[357] 268. Die Lilie.

Mündlich aus Leyden.


Vor Alters hat es hier einmal einen Zauberer gegeben, der den Leuten die Köpfe abhieb und wieder aufsetzte. Als der einmal seine Kunst gezeigt, ist ein fahrender Gesell in die Kammer getreten und hat auch mit zuschauen wollen. Nun stand auf der Tafel vor dem Zauberer ein großes Glas mit destillirtem Wasser, und jedesmal, wenn er einem den Kopf abgeschnitten hatte, wuchs aus dem Glase eine weiße Lilie, welche er[357] die Lebenslilie nannte. Als der Zauberer einmal wieder einem den Kopf weggehaut, trat der fahrende Gesell schnell mit einem feinen Messerlein zu dem Glase und schnitt den Stengel von der Lilie in Stücken, ohne daß es einer sah; und wie der Zauberer den Kopf wieder aufsetzen wollte, konnte er das nicht mehr, ist also festgenommen und als ein Mörder verbrannt worden.

Wie mir mein Vater oft erzählt, ist dieß um fünfzehnhundert und acht und zwanzig geschehen, und es sollen vor der französischen Revolution noch die Gerichtsakten davon zu schauen gewesen sein.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 357-358.
Lizenz:
Kategorien: