III. Der Kater.

[13] Es war einmal ein Müller; der hatte drei Söhne. Er besass weiter nichts als seine Mühle, einen Esel und einen Kater. Als er starb und die Söhne kamen, damit die Erbteilung ausgeführt würde, schickten sie weder nach Advokaten noch nach Notaren, sondern verteilten gleich alles untereinander: der älteste Sohn nahm die Mühle, der mittlere den Esel und der dritte den Kater. Diesem dritten Sohne missfiel es dermassen, dass ihm der Kater zugefallen war, dass er an allem verzweifelte und ausrief: »Was soll ich jetzt tun, um zu leben? Denn, wenn ich den Kater getötet und sein Fleisch verzehrt haben werde, wird mir bloss übrig bleiben, Hungers zu sterben!« Da trat der Kater, der diese Rede gehört hatte, auf ihn zu und begann: »Betrübe dich nicht, mein Herr! Weisst du, was du tust? Gib mir einen Sack und mach' mir ein Paar Stiefel, damit ich durch die Felder laufen kann! Und dann wirst du schon sehen, dass dein Schicksal nicht so schlecht ist, wie du denkst!« Der Besitzer des Tieres ging hin und kaufte ein Paar Stiefel für den Kater, und als er sie ihm, nebst einem Sacke, gegeben hatte, zog der Kater sie an, hing sich den Sack um den Hals, band die Sackschlingen sich an die Vorderbeine und ging an ein Feld, wo es eine Menge Kaninchen gab. Dann öffnete er den Sack, tat etwas Kleie hinein und legte sich lang hin, gerade als ob er tot sei; und so wartete er, dass ein Kaninchen herankommen und von der Kleie im Sacke fressen möchte, sodass er es fangen könne. Nach kurzer Zeit erblickte er, während er ausgestreckt dalag, ein paar sehr schöne Kaninchen herankommen. Sie rochen den Geruch der Kleie, sahen sie und schlüpften in den Sack. Sofort zog der Kater dessen Schlingen an, – und die Kaninchen[13] sahen sich gefangen! In frohester Stimmung begab sich der Kater nach dem Palaste des Königs und bat um eine Audienz. Man führte ihn hinauf in den Thronsaal, und als er vor den König gelangte, verbeugte er sich bis auf die Erde und sprach: »O König! Mein Herr, der Graf von Erfesch, schickt und lässt dich sehr grüssen und dir sagen, du mögest gefälligst diese Kaninchen annehmen, welche er heute morgen gefangen habe, als er auf seinen Feldern auf der Jagd war!« Der König versetzte, er möge dem Grafen wieder melden, dass er grossen Gefallen an dem Geschenke gefunden habe und den Grafen zu sehen wünsche, denn er kenne ihn nicht. Nun war der Herr des Katers aber gar kein Graf!

Ein anderes Mal versteckte sich der Kater in einem Saatfelde, tat den Sack auseinander und fing drei Wachteln. Er schaffte sie wieder zum Könige und meldete ihm, der Graf Erfesch hätte ihm damit wieder ein Geschenk gemacht. Der König fand dermassen Gefallen an den Wachteln, dass er dem Kater ein Silberstück als Trinkgeld gab. Und während der Zeit von zwei oder drei Monaten fuhr so der Kater fort, dem Könige bald so etwas, bald so etwas zu bringen, immer mit der Meldung, sein Herr schicke ihm die Dinge.

Einst hörte der Kater, dass der König und seine Tochter eine Spazierfahrt nach dem Meeresufer unternehmen sollten. Die Prinzessin war übrigens sehr hübsch. Was tat der Kater? Er suchte seinen Herrn auf und sprach zu ihm: »Wenn du das tun willst, was ich dir sage, so ist dein Glück gemacht! Du brauchst nur hinzugehen und an dem und dem Orte zu schwimmen und das übrige mir zu überlassen!« Der Herr des Katers führte das, was jener von ihm gewünscht hatte, aus, ohne zu wissen, warum. Während er schwamm, kam der König im Wagen vorüber, und der Kater begann aus Leibeskräften zu schreien: »Hilfe! Hilfe! Der Graf von Erfesch ist im Begriffe zu ertrinken!« Als der König diesen Ruf horte, blickte er zum Wagen hinaus und erkannte den Kater, und sogleich befahl er seinen Pagen, hinzueilen und dem Grafen Hilfe zu leisten. Während man wieder dem Ufer zuschwamm, versteckte der Kater die zerlumpten Kleider des ›Grafen‹ unter einem Felsblocke und begab sich zum Könige mit der Meldung, es wären, während sein Herr schwamm, Diebe gekommen und hätten ihm seine Kleider entwendet. Der König befahl augenblicklich den Offizieren, in seinen Palast zu eilen und einen schönen[14] Anzug für den Grafen herbeizuholen. Man brachte den Anzug, und der König war ganz zufrieden, und weil die Kleider, die man geholt hatte, dem ›Grafen‹ sehr gut standen, empfand die Königstochter grossen Gefallen am ›Grafen‹ und verliebte sich in ihn. Der König lud ihn dann in seinen Wagen ein, damit er die Spazierfahrt mit ihm fortsetze.

