[261] 625. Das Tier im Hesper Kiemert.

A. In dem zwischen Itzig und Hesperingen gelegenen Hesperinger Kiemert, von Itzig an bis zum sogenannten Biltebaum und zum Deichweg, ist es seit uralter Zeit her nicht geheuer. Am meisten aber grauste es den Leuten vor dem Biltebaum, einem alten, längst verschwundenen Birnbaum, der zwischen Itzig und dem jetzigen Hesperinger Kirchhof an der äußersten Grenze des Itziger Bannes unterhalb[261] des Weges im Felde stand und in dessen Stamm ein Muttergottesbildchen eingeschnitzt war. Nach einem anderen Bericht soll der Biltebaum eine Eiche gewesen sein, die sich etwas oberhalb des Weges am Abhang des Hügels befand. Wie dem nun auch sein mag, in der Nähe dieses Baumes hielt sich das Kiemtier auf, ein rätselhaftes Ungeheuer, das sich in vielerlei Gestalten verwandeln konnte und dem Reisenden bald als Feuer und Flamme, bald auch in der Gestalt einer Ziege, eines Schafes oder eines Hundes erschien. Zuweilen hörte man auch in dem nahe gelegenen Wald den unheimlichen Ruf »Huhuba!« und »Buhuha!« Das war die Stimme des Kiemtieres. Auch schien es sich zur Aufgabe gestellt zu haben, die Reisenden auf alle mögliche Weise zu necken.

Ein gewisser Wiseler von Itzig kehrte einst in später Nacht von Hesperingen nach Itzig zurück. Da sah er dem Biltebaum gegenüber eine große, gut aufgeputzte Fäsche mitten im Weg liegen. »Ei!« rief er freudig aus, »die wäre fertig! Meine Frau backt diese Nacht und wir brauchen Holz.« Mit diesen Worten lud er die Fäsche auf den Rücken und schritt wacker dem Dorfe zu. Die Fäsche wurde aber bei jedem Schritt schwerer, so daß Wiseler sich zuletzt kaum noch keuchend fortschleppen konnte. Zu Hause angekommen, warf er die Last eilig ab. »Da, Luder, lieg,« sagte er, »es ist Zeit, daß ich angekommen bin; denn wenn ich dich noch weiter hätte tragen müssen, so hätte ich es nicht mehr vermocht!« Da rief auf einmal eine Stimme: »Ich danke, Wieseler, daß du so gütig warst, mich so weit zu tragen!« und die Fäsche flog durch die Lüfte davon. Die Leute sagten, Wiseler hätte das Kiemtier getragen.

Etwas Ähnliches widerfuhr einer Frau aus dem Hause Paalen von Itzig, die ebenfalls spät in der Nacht von Hesperingen nach Hause zurückkehrte. Als sie in die Nähe des Biltebaumes kam, erblickte sie demselben gegenüber eine dornige Fäsche, welche mitten im Wege lag. Sie trug dieselbe nach Hause, um noch in derselben Nacht den Backofen zu heizen. Doch sieh da! als das gute Weib die Fäsche in den Ofen werfen wollte, flog diese zum Schornstein hinaus und eine Stimme rief aus der Höhe: »Vielen Dank, Frau Paalen, daß Ihr mich so weit getragen habt!«

Öfter gab sich das Kiemtier auch den Anschein, als wollte es Geld in der sogenannten Bonzekaul verscharren, aber so, daß die Leute es merken konnten. Wollten nun aber die Leute nach den verborgenen Schätzen graben, so fanden sie nichts und das Kiemtier ließ aus dem nahen Walde sein spöttisches »Puh! Puh!« vernehmen.

Auf der andern Seite von Itzig liegt der Sandweiler Kiemert, wo es noch viel unheimlicher ist.

In dem sogenannten Felsenfeld verwandelte sich das Kiemtier in eine Kuh. Oft, wenn die Leute von Itzig bei einbrechender Nacht müde von dem Feld nach Hause zurückkehrten, fanden sie mitten in dem dort befindlichen[262] Kreuzweg eine kohlschwarze Kuh liegen. Sie suchten dem armen Tier aufzuhelfen, doch alle Mühe war vergebens. Dann eilten sie nach Hause, um Hilfe herbeizurufen. Als sie aber zurückkehrten, schrie die Kuh auf einmal spöttisch: »Puh! Puh!« erhob sich und lief schnell in den nahen Wald.


J. Prott, Pfarrer


B. Das Tier im Hesper Kemert ging als Hase, meist jedoch in Gestalt eines schwarzen Hundes um. Vor etwa zwanzig Jahren kam ein Schuster aus Itzig mit seinem Gesellen spät abends von Fentingen, wo sie tagsüber gearbeitet hatten, am Hesperinger Kirchhof vorbei. Beide hatten schon mehrmals diesen Hund gesehen. Diesen Abend wollten sie, wie verabredet, demselben zu Leibe gehen. Der Meister bemerkte denselben zuerst und zwar auf dem Kirchhof neben dem Wege. »Bleib du unten,« sagte er zum Gesellen, »ich bring ihn dir« und mit einem Satz war er auf der Mauer, um den vermeintlichen Hund herunterzubringen. Was sich jetzt zugetragen, haben sie niemals erzählt, aber von der Zeit an kränkelten beide. Bald nachher starb der Meister und nach zwei Monaten folgte ihm sein Geselle ins Grab.

Ein armer Mann kam eines Abends von Hesperingen und sah etwas am Wege liegen, was er für eine Fäsche hielt. »Die mußt du mitnehmen,« sagte er bei sich, »das ist genug, um den Backofen einmal zu heizen.« Wie gesagt, so getan. Er lud die vermeintliche Fäsche auf und ging dem Dorf zu. Doch die Last wurde immer schwerer, je näher er seinem Hause kam, so daß er glaubte, nicht mehr weiter zu kommen. Einige Schritte von seinem Hause warf er die schwere Last nieder. Da richtete sich die Fäsche in Gestalt des Tieres aus dem Hesper Kemert auf und sprach: »Ich danke dir, daß du mich so weit getragen,« und fort war sie.


Zollbeamter J. Wolff

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 261-263.
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