563. Mahr gefangen.

[654] Mündlich.


In einem reichen Hause zu Haarlem hat sich diese Geschichte zugetragen.

Eines Morgens fand man in der Schlafkammer des ältesten Knaben ein Mädchen nackt an der Erde liegen, und das hatte einen Besenstock neben sich und jammerte und schrie. Als man es faßte und fragte, wie es in die Kammer gekommen sei, erzählte es Folgendes.

In der Nacht hatte es gesehen, wie seine Mutter aufstand, ihre Kleider und ihr Hemde auszog und sich[654] alsdann mit einer Salbe aus einem Töpfchen, welches auf dem Schranke stand, bestrich; darauf hatte sie einen Stock gekommen, sich darauf gesetzt und war zum Fenster hinausgefahren. Das Mädchen war neugierig, zu wissen, wo seine Mutter hingeritten sei auf dem Stocke, und es holte den Besenstock, zog sich aus und bestrich sich gleichfalls mit der Salbe. Im selben Augenblicke fuhr es auch aus dem Fenster und so lange durch die Luft, bis es über das Haus kam; da ging das Fenster an der Schlafkammer des Knaben auf, und das Mädchen wurde hineingerissen und fand allda zu seiner großen Verwunderung seine Mutter gleich einer Mahr auf des Knaben Brust liegen. »Jesus, Maria!« schrie es vor Schrecken, und kaum hatte es das Wort aus dem Munde, als die Mutter mit geballten Fäusten wieder zum Fenster hinaus- und wegfuhr.

Das kam bald vor Bürgermeister und Schöffen, und die Hexe wurde gegriffen und gestand, daß sie jede Nacht die Leute bald hier bald dort als Mahr gequält habe.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 654-655.
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