Dits die excellente Cronike van Vlaenderen. Antwerpen 1531. Fol. III.
Chronyke van Vlaenderen (von N.D. u. F.R.). Brügge o.J. S. 10.
Msc. bibl. tornac. enthaltend eine französische Reimchronik. S. den Auszug aus derselben bei Reiffenberg, Chronique de Philippe Mouskes. Bruxelles 1836. I, p. 44.
In dem zweiten Jahre der Regierung Lyderiks van Lylelezbuc geschah es, daß ein Maderant von Burgund, dessen Neffe Madonus von Poitiers und Zwychaert von Partenay die Tochter des Königs Lothar von Frankreich entführten, deren Name Idonea war, und wollten sie mit sich nehmen nach England. Als diese Herren[99] aber gekommen waren bis zwischen Noble, welches nun Atrecht heißt, und Dornik, da bekamen sie Streit unter einander und fechteten, und Zwychaert von Partenay stach den Madonus todt. Darob erschrak Jungfrau Idonea sehr und befahl ihrem Wagenführer, daß er fort fahre und die Herren streiten lasse, und also kamen sie bis eine Meile vom Schlosse Lylelezbuc, auf dem Lyderik wohnte. Dieser hatte aber gerade zu der Zeit im Walde gejagt und einen Hirsch gefangen, und als er mit seiner Beute an den Ort kam, wo Idonea mit ihrem Wagen stand, dachte er gleich, das müsse eine edle Frau sein, und trat zu ihr und fragte sie, ob sie ihn nicht auf sein Schloß geleiten wolle. Das nahm Idonea gerne an, denn sie war von Herzen betrübt über den Tod des Prinzen von Poitiers; doch befahl sie dem Wagenführer und ihren beiden Kammerfrauen, daß sie Lyderik nicht sagten, wer sie wäre und woher sie käme.
Lyderik der edle Baron aber empfing sie gar ehrlich und herrlich, und sie übernachtete bei ihm auf dem Schlosse mit ihrem Gefolge. Im Gespräche fügte es sich, daß sie Lyderik fragte, ob er keine Frau habe, worauf Lyderik entgegnete: »Noch nicht, denn mein Abentheuer zu ehelichen ist noch nicht gekommen. Jedoch saget mir, edle Frau, wer ihr seid und von wannen ihr kommet und wohin ihr zu reisen gedenket.« Idonea sprach, ihr Vater sei ein Edelmann von hoher Geburt. Ein junger Prinz sei aber gekommen aus fremden Landen und habe sie mit sich führen wollen gen England, um dort sie zu heirathen, und bei Dornik sei derselbe erschlagen worden und sie geflüchtet und also bis zu diesem Schlosse gelangt. »Wisset«, fuhr sie dann fort, »daß ich nimmehr zu meines Vaters Hause zurückkehren darf und lieber dienen will als eine Magd.« Da fragte sie Lyderik nach ihrem Namen und ob sie eine Christin wäre, und sie antwortete:[100] »Ja, ich bin ein Christenweib und mein Name ist Idonea.« Worauf Lyderik sie weiter fragte, warum sie denn nicht mehr zu ihres Vaters Hause zurückkehren wolle und lieber eine Dienstmagd wäre, und ob es ihr recht wäre, bei ihm zu bleiben, nicht als seine Magd, sondern als sein werthes Lieb, um seiner Güter und seines Schlosses zu wachen, und bei Gelegenheit seine Frau zu werden und eheliche Kinder von ihm zu zeugen. Idonea sprach: »Möchte ich ein Jahr bei euch bleiben oder zwei, ich hoffte zu Gott, meine Dienste sollten euch wohl behagen.« So blieb Jungfrau Idonea bei Lyderik, und ihre Kammerfrauen zogen ab, nicht aber gen Paris, denn dahin durften sie nicht mehr kommen, sondern sie ließen sich von dem Wagenführer nach Partenay ins Land von Poiteau bringen. Ehe sie aber wegfuhren, sprach der Wagenführer zu Lyderik: »Ach, edler Herr und lieber Wirth, ich bitte euch, behandelt diese Frau nur wohl und ehrlich, denn sie ist eine also edle Magd von Geburt, als eine sein kann zwischen hier und Preußens Osten und Spaniens Westen.« Lyderik begehrte jedoch kein ander Weib denn Idonea, und er zeugte mit ihr binnen zwölf Jahren fünfzehn knabliche Kinder und drei Töchter.
Man muß aber wissen, daß an festlichen Tagen Frau Idonea Kleider trug von theurem Baldekin mit Gold besäet, Lyderik war stets gekleidet in einen Kittel von grauem burkelschen Tuche. Und weil die Kin der edel waren von mütterlicher Seite, so ließ Lyderik ihnen Kleider machen, die an der rechten Seite von rauhem grauen Laken waren, und an der andern Seite von Baldekin mit Gold durchwirkt.
In dem Jahre unseres Herrn sechshundert und sechs und zwanzig sandte der König Lothar den heiligen Bischof Amandus von Maestricht nach Lothringen und Flandern,[101] damit derselbe dort das Christenthum predige. Und als Sankt Amandus auf der Schelde kam gen Gent, da warfen ihn die Weiber mit Kuhmist und anderm Unrathe. Auch stachen sie ihn oft in die Schelde, um ihn zu ertränken, aber er bekehrte dennoch das ganze Land von Flandern, was über der Schelde liegt, und das war im Jahre 626, als Idonea vierzehn Jahre schon bei Lyderik gewohnt hatte.
Einmal aber däuchte dem Könige im Traume, als er lag und schlief, daß er fünf Tage lang einen weißen Hirsch jage, der am fünften Tage im Forste gefangen wurde. Der Jäger, der ihn fing, hatte einen schönen Rosenbaum mit fünfzehn lieblich riechenden Blumen und drei schönen Knospen.
Als der König erwacht war, erzählte er männiglich von dem Traume, und jeder rieth ihm, auf die Jagd zu gehen. Dieses geschah aber zu Soisson und war zu Anfang des Sporkelmondes und zu einer Zeit, wo es gerade Morgens etwas geschneit hatte. Kaum hatte der König die Stadt verlassen und war in den Busch gekommen, als er einen großen Hirsch sah, der nordwärts lief. König Lothar folgte ihm zu Pferde und ritt stets hinter ihm. Am andern Tage verlor der König seine Gefährten und am dritten Tage wechselte er zu Dornik sein Pferd und nahm einige Leute aus der Stadt mit sich, und als er fast drei Meilen geritten war, sah er den Hirsch abermals, der nun auf Ryssel zu lief, und der König verfolgte ihn stets. Die Gesellschafter von Dornik hatten den König auch verloren, der aber ritt hinter dem Hirsch, bis er in der Nähe ein Schloß gewahrte. Da stieß er laut in sein Horn, denn er dachte, wenn dort ein Edelmann wohne, so müsse der ihm entgegen kommen. Als Lyderik aber das Horn erschallen hörte, setzte er sich zu Pferde und hing sein Horn um,[102] und als er aus dem Schlosse ritt, sah er, daß der Hirsch, den der König verfolgt hatte, matt und müde war, und er fing ihn mit seinen Hunden und durchstach ihn mit seinem Spieß. Da kam auch König Lothar geritten und sah den todten Hirsch, und die beiden Jäger grüßten einander. Lyderik fragte aber den König, wer er sei, und der König sprach, er wäre ein französischer Ritter und hätte fünf Tage lang den Hirsch gejagt und all seine Gesellen verloren. Darauf sprach Lyderik: »O, edler Freund und Herr, kommet mit mir auf mein Schloß, und da ihr also lange diesen Hirsch verfolgt, so ruhet bei mir fünf oder sechs Tage, und wir wollen fröhlich sein und von des Thieres Fleisch essen und recht genüglich sein.«
Als Frau Idonea aber vernahm, daß ihr Herr Vater in dem Schlosse sei, so stellte sie sich krank und legte sich zu Bette, denn sie hatte große Furcht. Bei der Tafel sah der König die fünfzehn Knaben und die drei Töchterlein und fragte, wessen Kinder das wären, und Lyderik entgegnete: »Das sind meine Kinder, und Gott hat sie mir verliehen bei einer fremden Frau. Es sind ihrer achtzehn, und ich habe sie gewonnen binnen vierzehn Jahren, denn oft hat sie mir zwei auf einmal geschenkt.« Darauf fragte der König weiter, warum der Kinder Kleider aus zweierlei Stoffen gemacht seien und warum sie das schöne Laken an der linken Seite trügen und das rauhe schlechte an der rechten. Lyderik sprach: »Freund, das kommt daher, weil meine Frau edler ist, denn ich bin, darum tragen sie an der linken Seite, wie ihre Mutter, das kostbare Baldekin, und an der rechten grau burkelsch Laken, wie ich.« Der König wurde immer neugieriger, und besonders, da die Kinder alle ihrer Mutter Züge hatten, und er erzählte: »Es ist nun fünfzehn Jahre fast, daß meine Tochter von dem Prinzen von[103] Poitiers entführt wurde, und ich habe nie erfahren können, was aus ihr geworden ist, sehe aber nun, daß diese Kinder alle meiner Tochter Züge tragen. Ich bitte euch darum, edler Freund und Wirth, lasset mich dieser Kinder Mutter sehen.«
Lyderik wußte nicht, daß sein Gast der König von Frankreich war und der Vater seiner Frau. Er sprach: »Mein lieber Herr und Freund, ich will mein Weib holen lassen und dann sollet ihr sie sehen.«
Als aber Frau Idonea nicht kommen wollte, ging er selber und er fand sie sehr weinend in ihrem Bette. Wie er ihr sagte, daß sie zur Tafel kommen solle, entgegnete sie: »Nein, das thue ich um alle Güter der Erde willen nicht, denn wisset, mein lieber Gemahl, euer Gast ist der großmächtige König von Frankreich.«
Darob war Lyderik in seinem Herzen gar verwundert, denn während fünfzehn Jahren hatte er von ihr nicht vernehmen können, wer sie oder wer ihr Vater wäre. Bangen Muthes ging er zum Könige zurück und sprach, daß seine Frau siech zu Bette läge. Darauf fragte Lothar, von wo sein Weib gebürtig sei, und Lyderik entgegnete, das habe er binnen fünfzehn Jahren, während denen sie bei ihm lebe, nicht erfahren können. Der König fuhr fort und fragte nach ihrem Namen, und als er erfahren, daß sie Idonea heiße, sprach er freudig: »Dann ist es meine Tochter, daran ist kein Zweifel.« Und sich zu Lyderik wendend, sagte er weiter: »Euch, mein lieber Freund und Wirth, gebe ich sie denn zu einem gesetzlichen ehelichen Weibe und will euch zum Prinzen machen von allem Lande, welches hier herum liegt, und euch die Missethat vergeben, daß ihr bei ihr wart ohne Zustimmung von mir und meinen Magen zu haben.«[104]
Der König aber wollte sie sehen und eher nicht essen noch trinken, und Lyderik führte ihn an ihr Bett, und sie stand alsbald auf und bewillkommte ihren lieben Vater und erzählte ihm, wie sie zu Lyderik gekommen sei. Lothar blieb zehn Tage lang in Lylelezbuc und entbot alle benachbarten Städte dahin, als Dornik, Noble, welches nun Atrecht heißt, die von der Ryviere, welche nun Douay ist, und sie kamen alle in Lyderiks Castell, und in ihrer Gegenwart gab der König seinem Gaste Idonea zu einem gesetzlichen Weibe. Auch wurden Feste gegeben, und die dauerten fünf Tage lang, und jeglicher, der zu der Hochzeit kam, brachte Geschenke. Da machte auch Lothar seinen Schwiegersohn zu einem Fürsten von allen Städten von Sommenoble bis zur Nordsee. Diese Städte waren: Sommenoble, Vermandoys, Nyelle, Aryen, Seclyn, Ryviere, Lylelezbuc, Blondyn, Brughstock, Aerlebeke und Guysen.
Als die Hochzeit geendet war, befahl König Lothar Lyderik vor allen Dingen, daß er die ihm gegebenen Städte und Lande und den Forst von Flandern in Rechtfertigkeit regieren sollte und Jedem Recht thäte, so dem Armen als dem Reichen, und Lyderik schwur es ihm zu und huldigte ihm, als ein Lehensmann, vor allem Volke, welches zur Hochzeit gekommen war. Und am elften Tage nahm der König Urlaub von seiner Tochter und zog zurück nach Paris. Die von Dornik bewiesen ihm da große Ehre und Würdigkeit, und zwar darum, weil sein Vater Chilperik die Liebe-Frauen-Kirche in ihrer Stadt gestiftet hatte. Lyderik geleitete ihn mit sieben seiner ältesten Söhne.
In Paris aber war große Freude ob des Königs Wiederkehr, denn man glaubte allgemein, er sei von wilden Thieren zerrissen worden. Lothar ordnete alsbald ein Turnier zu Ehren Lyderiks an, und dieser gewann[105] den Preis in demselben durch seine Frommheit, und er wurde nebst seinen Söhnen beschenkt von allen, die in dem Turniere mitgekämpft hatten. Als dieß geschehen war, nahm Lyderik Urlaub vom Könige und ritt wieder nach Flandern, wo er in allen Städten prächtig empfangen wurde, als Fürst und Herr.
Buchempfehlung
Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«
74 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro