[351] 765. Der geraubte Schatten.

Auf der Höhe von Eischen befindet sich eine weite, ebene Strecke, »plâkeg Lé« genannt. Ein gewaltiger alter Baum steht auf der Stelle. Bei diesem soll es nicht geheuer sein. Vor langer Zeit hielt sich hier eine Räuberbande auf, welche die ganze Gegend unsicher machte.

Eines Abends kam ein Viehhändler, der an dem Tage eine Koppel Zugochsen verkauft hatte, an dieser Stelle vorbei. Auf einmal hörte er ein Geräusch, er schaute um – ein Räuber trat ihm in den Weg, setzte ihm den Dolch auf die Brust und forderte Geld oder Blut. Als der Mann sich zur Wehr setzte, stach der Räuber ihn nieder, beraubte ihn des Geldes und kehrte zu seinen Genossen zurück, denen er seine Tat erzählte. Dann machte er sich mit einigen auf, um den Leichnam zu verscharren. Wie sie aber an die Stelle kamen, sahen sie den Teufel, der sie drohend anschrie: »Jetzt müßt ihr euch an den Baum stellen und der letzte, der an mir vorbeikommt, soll mein sein.« Da stellte sich derjenige, der den Totschlag begangen hatte, als letzter auf und als er am Teufel vorbeikam und dieser schon nach ihm greifen wollte, zeigte er hinter sich auf seinen Schatten und sagte: »Da kommt der letzte!« Der Teufel ging auf den Leim, sprang auf den Schatten zu und der Räuber war glücklich entkommen. Als er aber bei seinen Genossen ankam, bemerkten diese zu ihrem Schrecken, daß er keinen Schatten mehr hatte. Eine Woche nachher war der Schattenlose tot.

Von dieser Zeit an sollen viele dem Schatten des Räubers abends beim Mondschein begegnet sein. Schon allerlei Mittel hat man angewandt, den gespenstischen Schatten zu entfernen; auch habe man, heißt es, den Ort ausgesegnet, aber bis jetzt habe nichts geholfen.


J.N. Moes

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 351.
Lizenz:
Kategorien: