, auf die Staffelgebete. Die dumpfe, schwermütige Stimme des Priesters fiel ihm auf. So diente er die Messe bis zu Ende. Als ihm beim Einschenken des letzten Weines der Priester den Kelch darreichte, sah er, daß derselbe aus weißem Wachs verfertigt war. Obschon er sich über diese Eigentümlichkeit nicht klar werden konnte, waltete er dennoch seines Amtes weiter. Wie er aber nach dem letzten Evangelium niederkniete und Deo gratias sprach, waren Priester und Altar und Gläubige und alles verschwunden. Er kniete im feuchten Grase, und nur[128] ein leises Geflüster des Dankes schien noch durch die Zweige des Wäldchens zu gehen.

Das ist die Geistermesse auf dem »alten Kirchhof« bei Heinerscheid.


Wilh. Zorn, Vikar zu Binsfeld

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 128-129.
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