[254] 603. Das Gespensterrind.

J.H., ein Tagelöhner aus Heiderscheidergrund, arbeitete während des Winters zu Heiderscheid in einer Scheune. Gewöhnlich ging er montags früh von Hause weg und kam erst am Sonnabend zurück. Nun geschah es einst, daß die Frau H. in der Woche krank wurde. Sie schickte deshalb ihr jüngstes Söhnchen nach Heiderscheid, um den Vater nach Hause zu rufen. Als beide, Vater und Sohn, in der Nacht auf dem Heimweg begriffen, in den Fußpfad, der aus dem Fuchsweg von Heiderscheid nach Heiderscheidergrund durch die Hecken führt, einbiegen wollten, huschte auf einmal ein schneeweißes Rind an ihnen vorbei. »Ei Vater!« rief der Knabe, »hätten wir doch das schöne Rind!« Der Vater aber, an einen Spuk denkend, sprach zum Knaben: »Still, Junge!« und ohne weiter ein Wort zu sagen wanderten beide den Berg hinab. Als sie ungefähr hundert Meter weit fort waren, brauste dasselbe Rind noch einmal an ihnen vorbei. Diesmal aber sagte der Sohn nichts, da er durch die strenge Antwort des Vaters eingeschüchtert worden war. Beide betrachteten das Tier mit neugierigen Augen und, als dasselbe in den Hecken verschwunden war, setzten sie ihren Weg fort. J.H. erzählte nachher noch oft, daß er nie soviel Mühe gehabt habe, nach Hause zu kommen, als an diesem Abend.


Lehrer H. Georges

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 254.
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