250. Mahr zieht aus.

[343] Mündlich von C. van Swygenhoven.


Bei Vilvorde ist es geschehen, daß einige Schnitter im Korn ein Weibsbild fanden, die sich nicht rührte und wegte, als wenn sie geschlafen hätte; doch war es kein rechter Schlaf, denn die Schnitter sahen nicht, daß sie athmete. Neugierig, was es für ein Bewenden mit der Frau haben möchte, gingen sie hin und riefen einen Hirten, der im Rufe stand, Kunde zu haben von geheimen Dingen. Als dieser zu der Frau kam, sprach er alsbald, die schliefe nicht, sondern das wär' eine Mahr, und die wär' eben ausgezogen, um auf einem andern zu reiten. Deß lachten die Schnitter und sprachen, der Hirte wolle ihnen was weiß machen, doch der sagte: »Wartet nur ein kleines Weilchen, und ihr sollet Wunderdinge schauen.« Darauf neigte er sich zu dem Weib und flüsterte ihr ein paar Wörtlein ins Ohr, und zugleich sahen die Schnitter ein kleines Thierchen, fingerslang und gar seltsam geformt, welches weither gelaufen kam[343] und in den Mund der Frau kroch. Als dieß geschehen, gab der Hirt ihr einen tüchtigen Schub, so daß sie wohl dreimal sich umrollte; davon wurde sie wach, schaute sich verwundert um und flüchtete dann in aller Eile zu großer Verwunderung der Schnitter, welche nun sich weidlich an der Sache ergötzten.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 343-344.
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