[286] 183. Ameil-a-l'oeil de Lephy.

[286] Hemricourt S. 138.

Bovy II, S. 223.


Ameil de Lephy, ein Sprosse aus der Familie von Dammartin, war ein wackerer und kühner Ritter und führte dabei ein frohes Leben.

Eines Tages, wo er sich allein auf seinem Schlosse befand, wanderte er, sich zu zerstreuen und der drückenden Hitze in etwa zu entgehen, zur schattig überlaubten Quelle von Lephy. Als er dort ankam, fand er eine junge Frau, schön wie er noch keine gesehen, und in Kleidern, die auch nicht eines niedern Ranges Zeugen waren. Erstaunt über die Erscheinung, redete er sie freundlich an und fragte dann, wer und woher sie wäre und wohin sie wolle. Darauf entgegnete sie ihm, daß sie ihren Namen nicht nenne, jedoch aus edelm Geblüte und aus fremdem Lande stamme; auf einer Pilgerfahrt begriffen, hätte sie an der Quelle sich niedergelassen, um auszuruhen, während ihr Dienstmädchen in die Stadt gegangen sei, um Lebensmittel zu kaufen.

Je mehr Herr Ameil sie anschaute, desto mehr wurde er in Liebe zu ihr entzündet, und er wagte es endlich gar, sie um ihre Gunst zu bitten. Sie aber vertheidigte sich und that, als verstände sie ihn nicht; doch willigte sie endlich ein, daß er sie auf sein Schloß führe. Dort nun ergötzten sich beide weidlich an voller Tafel und vollem Becher, und sie schlossen damit, daß sie, wie den Tisch, so auch das Bette theilten.

Als der Morgen gekommen und beide aufgestanden waren, dankte die Fremde dem Ritter und fragte ihn[287] alsdann, ob er sie nun kenne und zu sagen wisse, wem er also viel Liebe geschenkt habe. Ameil entgegnete, verwundert ob der seltsamen Frage, ein langes Nein. »Dann will ich es dir sagen«, sprach da die Frau; »wisse, daß du beim – Teufel geschlafen hast.« – »Beim Teufel?« fragte der unerschrockene Ritter. »Beim Tode unseres Erlösers! Dann kannst du dich wohl rühmen, wenn du wieder in deine Hölle kommst, daß kein liebenswürdigerer Teufel jemals auf der Welt gewesen, als du mir die Nacht warst.«

Als er diese Worte noch nicht geendet, verschwand das Weib, aber im Verschwinden riß sie dem Ritter das rechte Auge aus, und dieser hieß davon seit der Zeit Ameil-a-l'oeil.

Die Quelle rinnt noch und befindet sich am Eingange des Schloßgartens. Sie heißt gegenwärtig Fontaine Sainte Oude.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 286-288.
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