[209] 130. Herr von Falkenberg.

Mündlich.

A. van Hasselt in »L'artiste, journal du progrès, revue des arts et de la littérature.« 1835. p. 342.


Auf dem alten Schlosse Falkenberg in dem Lande Limburg, da geht es um bei Nacht, und eine Stimme[209] schreit aus den Ruinen: »Mörder! Mörder!« und sie ruft dieß gegen Norden und Süden und Osten und Westen. Und vor dem Rufenden her gehen zwei kleine Flämmchen, und die begleiten ihn, wohin er sich auch wenden mag. Und diese Stimme ruft schon also seit sechs Jahrhunderten, und eben so lange irren schon die kleinen Flämmchen.

Vor sechshundert Jahren nämlich stand das schöne Schloß noch in seinem vollsten Glanze da, und es wohnten daselbst zwei Brüder aus dem edeln Geschlechte Falkenberg, und die hießen Waleram und Reginald, und liebten beide die Tochter des Grafen von Cleve, Alix. Waleram war aber glücklicher in seinen Bewerbungen und gewann sich die Liebe der Jungfrau; seine Mutter, wie der Vater Alixens gaben gerne ihre Einwilligung, und bald feierte man die Hochzeit in größtem Pomp und glänzendster Pracht.

Reginald jedoch sann auf schwarze Rache an seinem Bruder, wie an der Braut; und als das Festmahl geendet war und man die jungen Gatten zum Brautgemache führte, da eilte er vor und versteckte sich hinter dem Bette. Ihren süßen Träumen von Liebe und Glück ganz hingegeben, dachten die eben Vereinten nicht an den grimmen Bruder; doch hatten sie kaum das Brautbett bestiegen, als Reginald hervorstürzte und zuerst in Walerams und darauf auch in Alixens Brust seinen Dolch stieß. Waleram griff mit der Rechten nach der schäumend blutenden Wunde, dann nach dem Mörder, dessen Gesicht er faßte; aber die Kräfte versagten ihm schon, er sank leblos zurück. Reginald entfloh, nachdem er noch eine Locke von dem Haupte der unglücklichen Braut geschnitten hatte.

Am andern Tage war große Trauer auf dem Schlosse Falkenberg, denn jedermann liebte Waleram wegen seines[210] milden und gütigen Herzens, und Alix, deren Seele so schön war, wie ihr Leib. Keiner zweifelte, daß Reginald der Mörder sei, und nach allen Seiten hin wurden Knechte ausgeschickt, ihn zu fangen; aber er war nicht mehr zu finden.

Zu dieser Zeit wohnte in einem Walde in der Gegend von Falkenberg ein frommer Einsiedel, der Tag und Nacht im Gebete an dem Altare einer kleinen Kapelle lag, welche sich neben seiner Klause erhob. Es war schon beinahe Mitternacht, als noch jemand an der Thüre der Kapelle klopfte und im Namen des Himmels Einlaß begehrte. Der Einsiedel erhob sich von der Betbank und öffnete und erkannte Reginald, der ihm alsbald unter bittern Thränen zu Füßen stürzte und ihn bat, seine Beichte zu hören. Der Einsiedel hob ihn auf und führte ihn zu einem Stuhle, und Reginald bekannte ihm alles und zeigte ihm als Wahrzeichen eine blutige Hand, die auf seinem Gesichte abgemalt war, und die er mit keinem Wasser hatte abwaschen können. Als der Mann Gottes alles vernommen hatte, sprach er schaudernd: »Es ist mir nicht gegeben, von also großer Sünde zu entbinden. Verweilet aber mit mir die Nacht hindurch im Gebete, vielleicht gibt Gott mir alsdann zu erkennen, was ihr thun sollt, um Vergebung bei ihm zu finden.« Und mit den Worten kniete er am Altare nieder, und Reginald kniete neben ihm und sie beteten.

Und als der Morgen dämmerte, da erhob sich der Einsiedel und sprach: »Solches hat der Himmel mir eingegeben. Ihr sollt als ein demüthiger und frommer Pilger von hier wallen und immer gegen Norden gehen, bis ihr keine Erde mehr unter den Füßen habt. Dort wird euch ein Zeichen das Weitere melden.« Reginald antwortete: »Amen«, begehrte noch des heiligen Mannes Segen und trat zur Gotteslampe, an der er die Locke[211] Alixens verbrannte, wie es der Einsiedel ihm befohlen. Dann verließ er die Kapelle und wanderte als Pilger weiter und immer weiter und stets gegen Norden. Und mit ihm gingen zwei Gestalten, eine weiße zu seiner Rechten und eine schwarze zu seiner Linken. Und die schwarze flüsterte ihm viel von seiner Jugend und den Freuden der Welt ins Ohr, während die weiße ihn zur Buße und Fortsetzung seines Weges ermahnte und ihm die ewigen Freuden der Seligen vor die Seele stellte.

So war er schon manchen Tag und manche Woche und manchen Monat gewandert, als er eines Morgens keine Erde mehr unter seinen Füßen fand und das weite Weltmeer vor sich sah. Zu gleicher Zeit nahte ein Nachen dem Gestade, und ein Mann, der darinnen saß, winkte ihm und sprach: »Wir erwarten dich.« Da erkannte Reginald, daß dieses das Zeichen war, und er stieg in den Nachen und die zwei Gestalten mit ihm, und sie fuhren zu einem großen Schiffe mit vollen Segeln. Und als sie auf dem Schiffe waren, verschwand der Mann, und das Schiff fuhr weg, und er ging mit seinen beiden Begleitern in den unteren Raum. Da stand eine Tafel und Stühle, und an der Tafel ließen sich die beiden nieder, und der Schwarze zog ein paar beinerne Würfel hervor und sie begannen zu spielen um die Seele Reginalds.

Sechs Jahrhunderte fährt schon das Schiff ohne Steuermann und ohne Ruder, und eben so lange spielen die beiden schon um Reginalds Seele; sie hören auch nicht auf mit dem Spiele bis zum jüngsten Tage. Schiffer, die auf der Nordsee fahren, begegnen oft dem höllischen Fahrzeuge.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 209-212.
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