Als der Kater sah, dass sein Plan Erfolg hatte, lief er rasch voraus und sah alsbald Landleute, die mit der Weizenernte beschäftigt waren. Der Kater trat auf sie zu und sprach zu ihnen: »Landleute! Wenn ihr jetzt dem Könige nicht sagt, dass dieses Feld dem Grafen Erfesch gehöre, so werdet ihr mit dem Kopfe nach unten und den Beinen nach oben aufgehängt!« Die Landleute bekamen einen Schreck, und als der König sie fragte, wem dieses Feld gehöre, antworteten sie ihm einstimmig: »Dem Grafen Erfesch!« »Wie schön das Feld steht, Herr Graf!« äusserte der König. »Jawohl!« versetzte der Besitzer des Katers; »dieses Feld wird viel abgeben!«

Der Kater, der immer vorausrannte, kam an ein anderes Feld, in dem zahlreiche Apfelsinen- und Limonenbäume standen, und sagte zu den auf diesem Felde Anwesenden wiederum so, wie zu den Landleuten von vorher. Und als nun der König vorbeikam und fragte, wem dieses Feld sei, antwortete man ihm, es gehöre dem Grafen Erfesch. Da wunderte sich der König über den Reichtum, der diesem Grafen gehörte; denn der Kater sagte eben allen, denen er begegnete, dasselbe; und kurz und gut: der König glaubte, dieser Graf besässe riesigen Reichtum.

Zuallerletzt gelangte der Kater vor einen prächtigen Palast, der einem Zauberer gehörte. Der Kater erkundigte sich, wer der Zauberer sei und was er zu machen verstünde, und bat, ihn sprechen zu dürfen. Der Zauberer nahm ihn sehr wohl auf und bat ihn, sich zu setzen. Als sie dasassen und sich unterhielten, sprach der Kater zum Zauberer: »Man hat mir gesagt, du könntest dich sofort in die allergrössten Tiere verwandeln, wie etwa Löwen oder Tiger.« »Ganz wahr!« antwortete ihm der Zauberer und verwandelte sich sofort in einen Löwen. Der Kater erschrak so sehr, dass er sich auf dem Fenstersimse verbarg. Nach kurzem nahm der Zauberer wieder Menschengestalt an, und dem Kater verging sein Schrecken, und er kam wieder herbei und unterhielt sich weiter mit dem Zauberer. »Man hat mir ferner gesagt,« fuhr er fort, »dass du[15] dich auch in ein ganz kleines Tier verwandeln könntest, etwa in eine Maus; aber das glaube ich sicher nicht, denn es ist unmöglich!« »Unmöglich? Sieh mir zu!« antwortete ihm der Zauberer und verwandelte sich in eine ganz kleine Maus. Als der Kater die Maus sah, sprang er auf sie los und frass sie auf.

Währenddem war der König an den Palast gelangt und wollte daselbst absteigen. Der Kater, der das Geräusch des Wagens gehört hatte, eilte hinunter ans Tor des Palastes und begann: »O König! Tritt ein und ruh' dich im Palaste des Herrn Grafen von Erfesch aus!« »Wie?« fragte der König; »dieser Palast gehört ihm auch?« Der ›Graf‹ nahm jetzt die Prinzessin bei der Hand und beide gingen hinter dem Könige her; dann betrat man den Speisesaal, wo die Mahlzeit fertig dastand, denn gerade an diesem Tage hatte der Zauberer eine Menge seiner Freunde eingeladen gehabt; aber die letzteren wagten, als sie kamen und hörten, der König befände sich im Palast, garnicht einzutreten.

Nachdem man gegessen und getrunken, wandte sich der König an den Grafen mit den Worten; »Herr Graf, für dich erübrigt, um auch Fürst zu werden, bloss, dass du meine Tochter heiratest!« Das nahm der ›Graf‹ sofort an und heiratete noch an diesem Tage die Prinzessin; und nach einiger Zeit wurde er, da der König alt war und nicht viel Lebenskraft mehr hatte, König an seiner Statt. Der Kater aber wurde der erste Minister des Königs, und um leben zu können, brauchte er nicht mehr hinter den Mäusen herzurennen, denn er speiste aufs feinste mit dem Könige am selben Tische, in der Gesellschaft der anderen Grossen des Hofes.

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 13-16.
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