[656] 566. Das Geisterhaus zu Antwerpen.

Mündlich von L. Vleeschouwer.


Eine Herberge in Antwerpen heißt noch bis zum heutigen Tage »das Geisterhaus«; diesen Namen hat sie von folgender Begebenheit bekommen.

In dem Hause wohnte einmal eine kühne Magd, die vor nichts bange war. Zu derselben Zeit hieß es in der Stadt, auf dem Minoritenkirchhofe sitze jeden Abend ein Geist mit einem weißen Tuche um den Leib auf einem Grabsteine. Zuerst waren die Bürger erschrocken darob; langsam aber gewöhnten sie sich an die Erscheinung und endlich merkten sie gar nicht mehr darauf. Ein Bürger machte gar eine Wette mit einem andern, das kühne Mädchen würde hingehen und dem Geiste das weiße Tuch vom Rücken ziehen. Beide versprachen dem Mädchen eine Summe Geldes, und sie ging wirklich auf den Minoritenkirchhof und zog dem Geiste das Tuch vom Rücken und nahm es mit auf ihre Kammer.[656]

In der folgenden Nacht aber wurde ihr, als sie schlief, plötzlich das Hemde ausgezogen. Sie lachte darob und zog es wieder an, aber bald mußte sie es auch wieder lassen. Solches geschah zu mehren Malen, und sie erschrak endlich so darüber, daß sie gelobte, das weiße Tuch wieder zurückzutragen. Da ließ es sie in Ruhe, und am folgenden Abend trug sie das weiße Tuch zurück und hing es dem Geiste wieder um, worauf dieser verschwand.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 656-657.
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