[236] 54. Das Land Cockanyngen

Mannigfacher Art ist der Unterhalt, mit dem man sein Leben in den verschiedenen Ländern fristet. Nun hört, ich will euch etwas erzählen! Ich kam letzthin in ein Land, das mir fremd war. Ihr sollt großes Wunder hören, was Gott da gebot: in dem Lande soll man immerdar ohne Arbeit und ohne Mühe sein. Das ist das Land von Cockanyngen, schöner als Spanien und Indien, das Land der schönen Frauen, das heilige Geister schufen. Wer da am längsten schläft, der verdient am meisten und niemand arbeitet dort, er sei alt oder jung und stark, und doch kennt man dort keinen Mangel. Da sind die Wände aus Würsten gemacht, die Fenster und die Türen aber aus Salmen und Stören. Die Pfeiler, die das Haus tragen, sind alle von Karfunkelstein, die Balken, die in dem Hause liegen, sind von Butterwecken gefertigt und die Söllerplanken von reinem Pfefferkuchen. Bänke und Stühle sind aus Zuckerwerk gebacken; Haspeln, Spinnrocken und solche Dinge sind gar aus Bretzeln geflochten und die Bretter aus gebratenen Aalen, gedeckt aber sind die Häuser mit Pfannkuchen. Die Zäune, die auf dem Felde stehen, sind aus großen, schönen Lampreten geflochten. Auf den Feldern tanzen die Hasen und Kaninchen, die wilden Hirsche und Schweine ihren Reihen; die kann man mit der Hand fangen und ohne Koppel hinwegführen, die[236] Rosse aber sind mit köstlichen Geschmeiden bedeckt und brauchen nicht gekauft zu werden. Dies ist das Land, das Gott lieb hat. Wer am längsten schläft, der findet das meiste, und was man in dem Lande liegen findet, das darf man ohne zu fragen aufheben, und man kann damit tun, was einem beliebt, als ob man es zu eigen hätte. Schöne Kleider sind dort billig zu haben, denn vor allen Häusern liegt ein Haufen von Gewändern, Hosen und Schuhen, wer will, der mag sie sich anziehen. In allen Straßen findet man schöne Tafeln aufgestellt mit weißen sauberen Laken darüber gebreitet. Brot und Wein, Fleisch und Fisch steht darauf, da kann man den ganzen Tag essen und trinken, wonach einem das Herz gelüstet, ohne eingeladen zu sein. Wenn es regnet, so regnet es Eierkuchen, Mooraale und Pasteten, davon findet jedermann genug nach seinem Bedarf. Niemand bleibt da unbefriedigt, denn die Gänse laufen gebraten umher, Fisch, Fleisch und fettes Geflügel kocht sich selbst zur Essenszeit, das ist so des Landes Sitte. Ein Fluß läuft durch das Land aus gutem Wein und Bier, an dessen beiden Ufern silbere Schalen und große Schüsseln liegen. Da rinnt Claret und Muskateller, den einem niemand verbietet, jeder darf dort billig trinken, mag er Wein, Bier oder Most. Mit Ingwer und Muskatnüssen sind die Straßen gepflastert, Felle hängen darüber, unter denen man geht. Die schönste Sitte in dem Lande aber ist, daß niemand des andern Feind ist, sondern jeder ist des andern Freund und hilft und dient ihm gern. Im ganzen weiten Land ist immerdar Sommerszeit und Maienwetter. Jeder Monat hat fünf Wochen; vier Ostern, vier Pfingsten und vier Christtage fallen aufs Jahr, aber nur alle hundert Jahre gibt es eine Fastenzeit. Noch einen andern Vorzug hat das Land: da ist kein Weib, das einem Manne ein freundliches Schlafengehen verweigern kann, das könnt ihr mir glauben. Da sind Trompeten und Schalmeien, nach denen sie ihren Reihen tanzen; schöne Frauen und Jungfrauen, die gehören einem jeden ohne Sünde und Schmach, das ist des Landes Brauch. Das Land ist nicht stark bevölkert, das sagen alle, die von dort kommen; deshalb rate ich allen denen, die ungern arbeiten und sich mühen, aber gerne gut essen und trinken und Lotterspiel treiben, daß sie ihre Sache hier stehen lassen und in jenes Land ziehen. Dahin kommt niemand, der ein andres Amt hat als den ganzen Tag essen und trinken und des Abends seine Zeche borgen, der ungern seine Rechnung bezahlt und immer borgt und grübelt, wie er seiner Schulden ledig werde. Hiermit will ich meine Rede schließen, gehe jeder selber hin und sehe![237]

Quellenangaben

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Märchen, Schwänke und Fabeln. München 1925, S. 11,239.
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